Porzellan-Manufaktur Meissen und der braune Fleck

Heute feiert die Porzellan-Manufaktur Meissen ihren 300. Geburtstag. Das ist natürlich ein Grund zur Freude. Allerdings übergeht das Unternehmen dabei einen problematischen Teil der eigenen Geschichte.

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Heute setzt Meissen auch auf Engel. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Der Herzog von Windsor war sichtlich beeindruckt. Beinahe majestätisch steht der ehemalige britische Monarch Edward VIII mitten in der Malereiabteilung der Staatlichen Porzellan Manufaktur Meissen beäugt von Nazi-Funktionären, darunter Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann, dem Manufaktur-Geschäftsführer Curt Panzer und von Wallis Simpson, seiner Frau, wegen der er 1936 aus Liebe auf den Thron verzichtet hatte. Ob der Herzog gemerkt hat, dass sein Auftritt der Nazi-Propaganda diente, um der Welt ein heiles Bild von Hitler-Deutschland zu vermitteln? Es ist nicht bekannt. Möglicherweise war er dafür angesichts des TamTams um seine Person einfach zu eitel.

Für die Porzellanmanufaktur aber war der Besuch am 19. Oktober 1937 ein ganz großer Tag. Gehörte sie doch in einer Reihe mit den Daimler-Benz Werken in Stuttgart zu den Vorzeigebetrieben des Regimes, die das Paar auf seiner zehntägigen Deutschlandreise besichtigte, die auch eine Audienz beim Führer in dessen Feriendomizil auf dem Obersalzberg sowie die Visite eines Konzentrationslagers einschloss. Doch bis heute ist das eine weitgehend unbekannte, weil totgeschwiegene Episode in der nun dreihundertjährigen Geschichte der Manufaktur.

Eine gute Stunde besichtigten die Windsors das Werk. Dann ging es zum Mittagessen hinauf auf die Albrechtsburg in den Burgkeller. Die Liste der Geschenke für knapp 1600 Reichsmark war lang: Darunter fand sich auch die Reiterfigur Heinrich der Löwe, den Welfenkönig verehrten Nazi-Ideologen als Kolonisator des Ostens. Porzellanobjekte als diplomatische Geschenke haben Tradition seit dem 18. Jahrhundert. Zwei Salatschüsseln sind im Burgkeller übrigens "abhanden gekommen", wie vermerkt wurde.

Anlässlich der geplanten Ausstellungen und Feiern zum 300jährigen Bestehen des sächsischen Landesbetriebs in diesem Jahr findet sich über die Geschichte der Manufaktur und die Rolle des Porzellans im "Dritten Reich" jedoch keine einzige Ausstellung. Selbst in Deutschlands Porzellanmuseum, dem Porzellanikon in Selb, ist trotz eines umfangreichen Programms zum Jubiläum in Meissen, keine Rede von "Porzellan im Dritten Reich". Das will man noch nachholen, heißt es da. Stört die eigene Geschichte beim Feiern?

In Meissen selbst ist man jedenfalls völlig mit der Neuausrichtung der Manufaktur beschäftigt. Aus der traditionsreichen Porzellanmarke soll "Kunst im Luxussegment" werden, sozusagen der Porsche im Porzellangeschäft. Internetauftritt und Werbung sind bereits an das neue Image angepasst - die dunklen Seiten der eigenen Geschichte bleiben unerwähnt, passen nicht zum neuen Lifestyle-Image.

Meissens Manufakturchef Christian Kurtzke, der Ende 2008 den noch aus DDR-Zeiten stammenden Geschäftsführer des sächsischen Landesbetriebs abgelöst hatte, plagen jedenfalls zur Zeit ganz andere Sorgen. Die Wirtschaftskrise hat den Luxus-Porzellanhersteller voll erwischt. 2008 wies die Manufaktur bei einem Umsatz von 35 Mio. Euro einen operativen Verlust von sechs Mio. Euro aus. 2009 dürfte trotz Relaunchs der Marke nicht viel besser gelaufen sein. Meissen ist für Sachsen damit ein Zuschussbetrieb - wie übrigens auch schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als die Manufaktur verstärkt auf künstlerische Produktion gesetzt hatte. Kurtzke hat wie viele seiner Vorgänger eine Gratwanderung vor sich: das kulturelle Erbe erhalten und wirtschaftlich erfolgreich sein. Da bleibt offenbar keine Zeit für Anfragen über die Nazi-Vergangenheit, wie eine Sprecherin ausrichten ließ.

