Gegen alle Widerstände Wie deutsche Mittelständler Myanmar aufbauen

Myanmar ist ein Land der Pioniere: Während Konzerne die Region wegen hoher Risiken meiden, bauen Gründer und Mittelständler – auch aus Deutschland – trotz immenser Hindernisse die Wirtschaft des früheren Burma auf.

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Mittelstand in Myanmar Quelle: Mathieu Willcocks für WirtschaftsWoche

In Yangon gibt es zwei Arten von Stromausfällen: Die einen dauern maximal drei Stunden, die anderen einen halben Tag und länger. Die größte Stadt Myanmars ist also nicht gerade ein perfekter Ort, um sich als App-Entwickler selbstständig zu machen. Myo Myint Kyaw hat es trotzdem getan und dafür ein Internet-Survival-Kit entwickelt, aus Diesel-Generator, Spannungsregler und Speicherbatterie. Letztere hilft bei kurzen Blackouts: „Damit kommen unsere Laptops etwa drei Stunden aus“, sagt der Burmese. Bei Stromausfall Typ zwei springt der Generator ein.

Die Energieversorgung ist nur eines von vielen Hindernissen für Unternehmen in der ehemaligen britischen Kolonie. Der Zustand der Infrastruktur ist erbärmlich: Erst 30 Prozent der Burmesen haben einen Strom- und Wasseranschluss. Im Sommer, wenn die Temperaturen auf 37, 38, 39 Grad klettern, gibt es täglich Ausfälle. Das Mobilfunknetz ist im Aufbau, deckt bisher aber nur die Städte ab. Außerhalb von Yangon, Mandalay und dem Regierungssitz Naypyidaw sind die Straßen meist staubige Buckelpisten, die in der Regenzeit von reißenden Bächen unterbrochen werden. Hinzukommen Korruption, eine ausufernde Bürokratie, ein kaum entwickeltes Bankwesen, fehlende Rechtssicherheit, Bürgerkriege in einzelnen Regionen und Spannungen mit China.

Fakten zu Myanmar

Und dennoch: Im früheren Burma herrscht Aufbruchstimmung. „Einige deutsche Mittelständler haben den Sprung gewagt“, sagt Daniel Müller, Regionalmanager für die Asean-Staaten beim Ostasien-Verein der deutschen Wirtschaft (OAV). „Konzerne halten sich eher zurück.“ Ihnen ist die politische Lage noch zu instabil, sind die Rahmenbedingungen zu schlecht.

Zu den Ausnahmen zählt seit 2013 der Düsseldorfer Konsumgüterriese Henkel. Dessen Waschmittel produziert ein burmesischer Subunternehmer, in eine eigene Fabrik wollen die Deutschen bisher nicht investieren. „Dafür fehlen noch ein paar Grundvoraussetzungen“, sagt Jens Knoke, der Henkels Myanmar-Geschäft leitet. Er nennt die schlechte Infrastruktur und vor allem die unzuverlässige Energieversorgung. Zudem mangele es bei vielen Gesetzen an der Umsetzung. Beamte wissen oft nicht, wer für was zuständig sei.

Das sind die Märkte von morgen
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„Wir trauen dem Markt aber sehr viel Potenzial zu“, sagt Knoke. Myanmar hat rund 51 Millionen Einwohner. Aber noch sind 1,80 Dollar für ein Kilo Dixan oder Xtra, wie Persil und Spee hier heißen, zu viel bei einem Monatseinkommen von oft weniger als 100 Dollar pro Familie. Knoke hofft auf die steigende Kaufkraft der Burmesen: „Langfristig ist es unser Ziel, mit einer eigenen Produktion hier vertreten zu sein.“

So sind vor allem Gründer und Mittelständler die Burma-Pioniere. Die WirtschaftsWoche hat vier von ihnen besucht.

Homepages auf Burmesisch

App-Entwickler Kyaw sitzt mit MacBook Air und iPad-Mini auf seiner Dachterrasse. Stolz zeigt er seine App „Phew“. Damit können Kinder im Vorschulalter die verschnörkelte burmesische Schrift erlernen. 1,99 Dollar kostet „Phew“ im App-Store – den es allerdings in Myanmar nicht gibt. Auch hat kaum jemand eine Kreditkarte. Improvisierte Lösung für das Problem: „Die Leute gehen in einen Telefonladen, zahlen bar, und jemand spielt ihnen die App auf das iPad“, sagt Kyaw. 3000 Leute haben die App schon so gekauft.

Apps sind für Kyaw aber nur ein Hobby. Geld verdient der Unternehmer vor allem mit der Entwicklung von Web-Sites. 2012 kehrte er nach einem Studium in London und zwei Jahren Joberfahrung in Singapur in seine Heimatstadt Yangon zurück und gründete Revotech. Vor der Öffnung des Landes 2011 hatte kaum jemand einen Internet-Anschluss oder eine Web-Site. Dann strömten Unternehmen ins Land, die eine burmesische Homepage brauchten. „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt der 30-Jährige. Mit seinen 15 Mitarbeitern erwirtschaftet er rund 500.000 Dollar Jahresumsatz. Zu seinen Kunden zählt etwa Autobauer Nissan.

