Datenanalyse Darf’s ein bisschen digital sein?

Künstliche Intelligenz hilft Händlern und Dienstleistern, Verbraucher besser zu verstehen. Software ermittelt deren Geschmack und sagt voraus, was sie wann kaufen werden.

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Künstliche Intelligenz soll etwa Supermärkten oder Online-Shops helfen, ihre Kunden besser zu verstehen. Quelle: Reuters

Köln Dem Algorithmus ist kürzlich gelungen, woran Daniel Raschke manchmal verzweifelt. Verstehe doch bitte einer die Frauen! Dank seiner Rechenreihen weiß Raschke nun, dass Frauen die Farbe meist egal ist, wenn sie Taschen kaufen. Sie schauen vor allem auf die Form. Solche Erkenntnisse sind für den IT-Unternehmer nicht nur privat interessant. Mit ihnen hilft Raschke Online-Modehändlern, ihre Kunden besser zu verstehen.

Die Algorithmen von Raschkes Start-up Picalike analysieren zunächst, welche Kleidungsstücke jeder Kunde im Internetshop anklickt. Per Bildanalyse berechnet Picalike dann die optisch ähnlichsten Produkte. T-Shirt oder Hemd? Kurze oder lange Ärmel? Farbe? Aufdruck? Motiv mit Tiger oder Leopard? Wer bei Esprit, Baur oder Bonprix surft, der bekommt in den Produktempfehlungen nicht mehr angezeigt „wonach andere suchten“, sondern was ihn wirklich interessiert. Und die Händler können aus diesen Daten künftig ebenfalls eine Menge lernen.

Clevere Algorithmen analysieren Bilder, prognostizieren Staus, können die Stimmung von Menschen erkennen. Der Begriff künstliche Intelligenz ist in den vergangenen Monaten zum Modewort geworden. Während herkömmliche Computerprogramme lediglich starren Befehlen folgen, lernt künstliche Intelligenz konstant dazu, verbessert sich selbst, passt sich an. Eine Studie der IT-Beratung Crisp Research ergab jüngst, dass bereits knapp die Hälfte der deutschen Unternehmen künstliche Intelligenz nutzt.

Die erstaunliche Erkenntnis: „Jedes dritte Unternehmen will sich damit vor allem stärker am Kunden orientieren“, sagt Studienautor Björn Böttcher. Mit künstlicher Intelligenz lassen sich aus riesigen Datenpools die versteckten Vorlieben der Käufer extrahieren – es gelingt, deren Verhalten vorherzusagen oder Empfehlungen für den Kundenservice abzuleiten. Viele Unternehmen unterschätzen das Potenzial der Technologie allerdings noch um Längen.

Karlsruhe-Nordstadt, in einem verglasten Bürogebäude will Michael Feindt die Zukunft vorhersagen. Wie viele Äpfel verkauft der Discounter um die Ecke am Mittwoch? Wie viele Brezeln braucht eine Filiale früh am Morgen? Fragen, um die sich bislang Disponenten kümmerten, beantworten jetzt die Algorithmen seiner Firma Blue Yonder. Sie liefern den Disponenten eine Bedarfsprognose für jedes einzelne Produkt. In Feindts Rechenmodelle gehen neben Preisen und historischen Verkaufsdaten rund 300 Faktoren ein: Wochentag, Standort, Ferienzeiten, Rabattaktionen. „Am Ende gleichen unsere Algorithmen ihre Prognosen mit den tatsächlichen Käufen ab“, sagt Feindt, „und lernen so jeden Tag dazu.“


Gewohnheiten der Kunden erkennen

Bei der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann haben die Algorithmen die Zahl der ausverkauften Waren von sechs auf gerade noch ein halbes Prozent gedrückt. Für die Verbraucher ist das wichtig: "Viele Kunden brechen ihren Einkauf ab, wenn sie nicht finden, was sie suchen", erklärt Feindt.

Seine Algorithmen füllen nicht nur Lücken in den Regalen der Supermärkte. Aus den Datenbergen fördern sie einige Geheimnisse über Kunden zutage: So hat Feindt herausgefunden, dass die Ostdeutschen ihren Wocheneinkauf meist am Freitagabend erledigen. Die Westdeutschen stürzen sich dagegen erst am Samstagvormittag ins Einkaufsgetümmel.

Nicht überall haben Entscheider bislang erkannt, welche Hilfe die Datenanalyse sein kann. 45 Prozent der Unternehmen sehen Daten weniger als Chance, sondern eher als Problem, zeigt die Crisp-Studie. „Viele Firmen fürchten vor allem, dass sie Probleme mit dem Datenschutz bekommen, die Lagerung der Daten viel Geld verschlingt oder es Probleme gibt, wenn sie unterschiedlich sensible Datensätze mischen“, sagt IT-Experte Böttcher. So verzichten noch zahlreiche Unternehmen darauf, interessante Zusammenhänge mit Hilfe von künstlicher Intelligenz aus Daten zu extrahieren.

Doch die Datenströme können nicht nur die Gewohnheiten der Kunden offenbaren. Im Februar hat der Softwareanbieter Salesforce ein Programm für Kundencenter herausgebracht, das einen Schritt weiter geht: Es spricht Empfehlungen an Berater aus. Verspätet sich das Päckchen eines Unternehmens im Versand, wird dies automatisch bemerkt und dem Kunden sofort eine Nachricht geschickt. Der Algorithmus kann dann prognostizieren, ob der Kunde als Entschädigung lieber einen Preisnachlass von 50 Prozent wünscht oder einen Kurier, der immerhin am folgenden Morgen bei ihm wäre. „So können die Algorithmen bereits eingreifen, bevor der Kunde überhaupt verärgert ist“, sagt Salesforce-Manager Jochen Katz.

Wenn Algorithmen Verantwortung übernehmen, wird es allerdings für viele Unternehmen heikel. „Oft ist noch nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die Maschine ihre Entscheidungen trifft“, sagt IT-Experte Björn Böttcher. Viele IT-Experten beißen sich gerade die Zähne daran aus, die Entschlüsse der künstlichen Intelligenzen nachzuvollziehen. Den Verkaufsprognostikern von Blue Yonder ist das zumindest ein Stück weit gelungen: Wie viele Brezeln je nach Stunde wohl verkauft werden, macht das System vor allem von den Stoßzeiten abhängig. Dass das Wetter kaum eine Rolle spielt, hätten nicht einmal die Handelsexperten gedacht.

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