Doch neben edlen Geschirren und aufwendig gestalteten Figuren gehörte politisches Porzellan zum festen Programm der Manufaktur - nicht nur zur Nazizeit. Auch in der DDR galt das edle Porzellan auch als ein Werkstoff für Politik ob als Devisenbringer für den Export oder Propagandawerkzeug: Von der Lenin- über die Stalinbüste bis hin zum Bergmann "Adolf Hennecke", dem "Held der Arbeit" des DDR-Regimes und "Aktivist der ersten Stunde", reichte die Palette der Kleinplastik. Auch auf Medaillen, Plaketten und Gedächtnistellern findet sich eine Flut politischer Motive, nicht selten mit übelster Symbolik.

Doch das war nichts im Vergleich zu den Jahren vor 1945: Der Führer Adolf Hitler in martialischer Feldherrenpose 60 cm hoch und 56 cm breit, in Weiß für 400 Reichsmark (RM) oder in braunem Böttgersteinzeug für 450 RM. Unter der Bestellnummer O259 war das Werk aus dem Jahr 1939, entworfen von Robert Ullmann, einem renommierten Bildhauer aus Österreich, in Meissen zu beziehen. Kein Einzelfall: Mindestens eine weitere Hitler-Büste wurde produziert. Entworfen wurde sie von Ernst Seger, wie auf einschlägigen Militaria-Seiten im Internet zu sehen ist. Seger gehörte wie auch Ullmann zu den Lieblingskünstlern des Führers, die auf einer so genannten "Gottbegnadeten-Liste" verewigt waren. Auf ihr standen über 1000 Künstler, die vor dem Einsatz an der Front geschützt werden sollten. Die Modelle der Hitler-Büsten sollen inzwischen vernichtet worden sein.

Auch andere Machwerke? So hat Ullmann neben der Hitler-Büste auch noch die Büste "Ludendorff" (Modelljahr 1941), Erste Weltkrieg-General und Reichstagsabgeordneter der Nationalsozialisten, entworfen. Zwei auf den ersten Blick unpolitische weibliche Akte "Schauende" und "Sinnende" (Modelljahr 1941), die aber in ihrer Ästhetik dem NS-Zeitgeschmack entsprachen, von Ullmann sind noch heute in braun oder in weiß zwischen 1400 bis 2200 Euro erhältlich.

Doch damit nicht genug der Peinlichkeiten: "Hitler-Junge mit Trommel" (Modelljahr um 1939) oder "BDM-Mädel" (Modelljahr um 1939) gab es damals schon für 57 bzw. 52 RM. Teuer waren dagegen die Figurengruppen "SA-Alarm" oder "SS-Gruppe" (beide um 1939). Sie kosteten mit rund 300 RM deutlich mehr und waren nur in braunem Böttgersteinzeug erhältlich.

Den Nazikitsch hatte der damalige künstlerische Leiter der Manufaktur, Erich Oehme, entworfen. Von Oehme, von dem heute noch viele Tierplastiken verkauft werden, stammen auch mindestens zwei Medaillen mit Führerkopf sowie eine Hitler/Mussolini-Plakette. Diese und jede Menge weiterer Erinnerungsmedaillen mit Hakenkreuz-Symbol werden heute noch häufig im Internet bei Münzhändlern verkauft oder über Ebay versteigert; Figuren und auch Plaketten wie "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" mit Hitler-Kopf aus dem Jahr 1933 von Paul Börner finden sich gelegentlich auf einschlägigen Militaria-Webseiten im Angebot. Von Paul Siegert entstand auch eine Göringbüste (Modelljahr um 1941). Seger hat 1935 noch eine Hindenburgbüste für die Manufaktur entworfen. Daneben zierten Wandschalen Motive beispielsweise der Hitler-Geburtstadt Braunau gemalt von Hermann Limbach. Auch dazu siehe mehr bei Ebay oder anderen Internetforen.

