Ottobock-Chef Hans Georg Näder „Ich habe unsere Familie auf Zeit erweitert“

Der Chef des Prothesenherstellers Ottobock, Hans Georg Näder, spricht gemeinsam mit Finanzinvestor Marcus Brennecke über den Einstieg von EQT ins Familienunternehmen und erklärt, was er sich von der Beteiligung des Finanzinvestors verspricht.

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„In der Zukunft werden diese intuitiv, quasi durch Gedanken, gesteuert.“ Quelle: Malte Jaeger/laif

Sie sitzen jetzt im selben Boot. Hans Georg Näder und Marcus Brennecke lieben es zu segeln. Ersterem, dem Chef des Prothesenherstellers Ottobock, gehört sogar eine eigene Werft in Finnland, der andere, Deutschlandchef des schwedischen Private-Equity-Unternehmens EQT, hat es in der Sportart zum Vize-Weltmeister gebracht. Jetzt wollen sie gemeinsam Ottobock in die Zukunft führen.

Herr Näder, herzlichen Glückwunsch zur doppelten Verlobung – privat und geschäftlich. Machen Sie immer alles gleichzeitig?
Näder: Mein Einsatz für das Unternehmen und mein Privatleben habe ich ja noch nie voneinander getrennt. Meine Verlobung und die Verhandlungen verliefen daher ebenfalls im Gleichklang (lacht).

Die Investitionsvereinbarung mit EQT fiel auch noch auf den Geburtstag Ihres Vaters. Haben Sie das Datum bewusst gewählt?
Näder: Das hat einfach gerade gut gepasst. Mein Vater wäre an dem Tag 102 Jahre alt geworden, insofern kreuzten sich hier Vergangenheit und Zukunft. Viele meiner Mittelstandskollegen sind ja eher rückwärtsgewandt, ich schaue gern nach vorn.

Dass der Investor EQT heißt, ist sicher auch kein Zufall …
Näder: Nein. Als wir den Auswahlprozess Ende 2016 mit Dorothee Blessing von JP Morgan gestartet hatten, da meldete eine überwältigende Zahl an Parteien ihr Interesse an einem Einstieg an, viele davon aus Asien, den USA oder Kanada.

Und dann?
Näder: Wir haben uns die einzelnen Kompetenzen angeschaut, nach Synergien in den Portfolios der Investoren gesucht, aber auch weiche Faktoren wie beispielsweise Kultur und Image des möglichen Partners sind eingeflossen. Nach intensiven Gesprächen waren KKR mit Johannes Huth, CVC mit Alexander Dibelius und EQT mit Marcus Brennecke die Top drei.

Und was gab den Ausschlag für EQT?
Näder: EQT besitzt bereits zwei Unternehmen aus verwandten Geschäftsfeldern, den Hörgerätehersteller Sivantos und Lima, einen italienischen Produzenten von Endoprothesen. Das verschaffte EQT einen Vorteil. Übrigens hat Marcus Brennecke gleich mal selbst einen elektrischen Rollstuhl gesteuert, der wollte es ganz genau wissen. Das hat mich beeindruckt.

Hat es eine Rolle gespielt, dass die Familie Wallenberg hinter EQT steht? Und damit weiß, wie Sie als Familienunternehmer ticken?
Näder:   Ja, sicher. EQT entspricht in keinster Weise dem Klischee von der Heuschrecke, die Firmen aussaugt und dann schnell weiterzieht. Die Kulturen beider Unternehmen passen gut zueinander.

Wie genau?
Näder:   EQT hat wie Ottobock auch eine lange Tradition. Mein Großvater hat vor rund 100 Jahren ein Start-up in Berlin-Kreuzberg gegründet, mein Vater hat nach der Enteignung durch die Sowjets 1946 einen neuen Grundstein gelegt. Ich wurde mit 28 Jahren Vorstandschef. Das prägt.

Aber welche Werte leiten Sie daraus ab?
Näder:   Vertrauen und Verlässlichkeit. Respekt und Empathie. Und unternehmerische Neugier. Davon habe ich vieles auch bei EQT wiedergefunden.

EQT beteiligt sich mit 20 Prozent an Ottobock. Das ist nicht unbedingt üblich bei Finanzinvestoren, die oft die Mehrheit übernehmen wollen.
Näder: Ja, aber da setzt offenbar ein Umdenken ein. Es gab schon ähnliche Transaktionen wie etwa den Einstieg von KKR beim Aromenhersteller Wild. Die Renditevorstellungen sind übrigens ähnlich, sie liegen im zweistelligen Bereich.

