Gründerstadt München Smartphone und Lederhose

Mit Stargästen wie Richard Branson oder Kevin Spacey auf dem Oktoberfest macht die Gründerkonferenz „Bits & Pretzels“ Furore. Immer mehr Start-ups ziehen an die Isar. Aber taugt München wirklich zur Gründer-Metropole?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Virgin-Gründer Richard Branson bei seinem Auftritt auf der Gründermesse. Quelle: Imago

München Selbst die Regeln des mehr als 200 Jahre alten Oktoberfests scheinen für die „Bits and Pretzels“-Macher nicht zu gelten: Am Dienstag, dem letzten Tag der Münchner Gründerkonferenz, füllten sie mit ihren rund 5000 Teilnehmern fast ein ganzes Festzelt. Eigentlich sind solche privaten Großveranstaltungen auf der Wiesn verpönt.

Doch wo sollen die ganzen Internet-Unternehmer auch sonst hin, wenn nicht in eins der riesigen Bierzelte? In nur zwei Jahren ist „Bits & Pretzels“ zur zahlenmäßig größten Digitalkonferenz in Deutschland gewachsen. Auch der Star-Faktor ist nicht mehr spürbar geringer als bei der „Digital Life Design“ (DLD) des Burda-Verlags oder der Berliner „Noah“-Konferenz: Auftritte von Oscar-Preisträger und Virtual-Reality-Enthusiast Kevin Spacey und Unternehmer-Legende Richard Branson machten Furore weit über die Grenzen der bayerischen Landeshauptstadt. Und an einem Gang im Festzelt umringten Jungunternehmer Airbnb-Gründer Nathan Blecharczyk in Lederhose, der lächelnd mehr als eine Stunde lang Fragen beantwortete, Visitenkarten einsteckte und auf Gruppenselfies posierte.

Unter den Gründerkonferenzen ist die „Bits and Pretzels“ das erfolgreiche Start-up, das dem alten CSU-Slogan „Laptop und Lederhose“ ein Update verpasst hat – aber trotzdem lebt die Konferenz anders als etwa die Noah vor allem von angereister Prominenz. Die Start-up-Stadt München glitzert drei Tage im Spätsommer – aber die Milliardenunternehmen wie Zalando oder Delivery Hero sitzen in Berlin.

Bernd Storm van's Gravesande kennt die Start-up-Szene Münchens bestens. Der Gründer von Aboalarm organisiert die „Bits and Pretzels“ gemeinsam mit Andreas Bruckschlögl und Felix Haas. Überraschend zurückhaltend fällt sein Plädoyer für die drittgrößten deutschen Metropole aus. Erst mal zählt er ihre diversen Nachteile gegenüber Berlin auf: „Als gut ausgebildeter Ingenieur oder BWLer kannst du hier halt auch zur Allianz oder zu BMW gehen.“

Auch große US-Tech-Firmen wie Amazon, Microsoft oder IBM zögen mit ihren Europazentralen Talent ab. „Als Gründer hast du extreme Opportunitätskosten.“ An 200 Studenten haben Storm und seine Mit-Organisatoren deshalb kostenlose Tickets verteilt, um ihnen den Lebensentwurf Unternehmensgründung näherzubringen.

Dazu kommen die hohen Lebenshaltungskosten, die das knappe Startkapital der Gründer viel schneller als in Berlin aufsaugen. Storm weiß, wovon er spricht: Als Vater von zwei Kindern behielt er seinen Beraterjob noch zwei Jahre nach der Gründung von Aboalarm – das Leben in München wäre sonst unbezahlbar gewesen.

In der Folge entstand in der bayerischen Landeshauptstadt nie der „Just Do It“-Spirit Berlins: „Die Gründerszene in München ist fragmentierter. Es gibt nicht die eine Szene, sondern kleinere, vertikale Cluster“, sagt Storm. „Im E-Commerce können wir momentan nicht gegen Berlin anstinken.“


Münchens Start-ups vermehren sich - von niedrigem Niveau

Anderseits werden die Start-ups der Zukunft auch nicht mehr den Modehandel oder die Essenslieferung digitalisieren. Die Zeiten, in denen eine gute Idee, Mut und rudimentäre Programmierkenntnisse ausreichten, um erfolgreich zu gründen, neigen sich dem Ende zu. Die Themen der Zukunft heißen Robotik, Automatisierung, Internet der Dinge. Und hier könnte für Start-ups die Nähe zu Siemens, BMW und zwei Top-Universitäten von Vorteil sein.