Mit dieser, ihrer "braunen" Historie tut sich die Manufaktur Meissen schwer. Dabei sei dies ein Markt gewesen, den alle bedient haben, sagt der Kunsthistoriker Christian Lechelt, der sich als einer der wenigen Forscher mit der Zeit beschäftigt hat. Allerdings hätten sich die Staatsbetriebe, wie die Manufakturen Meissen, KPM (Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin) Nymphenburg in München oder die Staatlich Thüringische Porzellanmanufaktur (heute als Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur ein Unternehmen der Seltmann Weiden Gruppe) hervorgetan. Von der Thüringer Manufaktur stammt beispielsweise der "Handgranatenwerfer", ein Infanteriesoldat in weißem Porzellan, der weit nach hinten gebeugt zum Wurf mit einer Stabgranate ausholt, vermutlich entworfen von Gustav Oppel. Die Figur gilt als eine der eindrucksvollsten Soldatenplastiken - nach wie vor erhältlich über das Internet für 12500 US-Dollar. Insbesondere in den USA scheint es eine Fangemeinde für solches Porzellan zu geben.

"Systematische Untersuchungen gibt es bei uns über die Geschichte der Manufaktur in der Nazizeit bislang nicht", räumt Meissen Archivleiter Peter Braun ein. Hinzu kommt, in der DDR galt die Beschäftigung mit der NS-Zeit als Tabu. Erst nach der Wende öffneten sich die Archive. Heute sei für Recherchen "keine Zeit", so Braun. Und: Nicht jedes Kunstwerk, das in dieser Zeit entstanden sei, könne im Nachhinein als schlecht abgewertet werden.

"Doch wollen wir es nicht verhehlen: Auch das Böttgersteinzeug wurde für die "braune" Ideologie missbraucht." Wahrscheinlich habe so manchem die Assoziation der politischen mit der Farbe des Werkstoffs gefallen. Die aus heutiger Sicht unmöglichen Werke wie die Führerbüste oder die SS-Gruppe und SA-Alarm sollten aber nicht nur Kopfschütteln auslösen, sondern als historische Warnzeichen verstanden werden. Sie gehörten nun einmal zur Geschichte der Manufaktur, wie auch das "Agitprop-" oder "Sowjetporzellan", das zu DDR-Zeiten hergestellt wurde. Dazu zählen neben den Politiker-Büsten auch Vasen bunt bemalt mit Konterfeis von Marx und Engels.

Doch der braune Porzellanspuk hatte auch noch eine andere Seite, eine betriebspolitische. Damit konnten sich die Manufakturen und Porzellanfabriken über den Krieg hinwegretten und vor allem ihr Kapital, die Porzellanmaler, vor dem Fronteinsatz bewahren, darunter auch Rosenthal. Das ursprünglich in jüdischem Besitz und von den Nazis arisierte Werk stellte beispielsweise nicht nur Geschirr für die Schiffsflotte der Nazi-Ferienorganisation KDF her, sondern auch ein häufig im Internet gehandeltes oder auch auf Antikmärkten wie in Dortmund angebotenes Porzellanbild mit einem Hitler-Porträt nach einem Motiv des Malers Willy Exner. Dazu gibt es auch noch ein Pendant mit dem Abbild von Hermann Göring. Beide Bilder zusammen wurden in Dortmund für 1000 Euro angeboten. Auch in Selb tut man sich mit der braunen Vergangenheit schwer. "Unsere Geschichte im "Dritten Reich" ist noch nicht aufgearbeitet", bestätigte eine Rosenthal-Sprecherin.

Gleiches hört man auch bei Villeroy&Boch. Im Buch über die 260-jährige Geschichte der Porzellanfabrik wird die Zeit ganz ausgeklammert. Doch seien Kaffeebecher und Wandteller mit einschlägigen Symbolen produziert worden, sagte eine Sprecherin. "Eine Führerbüste von KPM ist uns nicht bekannt, allerdings Plaketten und Reliefs mit Hitler-Kopf."

Welchen Stellenwert Porzellan und vor allem Porzellankunst damals besaß, zeigt auch, dass die Schutzstaffel der NSDAP, die "SS", in Allach bei München eine eigene gleichnamige Manufaktur betrieb, die Kleinplastik produzierte, darunter auch Soldatenfiguren oder BDM-Mädchen und-Junge - heute begehrte Sammlerobjekte.

