Mimikry-Marketing "Kauf dich glücklich"

Ob Kaffee, Mode oder Saucen: Marken suchen ihr Heil in ausgeklügelten Inszenierungen. Sie bieten Authentizität feil – das klappt, auch wenn die Patina oft nur geliehen ist.

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Gäste bei Starbucks Quelle: AP

Behutsam, als wiege er ein Baby im Arm, trägt der Taucher die Amphore, Meter um Meter gleitet er mit seinem Schatz empor und lässt das Wrack des 1608 gesunkenen Handelsschiffes Nossa Senhora de Consolação am Meeresgrund vor dem ostafrikanischen Mosambik zurück. Der Mann im Neoprenanzug heißt Alejandro Mirabal – und er lebt, wovon kleine und große Jungs träumen: von Abenteuern in fernen Ländern. Genau das macht ihn zur perfekten Projektionsfigur für eine Modefirma.

Arqueonautas heißt das Label, das mit Profitauchern wie Mirabal wirbt. Jedes T-Shirt, jedes Hemd, jeden Pulli ziert die stilisierte Kompassnadel des gleichnamigen Bergungsunternehmens. Ein Euro pro verkauftem Kleidungsstück, so verspricht es der Hersteller, wandert in die Kassen der Taucher. Das Geld ist gut investiert. Arqueonautas erhält im Gegenzug nicht nur pittoreske Meeresfunde für die Ausstattung seiner Läden, sondern leiht sich das Deep-Blue-Image der Unterwasserwelt, den Nimbus maritimer Männlichkeit – und damit schenken die Taucher der Marke eine Erzählung, eine Herkunft, eine Identität. Die ursprüngliche Heimat von Arqueonautas ist ein Düsseldorfer Hinterhof. In den Köpfen seiner Kunden aber ist die Marke immer unterwegs auf den sieben Weltmeeren.

Ob Schatztaucher, Arktisforscher oder Skipper eines Segelschiffes – üppig wuchern die Rollenfantasien vom wahren, manchmal gefährlichen Leben. Modekonzerne wie Kitaro, zu dem Arqueonautas gehört, oder die Outdoor-Marke Napapijri mit ihrer Roald-Amundsen-Aura schmeicheln der theoretischen Entdeckerlust eingesperrter Großstädter. Die Marken passen ihre Produkte dem ungelebten Leben ihrer Kundschaft an, leihen sich Authentizität aus zweiter Hand und hoffen auf einen Imagetransfer durch das Spiel mit attraktiven Ersatz-Identitäten.

Derlei Anverwandlungskünste sind bekannt aus der Biologie, dort heißen sie Mimikry und bezeichnen die Angewohnheit bestimmter Tierarten, die Merkmale anderer Arten nachzuahmen. Was Wunder, dass immer mehr Firmen mit Begeisterung ein Doppelleben kultivieren, sich als Stimmenimitatoren gebärden, in Sprachen sprechen, die ihre Kunden hören wollen – und sich darin üben, ihre Produkte über imaginäre Parallelwelten aufzuwerten.

Der in Karlsruhe lehrende Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich sieht eine „Kultur der Fiktionalisierung“ am Werk, die unseren Umgang mit der Warenwelt bestimmt. Die Kunden erwarten von einem Produkt nicht nur, dass es sein Nutzenversprechen hält. Es soll, sagt Ullrich, vielmehr den Eintritt gewähren in eine „Welt voller Möglichkeiten“, die „Teilhabe an einem sonst verschlossenen Milieu“ oder einer „bisher unbekannten Erfahrung“ verspricht.

Käufliche Gefühle

Auch wenn es eingefleischten Bildungsbürgern wehtut: Gefühle und Fantasien, Allüren und Lebensstile sind käuflich. Eine Marke wie Nike, so haben es die Hamburger Werber Holger Jung und Jean-Remy von Matt formuliert, „verkauft keine Schuhe, sondern Träume, Sichtweisen und Gedanken“ – freilich nur, wenn es ihr gelingt, den fiktiven Mehrwert der Marke „authentisch“ zu inszenieren. Dann kann auch eine Kopie Anspruch erheben auf Originalität: So zitiert das Modelabel Ralph Lauren höchst erfolgreich die Insignien des britischen Landadels – ungeachtet der Tatsache, dass Gründer Ralph früher nicht Lauren, sondern Lifshitz hieß, seine Wurzeln in Weißrussland liegen und er den heutigen Konzern erst Anfang der Siebzigerjahre in New York gegründet hat.

