Lebensmittel im Müll Haltbarkeitsdatum verlängern - weniger wegschmeißen

Die Deutschen schmeißen 21 Prozent ihrer gekauften Lebensmittel in den Müll - oft noch original verpackt. Die Politik will das mit einer eigenwilligen Maßnahmen ändern: das Haltbarkeitsdatum soll verlängert werden.

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Lebensmittel im Müll - keine Seltenheit in Deutschland. Quelle: handelsblatt.com

Es sind unglaubliche Zahlen: 6,6 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland im Jahr weggeworfen. Ihr Wert liegt bei 25 Milliarden Euro. Noch schlimmer ist der weltweite Vergleich: rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel landet auf dem Müll.

Die Schuldigen an dieser unglaublichen Verschwendung sind in vielen Bereichen zu suchen. In deutschen Haushalten wandern etwa 21 Prozent aller Lebensmittel in den Müll, weil Verbraucher ihre Einkäufe schlecht planen. .

In der schwarz-gelben Koalition haben einige Verbraucherexperten nun das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) als eine Ursache dafür ausgemacht, dass jährlich 6,5 bis 20 Millionen Tonnen noch essbarer Lebensmittel in Deutschland weggeworfen werden und wollen es im Bundestag auf die Tagesordnung des Ernährungsausschusses setzen. Denn viele Bürger denken, zum Stichtag seien der Feta-Käse, die Milch oder die Marmelade nicht mehr zu essen und werfen die Lebensmittel weg. Teilweise landen sie sogar schon vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums in der Tonne.

Der im September angelaufene Dokumentarfilm „Taste the Waste“ greift diese Missstände auf - Filmemacher Valentin Thurn betont: „Der Wettbewerb zwischen den Einzelhandelsketten ist nirgendwo so scharf wie bei uns, was dazu führt, dass die Regale bis Ladenschluss perfekt gefüllt sein müssen.“ Viele Produkte werden bereits lange vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums aus den Regalen entfernt.

Der Vorsitzende des Bundestags-Ernährungsausschusses, Hans-Michael Goldmann (FDP), nennt als Alternative zum Mindesthaltbarkeitsdatum nun den englischen Verzehr-Hinweis „best before...“, was so viel bedeutet wie „am besten vor dem...“ zu verzehren. Doch würde dieses eher kosmetische Wortspiel etwas am grundsätzlichen Problem ändern?

Ist das bisherige Konzept sinnvoll?

Im Verbraucherschutzministerium der zuständigen Ministerin Ilse Aigner (CSU) ist man da eher skeptisch. Das Grundproblem sei, dass Verbraucher oft zu wenig Bescheid wüssten über die Bedeutung des MHD, sagt Aigners Sprecher Holger Eichele. Es sei kein Verfallsdatum, sondern eine Gütegarantie. „Eine Abschaffung steht für uns nicht zur Diskussion“, betont Eichele. Zunächst müsse ohnehin mal geklärt werden, wie viele Tonnen Lebensmittel im Müll landen. „Bevor wir über Maßnahmen reden, müssen wir wissen, wie groß die Dimension ist.“ Dies soll eine nationale Wegwerfstudie bis Anfang 2012 klären, der Handel hält die Angaben von bis zu 20 Millionen Tonnen für absolut übertrieben.

In Aigners Haus wird zudem betont, die Vorschriften zum MHD und zum Verbrauchsdatum seien auf EU-Ebene einheitlich geregelt - Änderungen also nicht einseitig machbar.

Nicole Maisch, Verbrauchersprecherin der Grünen-Fraktion, fordert eine Überprüfung des Konzepts des Mindesthaltbarkeitsdatums „auf seine Sinnhaftigkeit“. Bei Produkten wie Zucker oder Mineralwasser sei das MHD fragwürdig. Ihre SPD-Kollegin Elvira Drobinski-Weiß sieht den Koalitionsvorstoß aufgrund der gerade erst verankerten EU-Regelungen als Ausweis der Planlosigkeit. Schwarz-Gelb treibe eine neue Sau durchs Dorf, statt zunächst von Verbraucherforschern prüfen zu lassen, „ob das Wort Mindesthaltbarkeitsdatum von den Verbrauchern verstanden wird“.

Das Wegwerfproblem hat auch eine höchst ethische Dimension: In einigen Ländern Afrikas geben die Menschen wegen stark schwankender Preise durch Nahrungsmittelspekulationen inzwischen bis zu 70 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Übertragen auf Deutschland würde das bedeuten, 30 Euro für ein Brot zu bezahlen.

Zum Weiterlesen:

Stefan Kreutzberger, Valentin Thurn

Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist

Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2011

320 Seiten

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