Eine nationalsozialistische Porzellankunst im Sinne eines kunsthistorischen Stils habe es aber nicht gegeben, sagte Lechelt. Gleichwohl habe es Bemühungen gegeben, Aufgaben und Gestaltung von Porzellan zu definieren - und das vom Führer höchstpersönlich: "Ich sehe es als wichtigste Aufgabe an, eine Form zu finden, die den Forderungen der Gegenwart nach Einfachheit und Schlichtheit gerecht wird und zugleich eine würdige Haltung bewahrt", soll Hitler anlässlich eines Besuchs des Grassimuseums in Leipzig 1934 gesagt haben. Vor allem Geschirre der KPM seien in diesem Sinne wiederholt als vorbildlich dargestellt worden, sagt Lechelt. Noch heute wirbt die inzwischen private KPM mit der "klaren Linienführung" des 1938 von Trude Petri entworfenen Geschirrservices "Urania".

So etwas wie der "Hoflieferant" der politischen Elite des "Dritten Reichs" sei aber Nymphenburg gewesen. Von dort stammte beispielsweise das Geschirr für den Führerbau in München, den Salonwagen Hitlers, die Neue Reichskanzlei und Hitlers Feriendomizil und zeitweiliger Regierungssitz auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Auch das Außenministerium unter Joachim Ribbentrop war ein guter Kunde, auch in Meissen. Nymphenburg habe zahlreiche Soldatenfiguren produziert, bestätigt Nymphenburg-Experte Alfred Ziffer, ein traditionelles Geschäft der Bayern, darunter auch einen 26 cm hohen "SS-Jungschützen". Solche Figuren eigneten sich hervorragend als Diplomaten-Geschenk.

Meissen sticht durch seine Figuren aber besonders heraus. Doch ist auch ein Teeservice mit dem roten Drachen belegt, das auf dem Obersalzberg benutzt wurde. Denn vor allem Meissen besaß die Expertise und die Künstler, die der Porzellanplastik Weltruf verschafften. Seine Fragilität und die dem Porzellan zugeschriebene Grazie und Feinheit im Ausdruck hätten sich generell aber nicht in Einklang bringen lassen mit der von den Nazis in Bildwerken gewünschten Suggestion von "Kraft", "Stärke" und besonders "Ewigkeit", so Lechelt. Hummel-Figuren beispielsweise, meist putzige und eher rundliche Kinderfigürchen, waren bei den Nazis unbeliebt, gewünscht waren "heroische" Darstellungen. Der Adler war in der Tierplastik ein genauso beliebtes Motiv wie der Schäferhund.

Doch politisches Porzellan allein reichte nicht aus, um die Manufakturen als kriegsunwichtige Betriebe vor der Schließung zu bewahren. Auch Rüstungsaufträge wurden angenommen. Vor allem die Herstellung von Einheitsgeschirr in weißer Ausführung für "Bombengeschädigte", wie es in Meissen hieß, lieferte ein Alibi für das Weitermachen. Villeroy&Boch hielt das Werk mit der Produktion von Fliesen für Kasernen in Arbeit.

Hergestellt wurden aber auch reine Rüstungsgüter, in Meissen beispielsweise Porzellankörper für ein Luftwaffenprogramm der Rheinmetall-Borsig, wie Akten im Firmenarchiv belegen. Experimentiert wurde mit der Herstellung von Säurebehältern für die U-Boot-Waffe, wie aus einem Brief der Torpedoversuchsanstalt Eckernförde aus dem März 1942 hervorgeht - offenbar aber vergeblich. Denn deren Lieferung wurde angemahnt. Ein erster Behälter war im Brennofen zersprungen. Im Rahmen des Rüstungsprogramms des Sonderrings Technische Keramik beim Reichsminister für Bewaffnung und Munition wurden auch Metallrohre zur Weiterbearbeitung im Meißener Mesco-Werk in den Öfen verglüht. Schließlich gehörten noch Porzellan-Einsätze für Panzerfäuste zum Produktionsprogramm der weltberühmten Porzellanmanufaktur.

