Die Reaktionen der Unternehmen bleiben nicht aus: C&A hat seine Filialen an einen türkischen Konkurrenten verkauft. Die Parfümerie-Kette Douglas hat sich zurückgezogen. HeidelbergCement "nimmt angesichts der politischen Unwägbarkeit im Land derzeit von weiteren Investitionen in der Türkei Abstand." Der Tourismus, ein wichtiger Devisenbringer, und nach der Baubranche wichtigster Sektor der türkischen Wirtschaft, ist eingebrochen.
Und trotzdem: Es könnte schlimmer sein in der Türkei 2017. Die nackten Zahlen sind bei weitem nicht so katastrophal, wie es man es vermuten könnte.
Die Wirtschaft wächst immerhin noch mit 2,9 Prozent – schneller als fast jedes andere europäische Land. Der IWF rechnet für das Jahr 2018 mit 3,5 Prozent Wachstum. Die Börse hat sogar gerade ein Allzeithoch erreicht.
Die Zukunft ist unsicher
Trotz einiger Gegenbeispiele kann man nicht von einem großen Exodus deutscher Unternehmen sprechen. Der deutsche Konzern Media Markt vermeldet ein Umsatzplus von 19 Prozent für das Jahr 2016, was die Türkei zum wichtigsten Wachstumsmarkt des Unternehmens macht. Die Deutsche Post will bis 2019 weitere 100 Millionen Euro in der Türkei investieren.
"Von einem Kollaps kann keine Rede sein", sagt Tamer Yilmaz, Ökonom bei der Ziraat Bank in Istanbul. Die Wirtschaft der Türkei hänge vor allem an globalen Faktoren ab - von der Nachfrage in den wichtigsten Industriestaaten, der Zinsentwicklung und dem Ölpreis. "Das ist ausschlaggebender als die politischen Entwicklungen." Zudem sie die türkische Wirtschaft gut in die europäischen Lieferketten integriert.
Sorge bereiten dem Ökonomen die stagnierenden Direktinvestitionen – sie hängen derzeit auf einem Niveau von sechs Milliarden US-Dollar fest. Das ist zu wenig für ein Land mit einem hohen Aushandelsdefizit. Zudem ist die Inflation wieder auf über zehn Prozent angewachsen, was die Zentralbank zu einer restriktiveren Geldpolitik zwingt.
Insofern hat Unternehmensberater Heidinger Recht: Was sich geändert hat, ist vor allem die Stimmung, weniger die nackten Zahlen. Die Zahlen könnten zwar besser weitaus besser sein, auf eine Katastrophe aber deuten sie nicht hin. Doch die schlechte Atmosphäre trifft vor allem kleinere und mittlere Unternehmen.
Für große Konzerne wie Siemens oder Bosch bleibt die Türkei ein attraktiver Markt. Siemens ist seit über 160 Jahren in dem Land aktiv, und hat somit mehr als einen Militärputsch miterlebt. Solche Zeithorizonte können kleinere und mittelständische Unternehmen nicht haben – sie haben nicht das Budget, um eine lnge Flaute bei einem Auslandsprojekt auszusitzen.
In der Türkei 2017 scheint alles möglich. Das Land kann eine Art zweites China werden – ein guter Geschäftspartner mit großen Demokratiedefiziten, es kann im Chaos versinken, oder – die Hoffnung stirbt zuletzt – seinen Weg zur Demokratie zurückfinden.
"Ich empfehle Unternehmen hier, vorsichtig und flexibel zu bleiben", sagt Peter Heidinger. "Das aber gilt letztlich für alle volatilen Märkte."