Das Internet ist noch immer instabil. Wenn es ausfällt, richten die Revotech-Mitarbeiter Hotspots mit ihren Handys ein. „Manche Aufträge dauern deswegen länger“, sagt Kyaw. „Das erkläre ich den Kunden. Dafür sind wir auch billiger.“

Notstrom für Mobilfunker

Die Erstellung einer Web-Site kostet in Singapur 25.000 Dollar, in Yangon nur 3000. Viele Agenturen in Singapur und Kalifornien geben deswegen Aufträge an Revotech weiter. „Ich habe dreimal mehr Anfragen, als ich annehmen kann“, sagt Kyaw.

Die Auslandserfahrung sei der entscheidende Faktor für seinen Erfolg gewesen, sagt er: „Ich habe dort Kontakte gesammelt und die Businesskultur verstanden.“ Bleiben will er aber in Yangon: „In Singapur oder London ist nicht mehr viel Platz. Hier aber gibt es so viele Möglichkeiten.“

„Das Gehirn“ nennt Verena Baumeister die Box. Der Energy Manager, den sie als Projektleiterin des Berliner Unternehmens Heliocentris verkauft, ist etwa so groß wie ein DVD-Player, vorn sind ein paar Knöpfe, hinten Kabelzugänge. Es wird später in ein Kästchen im Mobilfunkmast montiert und regelt dessen Stromversorgung.

Myanmar ist eines der wenigen Länder ohne flächendeckendes Handynetz. Bis vor einem Jahr kosteten SIM-Karten 2000 Dollar. Im April 2014 öffnete die Regierung den Markt. Telenor aus Norwegen und Ooredoo aus Katar begannen, ein Mobilfunknetz aufzubauen. Die Preise für SIM-Karten stürzten schlagartig auf 1,50 Dollar. Millionen von Burmesen telefonieren seitdem und surfen im Internet. Ein Mobilfunknetzwerk benötigt Sendemasten mit Antennen, und die brauchen Energie. „Besonders im Sommer wird es schlimm, wenn fast täglich der Strom ausfällt“, sagt Baumeister.

Mit dem Energy Manager ist es möglich, die Masten in Echtzeit zu überwachen. Ein Computerbildschirm in der Steuerzentrale in Yangon zeigt an, welcher der 600 Masten über das reguläre Netz mit Strom versorgt wird. Treten Probleme auf, verständigen die Deutschen einen ihrer Vertragspartner. Der schickt Mitarbeiter zu dem betroffenen Sendemast, um ihn wieder ans Netz anzuschließen. In der Zwischenzeit sichert ein Notstromsystem aus Dieselgenerator, Batterie oder Solar-Hybridsystem den Betrieb.

„Keiner unserer Wettbewerber verfügt über ein solch zuverlässig funktionierendes System“, sagt Baumeister, die nur für drei Monate kommen wollte und nunmehr seit fast einem Jahr in Myanmar arbeitet.

„Die größte Herausforderung ist die fehlende Infrastruktur“, sagt Heliocentris-Vertriebschef Jens Fiedler. Abseits von Yangon und Mandalay sind die Straßen in schlechtem Zustand, die Masten zum Teil schwer zugänglich. 200 Kilometer Autofahrt dauern schon mal zehn Stunden. Für Heliocentris ist der Auftrag der beiden auf den Betrieb von Mobilfunkmasten spezialisierten myanmarischen Unternehmen Apollo Towers und Irrawaddy Green Tower der bisher wichtigste: Rund die Hälfte des Umsatzes von 19 Millionen Euro kamen 2014 aus dem asiatischen Land.

Essen ohne Reue

Im Rangoon Tea House schaufeln Ventilatoren heiße Luft umher. Touristen, Expats und Burmesen aus der neuen Mittelschicht sitzen hier und bestellen Teeblättersalat, Kokosnusswasser und Currys. Zwar gibt es seit der Öffnung ein paar ausländische Restaurants in Yangon. Doch wer traditionell burmesisch essen will, muss in die Teehäuser – laute Hallen mit Plastikstühlen, in denen Essenszutaten oft ungekühlt herumliegen. Das Rangoon Tea House ist das erste, das traditionelle Küche auf internationalem Standard anbietet.

Gründer Htet Myet Oo trägt einen Longyi, den traditionellen Männerrock der Burmesen, dazu eine modische Nerdbrille. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste Ende der Achtzigerjahre flüchteten seine Eltern, von Beruf Ärzte, wie viele Intellektuelle nach Großbritannien. Da war Oo vier Jahre alt. „Wir konnten es uns nur alle zwei Jahre leisten, unsere Verwandten in Yangon zu besuchen“, sagt der 25-Jährige. „Aber ich liebte die ruhige Atmosphäre dort.“ Nach dem Wirtschaftsstudium beschloss Oo, in sein Vaterland zurückzukehren und ein Restaurant zu eröffnen.