Stile aus Porzellan für Handgranaten, elektrotechnische Isolatoren oder Wärmflaschen habe auch Rosenthal produziert, bestätigte eine Sprecherin. Porzellan diente als Ersatz für das im Krieg immer schwieriger zu beschaffende Metall. Auch Nymphenburg hat laut Ziffer das Sortiment umgestellt und produzierte Ende 1941 zu beinahe 80 Prozent technische Gegenstände für die Luftwaffe. Angaben über den Umfang der Rüstungsproduktion der Manufakturen sind naturgemäß spärlich. Anfang 1944 sollen in Meissen 70 Prozent der Gesamtproduktion auf Gebrauchsporzellan entfallen sein, "in der Hauptsache für Bombengeschädigte, Export und dringenden Inlandsbedarf".

Die sächsische Landesregierung als Eigentümer war seit der Weimarer Zeit mit der betriebswirtschaftlichen Sanierung der Manufaktur befasst, deren Ausrichtung auf künstlerisches Porzellan unter Max Adolph Pfeiffer Weltruhm einbrachte, aber auch viel Geld kostete. Noch nach der Machtübernahme der Nazis hielt Meissen an seinem neuen Stil fest, trotz zahlreicher Versuche des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann, die Produktion auf den diffusen Begriff "deutsche Kunst" einzuschwören. Stein des Anstoßes waren vor allem expressionistische Figuren des Porzellangestalters Paul Scheurich, die Mutschmann als nicht "zeitgemäß" kritisiert hatte.

Die chronischen Verluste bereiteten den Beamten in Dresden aber wohl größere Sorgen. Pfeiffer musste schließlich gehen. Einen kunstsinnigen Freigeist wollten die neuen Machthaber an der Spitze eines staatlichen Betriebs nicht dulden, meint Braun von der Meissener Manufaktur. Es habe die Stunde der Parteigetreuen geschlagen, mit denen wirtschaftliche Positionen meist ohne Rücksicht auf deren Qualifikation besetzt worden seien. Geld verdiente die Meissener Manufaktur nach wie vor mit den klassischen Produkten und Mustern, allen voran "Zwiebelmuster" und "roter Drache".

Erst unter Wolfgang Müller von Baczko ab November 1936, Fachmann für Keramik und Betriebswirtschaft, fasste die Manufaktur wieder Tritt. 1939 wurde die "Wende zur Gesundung des Betriebs" vor allem durch eine "Richtigstellung der Verkaufspreise" erreicht, wie es im Geschäftsbericht heißt. Dazu beigetragen hat wohl auch die gute konjunkturelle Entwicklung in einem Deutschland, das für den Krieg aufrüstete. Der Umsatz der Manufaktur legte um 28 Prozent auf 3,6 Mill. RM zu. Staatliche Zuschüsse, um ein ausgeglichenes Ergebnis ausweisen zu können, waren scheinbar nicht mehr nötig oder waren dadurch zumindest reduziert worden.

Mit dem Ausbruch des Krieges änderte sich die Lage dramatisch. Einberufungen zum Militärdienst rissen empfindliche Lücken in die Reihen der Mitarbeiter der Manufakturen. Bereits im Dezember 1939 wurden in Meissen 150 Mitarbeiter von insgesamt knapp 750 zur Wehrmacht eingezogen. Fremdarbeiter wurden beschäftigt, mindestens eine Arbeiterin aus Osteuropa ist aktenkundig. In Nymphenburg waren seit Ende 1942 acht Zwangsarbeiter für einfache Hilfsarbeiten abgestellt worden, wie Ziffer sagt. Sie wohnten zum Teil auch auf dem Fabrikgelände. "Wir haben laut Zeugenaussagen keine Zwangsarbeiter beschäftigt", sagte eine Sprecherin der KPM. Der Verlust gut ausgebildeter Porzellanmaler war aber damit nicht zu ersetzen.

Auch die Rohstoffe wurden knapp. Bald gab es kein Gold mehr, um Geschirre und Vasen wie gewohnt mit einem Goldrand zu verzieren. Etwa 90 Prozent des Gesamtumsatzes entfielen auf goldverzierte Erzeugnisse, heißt es in einem Beschwerdebrief an die Reichsbanknebenstelle Meißen vom Oktober 1939. Aufträge mussten abgelehnt werden.