Tatsächlich siedeln sich laut der Branchenbefragung „Deutscher Start-up-Monitor“ von 2015 immer mehr junge Wachstumsunternehmen an der Isar an: Von den gut 1000 Unternehmen im Panel hatten 11,5 Prozent ihren Sitz in München, ein Jahr zuvor waren es nur acht Prozent. „Es sind vielleicht weniger Firmen insgesamt, aber die halten länger durch“, sagt ein in München ansässiger Investor. Aboalarm-Gründer Storm sieht es etwas nüchterner: „Ja, es gibt einen Trend zu mehr Start-ups, aber weniger als bisher geht ja auch nicht."

Berlin verlor im gleichen Zeitraum deutlich, statt 39 Prozent im Vorjahr saßen nur noch 31,5 Prozent der jungen Tech-Firmen in der Hauptstadt. Während sich dort im vergangenen Jahr das Finanzierungsumfeld eingetrübt hat, machten in München mehrere Hightech-Start-ups mit Investorenrunden von sich reden: ProGlove etwa, das einen intelligenten Handschuh für Produktionsarbeiter baut oder das Industrie-Sensoren-Start-up Konux, das im April 7,5 Millionen Dollar unter anderem von Andy Bechtolsheim, dem ersten Google-Investor, einsammelte. Einen „jungen, spezialisierten Weltmarktführer“, nennt Storm die Firma.

Selbst verrückt erscheinende Ideen schaffen es im sonst so konservativen München erstaunlich weit: So wie der Bob für Lebensmüde in einer Werkshalle im Vorort Garching, der einmal die Zukunft des Fernverkehrs werden könnte. Im „Maker Space“ für Hardware-Tüftler, den die Technische Universität betreibt, baut ein Team von 37 Studenten an einer Kapsel für den Hyperloop.


Selbst scheinbar verrückte Ideen kriegen eine Chance

Einer von ihnen ist Bailey Curzzad. Der schmale 28-Jährige mit dem dünnen Kinnbart hebt den vorderen Teil der Hülle von der Kapsel, auf der in silbernen Lettern „Airbus Group“ steht. Mehr als 100.000 Euro Sponsoring für das Projekt sei bereits von dem Flugzeugbauer geflossen, der im nahen Ottobrunn sein Raumfahrtzentrum betreibt. In der geöffneten Kapsel sieht man außer einer bronzen-schimmernden Metallplatte nichts, in jedem Sarg reiste es sich gemütlicher. „Es ist ein Prototyp, so würde natürlich niemand darin fahren“, sagt der Raumfahrttechnik-Student.

Eine größere Version des viereinhalb Meter langen, einen Meter breiten Pods, der unter grellen Neonröhren auf einem Metallgestell liegt, soll eines Tages mit 1200 Stundenkilometern durch eine Röhre jagen. Würde das Transportsystem einmal Wirklichkeit, könnte man in Prenzlauer Berg leben und in einer halben Stunde ins Büro am Wittelsbacherplatz in München pendeln.

Spiritus Rector des Projekts ist Elon Musk, Gründer von Tesla und der Raumfahrtfirma SpaceX, mit der er Kolonisten auf den Mars schicken will. Der Milliardär lobte einen Wettbewerb aus, für den 120 Studententeams aus der ganzen Welt Konzepte einreichten. 33 qualifizierten sich für die nächste Runde, darunter das Münchner Team, als nur eines von zwei aus Europa. Im Januar 2017 sollen die blau gestreifte Kapsel aus München und ihre Konkurrenten auf einer eineinhalb Kilometer langen Teststrecke in Kalifornien um die Wette fahren.

Das Visionäre, das Experimentelle ist es, was Bailey Curzzad an dem Projekt begeistert. Nach München brachte ihn sein Masterstudium, danach will er in der Raumfahrt arbeiten. „Aber keine Raketen oder Satelliten, wie sie schon hundertfach im All waren. Eher Sonden, die an Orte fliegen, wo noch keiner war.“

Klingt fast, als habe München Berlin als Stadt der Träumer abgelöst.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%