Konjunktur USA: Aufschwung ohne neue Arbeitsplätze?

Die Überkapazitäten der Industrie seien „relativ groß“; die Finanzlage von Unternehmen und Haushalten bleibe „angespannt“, für die öffentlichen Haushalte sei eine „beträchtliche Verschlechterung“ der Lage festzustellen, und das riesige Leistungsbilanzdefizit mache alles noch schlimmer: In seinem „World Economic Outlook“, den der Internationale Währungsfonds (IWF) pünktlich zu seiner gerade zu Ende gegangenen Jahrestagung in Dubai vorgestellt hat, wird keine der Schwächen ausgelassen, unter denen die US-Wirtschaft leidet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Federal Hall in Manhatten. dpa

Kopfzerbrechen bereitet den Politikern in Washington vor allem der Arbeitsmarkt. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sinkt die Beschäftigung auch eindreiviertel Jahre nach dem offiziellen Ende einer Rezession noch. Die Suche nach Sündenböcken hat denn auch längst eingesetzt. Liebster Prügelknabe amerikanischer Politiker: China. US-Finanzminister John Snow war es, der beim G7-Treffen am Rande der IWF-Tagung in Dubai durchsetzte, dass im Abschlusskommuniqué „mehr Flexibilität von Wechselkursen“ angemahnt wurde – eine wenig subtile Aufforderung an Peking, den Yuan aufzuwerten und damit die chinesische Wirtschaft um ein Stück Wettbewerbsfähigkeit zu berauben. Dabei kann wachsende Konkurrenz aus dem Ausland die Malaise der Beschäftigungsentwicklung in den USA nur zu einem kleinen Teil erklären. 2,2 Millionen Jobs sind außerhalb der Landwirtschaft in den vergangenen drei Jahren verloren gegangen. Doch nur ein Teil davon, jedenfalls nicht mehr als 500 000, verschwanden im Zuge der Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, schätzen die Experten von Goldman Sachs. Hauptverantwortlich für die viel beschworene „joblose Erholung“ ist stattdessen die stark steigende Arbeitsproduktivität – ein Phänomen, das in den USA seit Mitte der Neunzigerjahre zu beobachten ist. Trotz langer Börsenbaisse, dem Massensterben unter den Dotcoms und dem Einbruch der Unternehmensinvestitionen: Anders als in Europa gelingt es Unternehmen in Amerika offenbar, den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in enorme Effizienzsteigerungen umzumünzen. Um 5,4 Prozent ist der Output je geleisteter Arbeitsstunde im Jahr 2002 gewachsen, so stark wie seit 1950 nicht mehr. Dass in der Frühphase eines Aufschwungs die Produktivität schnell wächst, ist normal: Unternehmen versuchen zunächst, eine steigende Nachfrage zu befriedigen, ohne dafür neue Mitarbeiter einzustellen. Größere Potenziale als beim Internethype geglaubt Dieser Effekt läuft gewöhnlich nach vier Quartalen aus. Das Produktivitätswachstum in den USA hätte demnach etwa zur Jahreswende zurückfallen müssen. Doch auch im ersten Halbjahr ist die Arbeitsproduktivität mit einer Jahresrate von 4,5 Prozent gewachsen. Die Wirtschaftsleistung dagegen stieg im gleichen Zeitraum nur mit einer Jahresrate von 2,3 Prozent. Wenn aber die Nachfrage – und damit der Ausstoß – langsamer wächst als der Ausstoß je Arbeitsstunde, dann muss die Beschäftigung zurückgehen. Auch in der zweiten Hälfte dieses Jahres wird sich dieses Phänomen in den Statistiken zeigen: Viele Ökonomen rechnen inzwischen mit einem Wirtschaftswachstum von fünf Prozent, manche sprechen gar von sechs Prozent. Dagegen wird die Arbeitslosigkeit in den USA allen Prognosen zufolge in den nächsten Monaten nur geringfügig zurückgehen. Der wahrscheinliche Hintergrund: In den Informations- und Kommunikationstechnologien stecken noch größere wirtschaftliche Potenziale, als selbst auf dem Höhepunkt des Internethype geglaubt wurde. Das ist, zumindest aus längerfristiger Perspektive, ein gutes Omen – für die USA, aber auch für Europa. Denn auf Dauer ist es weniger die Situation am Arbeitsmarkt, sondern die Entwicklung der Produktivität, die über den Lebensstandard in einer Volkswirtschaft entscheidet. Schließlich sind wir heute nicht um so viel reicher als unsere Vorfahren, weil wir mehr arbeiten – sondern, weil wir dank überlegenen Wissens und besserer Technologien ungleich produktiver sind.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%