Unklar ist, warum Müller von Baczko, die Manufaktur im Juli 1940 verließ. Wahrscheinlich war er in Dresden in Ungnade gefallen. Möglicherweise hat ihn das Festhalten an dem umstrittenen Künstler Scheurich das Amt gekostet. Mit sechs Scheurich-Figuren (und dem Fischotter von Max Esser) wurde 1937 aber noch der Grand Prix auf der Internationalen Ausstellung in Paris gewonnen. Überliefert ist ein Wutausbruch Mutschmanns während einer Kontroverse mit Müller von Baczko über Fragen von Kunst und Ökonomie: "Ich wünschte nur, dass mal eene Fliecherbombe in die Manufaktur einschlachen würde, damit der Ärcher uffhörte!".

Von Baczko Nachfolger, der Handelsvertreter Curt Panzer, seit 1936 in der Manufaktur als leitender kaufmännischer Angestellter, war Mutschmanns Mann und sozusagen familiär verbunden. Der Gauleiter war Patenonkel von Panzers Sohn (geb. 1919). Panzer kannte Mutschmann aus dessen Zeit als Textilfabrikant in Plauen in der noch jungen Weimarer Republik.

Kurz vor Ende des Krieges erfolgte im Zuge der Mobilisierung unter Rüstungsminister Albert Speer mit Schreiben vom 28. Juli 1944, das den Stempel Geheim trägt, der Befehl zur Teilstilllegung. 300 Arbeitskräfte sollten "schnellst möglich zugunsten des Jägerprogramms der Fa. Radio Mende" umgesetzt werden, die Funk- und Fernmeldegeräte für die Hitlerarmee herstellte. Das wäre das Aus gewesen.

Doch Mutschmann setzte sich persönlich für die Manufaktur ein. Nach Protesten gegen die Speer-Pläne lässt er auf die Rückseite einer Kopie der Speer-Anweisung mitteilen, dass er seine Zustimmung nur erteile, "sofern die Porzellan-Manufaktur die Fertigung in eigene Regie übernimmt, damit nur eine innerbetriebliche Umsetzung der Arbeitskräfte in Betracht kommt". Der Umzug nach Dresden konnte verhindert werden. Ab Mitte 1944 musste sich die Manufaktur das Werk aber mit Radio H. Mende & Co. teilen. Der 1923 gegründete Radiohersteller mit Sitz in Dresden hatte 1936 bereits die Produktion vollständig auf Heeresbedarf umgestellt. Aus Mende wurde in der Bundesrepublik Nordmende. In der DDR firmierte der Nachfolgebetrieb später als VEB Funkwerk Dresden.

In den Akten der Manufaktur taucht Panzer noch ein letztes Mal nach Kriegsende im Mai 1945 als Teilnehmer an einer Besprechung auf. Dabei ging es um die Weiterführung der Manufaktur unter sowjetischer Besatzung. Die neue Leitung passte zur neuen Zeit. Herbert Neuhaus, alter Sozialdemokrat, der weil als kriegsuntauglich eingestuft als Porzellanmaler den Krieg überlebt hatte, wurde als neuer Betriebsführer eingesetzt.

In einem Schreiben der Manufaktur vom 8. Mai 1946 an das Arbeitsamt Meißen (auf dringende Anfrage der russischen Stadtkommandantur) ist von 141 Entlassungen ehemaliger Faschisten die Rede, darunter sechs Leitende Angestellte und neun Abteilungsmeister. Panzers Entlassung datiert auf den 18. Mai 1945. Kurz darauf ist er mit anderen "Nazi-Kollaborateuren" verhaftet worden. Nach kurzer Internierung in der Albrechtsburg und im Gefängnis in Bautzen starb er an den Folgen von Folterungen während eines Bahntransports nach Groß Strehlitz (heute Polen).

Ziel der Reise war das russische Gefangenenlager Tost. Von den knapp 5 000 Inhaftierten dieses Lagers des russischen Geheimdienstes NKWD haben nach Schätzungen nur etwa zwei Drittel überlebt. Eine weitere zu selten erzählte Geschichte.

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