Oo, seine Freundin und zwei stille Teilhaber legten dafür 150.000 Dollar zusammen. Einen Kredit aufzunehmen, sagt er, wäre verrückt gewesen: „Das Bankwesen in Myanmar ist noch völlig dysfunktional. Die Zinsen liegen bei 50 Prozent pro Jahr.“

Der Traum vom Strand

Schon in den ersten Wochen nach dem Start im November 2014 fand das Rangoon Tea House seine Kundschaft: „Wir machen im Monat rund 60.000 Dollar Umsatz“, sagt Oo. „Und unsere Umsatzrendite liegt bei 40 Prozent.“ Das Geld investiert er wieder: In Kürze will er eine Fläche im Nebenhaus anmieten und dort in einer Art Biosupermarkt burmesische Produkte verkaufen.

Als Haupthindernisse für sein Unternehmen nennt Oo zwei Punkte: Erstens, frische Lebensmittel zu bekommen ist wegen der langen Transportwege sehr aufwendig. „Besonders Fleisch ist ein Problem“, sagt Oo. „Kunden haben sich schon über zu viele Knochen im Hühner-Curry beschwert, aber die Tiere sind hier einfach sehr klein.“

Bauern in Myanmar Quelle: Mathieu Willcocks für WirtschaftsWoche

Zweitens sei es schwierig, gute Kellner zu finden. 35 Leute beschäftigt Oo, Erfahrung hat so gut wie niemand. Die meisten Burmesen besuchen nur vier Jahre lang eine Schule. Oo hat drei Fachleute in Küche, Bar und Service angestellt, die seine Mitarbeiter ausbilden. „Ich versuche, ihnen Spaß bei der Arbeit zu vermitteln“, sagt der Unternehmer. Und er zahlt mit 250 Dollar im Monat überdurchschnittlich viel.

Oo rechnet mit mehr Konkurrenz, aber das sieht er auch positiv: „Mehr Wettbewerb wird dazu führen, dass es besseres Personal gibt und mehr Leute hochwertiges burmesisches Essen schätzen.“

Andre Schneegass träumte von einem Strand, einen Kilometer lang und geformt wie ein Halbmond. Kokospalmen wachsen dort, hinter dem Sand schwingen sich Hügel in 250 Meter Höhe, von denen man einen atemberaubenden Blick auf den Indischen Ozean hat. Auf dem Strand stehen zehn Bambushütten mit Terrassen, mittendrin ein Gemeinschaftshaus samt kleinem Restaurant mit Reis, frischem Fisch, Papayas und Avocados. Es gibt kein Internet, die Leute, die hierherkommen, verabschieden sich für einige Tage von allem, um nur Sonne, Wasser und Wind zu spüren.

Schneegass hat diesen Strand gefunden. Das Problem ist nur: Er darf dort nicht bauen.

Unverschämt billig

Zum ersten Mal kam der Thüringer Event-Manager 2010 als Urlauber nach Myanmar. Damals war Land noch unverschämt billig. „1,5 Hektar für 5000 Dollar, hat man mir erzählt“, sagt der 31-Jährige. Das Land war unberührt vom Massentourismus, die Strände aber waren mindestens so schön wie die in Thailand. Das touristische Potenzial ist riesig.

„Als Ausländer darf man kein Land kaufen“, sagt er. „Du musst ein Joint Venture gründen, dafür brauchst du 50 000 Dollar.“

Schneegass flog nach Australien und heuerte in Kupfer- und Goldminen als Lastwagenfahrer an. Am Ende des Jahres hatte er das Geld zusammen. 2012 flog er zurück nach Myanmar und reiste durchs Land. Eines Tages verpasste er den Bus von Mandalay nach Yangon und trampte. Es stoppte ein Burmese aus dem Süden. Schneegass erzählte von seinem Traum, und der Burmese sagte: „Okay, ich kaufe das Land, du baust die Hütten.“

Im Sommer 2014 erwarb sein Partner den Strand mit seinem eigenen Geld. „Wir hatten schon im November eine Baugenehmigung“, sagt Schneegass. „Zwei Wochen später kam plötzlich die Absage von der Lokalregierung: Der Strand sei kein ausgewiesenes Bauland.“ Seitdem wartet er. Nichts geschieht.

„Zuerst hieß es, wir müssten das zuständige Komitee zum Essen einladen, damit die ein gutes Wort beim Minister einlegen.“ Das taten die Partner, aber es half nichts. Seitdem rührt sich nichts.

Das Leben in Dawei, der nächstgelegenen Stadt, ist günstig. 500 Dollar reichen im Monat. Schneegass verdient etwas Geld als Reiseleiter. Dennoch gehen seine Ersparnisse zur Neige. Vor allem aber zerren die unergründlichen Tiefen der burmesischen Bürokratie an seinen Nerven.

Trotzdem bleibt er. Manche halten ihn für verrückt. Seine Mutter hätte ihn gerne wieder daheim, die Frau seines burmesischen Partners versteht nicht, wie er ein komfortables Leben in Deutschland freiwillig aufgeben kann. „Der Strand ist mein Traum“, sagt Schneegass. „Wenn ich es jetzt nicht versuche, werde ich mir das mein Leben lang vorwerfen.“

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