Konsum findet zuallererst im Kopf statt: Entscheidend ist, dass die Inszenierung der Marke den Vorstellungen von Authentizität entspricht. Das schafft Chancen für Marken, die für das Publikum über längere Zeit glaub- und deshalb vertrauenswürdig wirken und ein in sich stimmiges Gesamtbild erschaffen. Dann stört es auch nicht weiter, dass ein Lifestyle-Einkleider wie Gant sich zwar als US-Ostküstenmarke stilisieren kann, obwohl er längst zu einem schwedischen Unternehmen gehört – während umgekehrt die angeblich schwedische Edelmarke Marc O’Polo ihren Firmensitz im bayrischen Stephanskirchen hat und René Lezard keineswegs aus Paris, sondern aus der Industriestraße 2 in 97359 Schwarzach am Main kommt.

Markenauthentizität ergibt sich weniger aus dem Nachweis von Fakten, sie ist vielmehr ein kulturelles Konstrukt. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Christoph Burmann, der den bundesweit einzigen Lehrstuhl für „innovatives Markenmanagement“ innehat, geht noch einen Schritt weiter. Der objektive Wahrheitsgehalt einer Markenwerbung sei im Hinblick auf die Anmutung von Authentizität „im Prinzip gar nicht relevant“, so Burmann: „Wenn das Verhalten einer Marke ihr Selbstbild beglaubigt, wenn sie es also schafft, dass eine motivierte Mannschaft diese Identität konsequent kommuniziert, dann wirkt sie authentisch.“

Selbst eine original sizilianische Pizza, die in Mexiko hergestellt wird, wirkt authentisch, wenn ihre Inszenierung sich in ihr Selbstbild fügt. Marken flottieren zwischen Fakten und Fiktion. Entscheidend ist, dass die Grenze zwischen Verführung und Täuschung des Nachfragers nicht überschritten wird: Der Kunde möchte geködert, aber nicht belogen werden.

Die Lebensmittelmarke Bertolli verstieß – ungestraft – gegen dieses Markengebot, indem sie in ihrer Werbekampagne für „Pesto verde“ ein „original italienisches Rezept“ versprach, dem dummerweise die Zutaten nicht entsprachen. Statt „Pinienkernen“ und „feinstem Bertolli Olivenöl“ wurden vor allem Cashewnüsse und Sonnenblumenöl benutzt. Der Anspruch auf Authentizität schlägt hier in sein Gegenteil um, die Mimikry wird überdehnt. Dass in einem der leckeren Bertolli-Werbespots für Pasta-Sauce italienische Mammas in Kittelschürzen mit riesigen Holzlöffeln in monumentalen Töpfen rühren, gehört hingegen zur branchenüblichen Inszenierung von „Italianità“, die nur naive Kunden für die Wirklichkeit halten können.

Dem Gründer der Verbraucherorganisation Foodwatch geht selbst das zu weit: „Alles falsch, alles Schwindel und Kulisse“, grollt Thilo Bode und weist an einer Fülle von Beispielen akribisch nach, dass „Verbrauchertäuschung“ zum „ganz normalen Handwerk“ der Lebensmittelkonzerne gehört. Die Produkte, so Bode, scheinen regelmäßig hochwertiger, als sie sind. Vor allem: Sie ritten „gnadenlos auf der Regional- und Traditionswelle“, gaukelten dem Kunden eine Herkunft vor, die mit der Wirklichkeit so gut wie gar nichts zu tun habe.

Kostüm und Kulisse

Der Schwarzwälder Schinken zum -Beispiel, der auf der Verpackung mit Bollenhüten und dem Hinweis auf „traditionelle Art“ daherkomme, würde in Wahrheit aus Fleisch hergestellt, das niedersächsischen oder holländischen Schweinemastbetrieben entstamme. Klar, dass das dem Volksaufklärer Bode nicht gefällt. Dabei übersieht er, dass die Warenkunde auf der Rückseite eines Etiketts etwas ganz anderes ist als die Werbung auf der Frontseite. Während jene informieren muss, will diese unterhalten und locken. Werbung lebt vom Spiel zwischen Schein und Sein, sie appelliert an die Einbildungskraft der Kunden und strickt am Mythos der Marke.