Und Sie, Herr Brennecke, wie sehen Sie das?
Brennecke: Um ehrlich zu sein, gehen wir in der Tat lieber Mehrheitsbeteiligungen und nur im Einzelfall Minderheits- oder Co-Control-Engagements ein. Wenn wir einen größeren Anteil hätten bekommen dürfen, wären wir auch nicht böse gewesen. Aber Hans Georg Näder hat das gute Recht, zu entscheiden, was er für sein Unternehmen sowie sich und seine Familie für richtig erachtet. In einem solchen Fall müssen sich beide Seiten gut überlegen, was sie vom jeweils anderen erwarten. Mit ihm konnten wir uns ein solches Konstrukt sehr gut vorstellen, da er nicht „stilles“ Kapital wollte, sondern einen echten Sparringspartner auf Augenhöhe, der komplementäre Kompetenzen mitbringt.

Aber zeigt es nicht auch, dass im Markt derzeit nicht so viele Mehrheitsübernahmen möglich sind? Und so viel Geld bei den Fonds liegt, dass man eben auch mehr Minderheitsbeteiligungen eingeht?
Brennecke: Sicher. Es ist viel Geld im Markt, gar keine Frage. Das hier ist aber ein ganz spezieller Fall. EQT Partners sind in der Medizintechnik der Private Equity Investor Nummer eins in Europa mit Engagements bei Sivantos und Lima sowie bei einer Vielzahl anderer Unternehmen; wenn die Möglichkeit besteht, bei einem globalen Medtech-Champion wie Ottobock eine tragende Rolle zu spielen, dann wollten wir natürlich dabei sein. Und wir würden uns freuen, wenn das Beispiel Ottobock als eine Blaupause für weitere Partnerschaften zwischen erfolgreichen deutschen Mittelständlern und EQT dienen würde.

Was genau bringt so ein Einstieg für ein Familienunternehmen?
Näder: Das kann zwei Zwecken dienen. Einmal beim Generationenübergang, wenn dieser beispielsweise in dritter oder vierter Generation gestört ist. Und zweitens, wie bei uns, wenn es um Zukäufe geht und man Werte heben will, die man bisher alleine so nicht gesehen hat. Schauen Sie: Ich kann mich aus dem Management heraus beraten lassen oder von McKinsey, AT Kearney oder BCG – aber final ist es eine andere Sache, wenn jemand auf Augenhöhe und dazu Anteilseigner ist. Im Endeffekt haben wir mit EQT unsere Familie auf Zeit erweitert.

Was ist denn die Erwartungshaltung an EQT?
Brennecke:   Die Erwartungshaltung an uns ist, Ottobock beim organischen und anorganischen Wachstum zu unterstützen, Ertragspotenziale zu finden und die konsequente Umsetzung zu begleiten. Zudem: bei der Priorisierung zu helfen und einen Börsengang vor dem Hintergrund unserer IPO-Erfahrung, nicht nur in Deutschland, vorzubereiten.

Ottobock wurde komplett geprüft. Wie fühlte sich das an?
Näder: Die wirtschaftliche Detailprüfung durch EQT und die Berater war sehr intensiv, da haben wir viel gelernt über das eigene Unternehmen, das ist einmalig. Sie müssen sich das so vorstellen: Man entrümpelt sein eigenes Haus und schaut mit der Taschenlampe unter jedes Bett und in jede Schublade.

Wie könnte am Ende ein Ausstieg aussehen?
Näder: Das kann beispielsweise ein Börsengang sein …

Von dem Sie bereits vor Monaten gesprochen haben.
Näder:   Ja, aber durch den Einstieg von EQT haben wir den nun verschoben. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, den Wert der Firma über fünf bis sieben Jahre massiv zu steigern, etwa durch Investitionen in die Bionik. Sehen Sie, ich bin jetzt 55, wenn EQT sieben Jahre an Bord bleibt, dann ist das eine prägende Zeit in meinem Leben.

Was sprach denn jetzt genau für einen Finanzinvestor und gegen den unmittelbaren Börsengang?
Näder:   Wir wollen weiter bis 2019 börsenreif sein, EQT hilft uns mit großer Erfahrung dabei. Aber nun haben wir vor einem möglichen Börsengang die Zeit, versteckte Ertragspotenziale zu heben und uns weiter zu professionalisieren. Das macht das Unternehmen später umso wertvoller.

Ottobock wird mit 3,15 Milliarden Euro bewertet. Der Anteil von EQT liegt dann entsprechend bei rund 600 Millionen Euro. Ist der Preis angemessen?
Brennecke: Natürlich hätte EQT es gerne günstiger gehabt, aber der Preis ist gerechtfertigt. Wir hätten es ja nicht machen müssen, uns hat keiner gezwungen.