Und das gelingt ihr umso überzeugender, wenn die Marke mit einer Herkunftsgeschichte fundiert wird. Automobilhersteller wie Mercedes oder Porsche wissen das zu nutzen, indem sie in ihren Museen ihre Corporate Identity feiern und dem Geist und der Geschichte der Marken ein architektonisches Denkmal setzen. Jüngere Marken legen sich sogar eine Herkunftslegende zu: So tritt das 2001 gegründete Unternehmen Alandia, das auf den Vertrieb von Absinth spezialisiert ist, wie eine Marke à la 1900 auf; die Historie dient ihr als Kostüm und Kulisse, die es erlaubt, auf die Tradition der Absinth-Herstellung in der Belle Époque hinzuweisen.

„Das ist der Vorteil junger Marken“, sagt Marketingexperte Burmann, „sie können die Erwartungen der Nachfrager bei der Kreation der Marke durch gezielte Inszenierungseffekte selbst festlegen und so das Image der Marke steuern.“ Im Idealfall verwandelt sich die Marke ihrem Adressaten in einer Art von freundlicher Mimikry an, ohne sich dabei groß verstellen zu müssen. So wie der Modeladen „Kauf dich glücklich“ am Düsseldorfer Carlsplatz: Die Buchstaben des Slogans über der Eingangstür wirken wie gerade eben aus ein paar Zeitungen zusammengeklebt, die Kleidungsstücke hängen an durchgebogenen, an der Decke festgedübelten Stangen, an den Wänden der Umkleide sind scheinbar achtlos Schwarz-Weiß-Fotos aus den Fünfzigerjahren montiert. Alles wirkt so hübsch hausgemacht und improvisiert, gemütlich, irgendwie anheimelnd und sympathisch unetabliert.

Doch dieser Krimskramsladen ist kein Unikat, im Gegenteil, er gehört zu einer kleinen Kette mit sechs Filialen in Berlin, Bremen, Dresden, Hamburg, Münster und Stuttgart. Das junge Unternehmer-Duo Andrea Dahmen und Christoph Munier setzt auf ein geordnetes Durcheinander: viel Mode, dazu Kaffee, Waffeln und Eis. Es darf ruhig ein bisschen zugehen wie in der Villa Kunterbunt.

Der Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich findet, dass das Konzept der beiden als Kontrastbild „zu den perfektionistischen, erhaben wirkenden Inszenierungen der etablierten Marken“ aufgehen könne. Anders als in den durchgestylten Concept-Stores der jungen Sportmarken und in den Modetempeln auf Ku’damm und Königsallee kann sich der Kunde hier dem wohligen Gefühl hingeben, sich in seinem Alltag begegnen zu dürfen – gerade wenn er weiß, dass hinter der Alltaginszenierung ein ausgeklügelter Businessplan steckt.

Starbucks inkognito

Die Normalität zu inszenieren – das ist auch das Erfolgsrezept des Kaffeekettengiganten Starbucks. Die Amerikaner haben das Mimikry-Konzept sozusagen auf die Spitze getrieben. Die Logos der weltweit 17.000 Cafés annoncieren dem jungen Aufsteiger-Publikum seine Weltläufigkeit und Internationalität. Einerseits. Andererseits sind die Läden den Erfolgreichen an ihrem Studienort eine Heimstatt.

Ausgerechnet in Seattle, dem Firmensitz von Starbucks, ist man sich dieser Doppelbödigkeit besonders bewusst. Drei Cafés tragen deshalb kein Starbucks-Logo mehr und verkleiden sich so, als ob sie von harmlosen jungen Idealisten geführt würden. Statt der üblichen Fauteuils sind sie eingerichtet mit Fundsachen vom Flohmarkt. Im „15th Avenue Coffee and Tea“ wird auch Bier und Wein serviert – und ab und zu lesen Autoren aus ihren Büchern. Die globale Marke täuscht Regionalität vor: Wer als Kaffeetrinker entdecken will, bei wem er hier eigentlich zu Gast ist, muss schon unten auf die Karte schauen: „Inspired by Starbucks“. 

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