Wie haben Sie Herrn Näder kennen gelernt?
Brennecke: Ich habe schon seit langer Zeit versucht, den Kontakt zu ihm zu knüpfen. Zu einem ersten persönlichen Treffen kam es dann bei einem Abendessen in München mit unserem gemeinsamen Bekannten, dem Unternehmer Peter Harf. Ich habe Hans Georg Näder kennen gelernt als einen sehr erfolgreichen Unternehmer. Dinge, die er sagt, sagt er bewusst. Er hat sich sehr genau Gedanken gemacht, wann er welchen Partner in welcher Höhe an Bord holen möchte.

Dann gehen Sie mittlerweile auch ohne den Topmanager Peter Harf, der seit Jahrzehnten das Vermögen der Industriellenfamilie Reimann vermehrt, zusammen essen?
Näder: Natürlich. Aber Peter Harf ist trotzdem eines meiner persönlichen Vorbilder. Neben meinem Vater sowie SAP-Gründer Hasso Plattner. Ich brauche solche Freunde, Sparringspartner, Intellektuelle. Ich bin in das Unternehmen Ottobock hineingeboren, habe als Kind nichts anderes gehört. Es drehte sich immer alles nur um die Firma. Und dann bin ich mit 28 plötzlich Chef geworden – von einem Weltmarktführer, auch damals schon, wenn auch noch kleiner. Da habe ich oft in meiner Duderstädter Lieblingskneipe gesessen und überlegt, ob das gutgeht. Und jetzt freue ich mich, einen kompetenten Partner an meiner Seite zu haben – auf Augenhöhe.

Könnte Ihr Beispiel Schule machen?
Näder: Klar. Um es deutlich zu sagen: Weder Marcus Brennecke noch ich sind sozial-romantisch veranlagt, sondern haben den professionellen Anspruch, Werte zu schaffen. Unsere Vereinbarung ist doch ein gutes Beispiel dafür, wie eine solche Minderheitsbeteiligung von einem führenden Private-Equity-Haus an einem marktführenden Unternehmen ein ganz interessanter Schachzug in Richtung Zukunft sein kann. Auch für den deutschen Mittelstand. Für meinen Vater war ein Börsengang ein Hexenwerk, Private-Equity-Firmen hätte er als Heuschrecken verdammt. Auch ich hatte früher noch eine andere Einstellung. Aber dieser Spielzug ist eine hochinteressante Alternative für beide Seiten, wir gehen für eine gewisse Zeit zusammen, generieren Mehrwert und haben Spaß dabei.

Wie steht es um das Interesse Ihrer Töchter, ins Unternehmen einzusteigen?
Näder: Georgia, 20, studiert seit einem Jahr an der ESADE in Barcelona Business und Marketing und wird künftig unsere Familie im Aufsichtsrat vertreten und zudem in der Geschäftsführung der Ottobock Holding, unter deren Dach wir unsere unternehmerischen Aktivitäten bündeln. Und die Große, Julia, 26, hat ihren Bachelor in BWL hier an der FU Berlin gemacht und will jetzt für den Master nach London. Sie wird ihre ersten Schritte in der Ottobock Global Foundation gehen als Vorbereitung auf ihre Rolle als Gesellschafterin.

Und wie sieht Ihrer Vorstellung nach Ihre Branche in fünf Jahren aus?
Näder: Prothesen dürften dann fühlen und zwischen warm und kalt unterscheiden können. Und sie werden intuitiv, quasi durch Gedanken, gesteuert. Der Schaft der Prothese und der menschliche Körper verschmelzen. An solchen Themen sind auch Google, Amazon oder Apple interessiert.

Mit den Autobauern sind Sie auch im Dialog ...
Näder: Ja, da geht es um das Thema autonomes Fahren. Die Bionik, die technische Nachahmung der Natur, fing an mit der Kriegsopferversorgung, dann kam die Behindertenversorgung, und jetzt sind wir bei der künstlichen Intelligenz und den Cyborgs angekommen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass unser Geschäft einmal so spannend werden würde. Aber dazu müssen wir natürlich auch investieren.

Wann sind Sie stolz auf das, was Sie geschafft haben? Wenn Sie, wie 2016, mit der olympischen Fackel durch Rio de Janeiro laufen?
Näder:   Also, da habe ich mir vor allem gewünscht, dass die Strecke nicht so lang ist, so heiß, wie es da ist. Aber im Ernst: Solche Momente sind die Sahne auf dem Kuchen.

Herr Näder, Herr Brennecke, vielen Dank für das Interview.

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