Neue Angebote Versicherer versuchen sich als Problemlöser

Schutzbriefe fürs Putzen, Waschen, Babysitten – weil das klassische Geschäft stagniert, versuchen sich die Versicherer nun als Problemlöser.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Putzhilfe im Haushalt: Die Versicherungen setzen auf Problemlösungen, dpa

Bäuerin, 82, Oberschenkelhalsbruch. Für den behandelnden Allgäuer Landarzt ein Klassiker. Für die alte Patientin eine Katastrophe. Sie lebt allein auf einem abgelegenen Gehöft. Am liebsten möchte sie gleich nach der Operation zurück auf ihren Hof. „Es muss sich jemand ums Vieh kümmern“, klagt sie. „Ganz zu schweigen vom Garten.“ Die Patientin erinnert sich an eine Unfallversicherung, die ihr ein Allianz-Vertreter vor Kurzem angedreht hat. „Die Versicherung, die auch pflegt, putzt und einkauft“, steht groß auf dem Merkblatt der Police – und daneben eine 24-Stunden-Hotline. Am ersten Tag nach der Operation wählt die rüstige Landwirtin die Nummer. Knapp 150 Kilometer entfernt, in einem kreisrunden Großraumbüro im Münchner Osten, zeigt ein Monitor den Eingang eines Telefonanrufs. Einer von zwei Dutzend Headset-bewehrten Beratern nimmt den Anruf entgegen. Nach dem Gespräch mit der Bäuerin telefoniert er mit Ärzten, Angehörigen und sozialen Hilfsdiensten. Einige Stunden und viele Gespräche später steht fest: Die alte Dame kann nach einem Aufenthalt in einer Rehaklinik zurück auf ihren Hof. Die Caritas wird sie in den eigenen vier Wänden pflegen, ein Catering-Service bringt das Essen, andere waschen und putzen. Und die Allianz zahlt. „Assistance-Produkt“ nennt sich die Pflegepolice der Bäuerin im Branchenjargon, eine Versicherung also, die nicht nur zahlt, sondern assistiert. Obwohl die Versicherungen in Deutschland erst einen kleinen Teil ihres Umsatzes mit solchen Services erzielen, rückt das Thema zunehmend in den Mittelpunkt ihrer Wachstumsstrategien. „Ein wesentliches Kennzeichen unserer neuen Produkte werden Assistance-Leistungen sein“, sagte Allianz-Deutschland-Chef Gerhard Rupprecht bei der Vorlage der Zahlen für 2005 vor einigen Tagen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Die Versicherungsunternehmen stünden erst am Anfang mit ihrer Ausrichtung auf Assistance-Produkte, meint Jürgen Wulf, Versicherungsexperte des Beratungsunternehmens Steria Mummert. „Im Vergleich zum klassischen Geschäft sind die Umsätze gering. Und weil alles im Aufbau ist, schreiben die Bereiche wahrscheinlich auch noch rote Zahlen“, sagt Wulf. „Unstrittig ist aber: Viele Versicherungsunternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, sich zu umfassenden Dienstleistern zu wandeln.“

Die Versicherer als die Heinzelmännchen der Nation? Für den Sinneswandel in den Chefetagen der Versicherer gibt es einen einfachen Grund: „Der Markt für klassische Produkte stagniert“, räumt Thomas Pleines, Vorstandschef der Allianz Versicherungs-AG ein. „Wir können nur über neue Angebote wie die Assistance-Produkte wieder zulegen.“ Als wichtigste Zielgruppe hat er dabei die Generation 50 Plus im Blick. Jeder zweite Allianz-Kunde ist über 50 – und viele davon wollen in Notsituationen nicht auf Angehörige angewiesen sein. Der Ausbau des Assistance-Geschäftes bringt einen Paradigmenwechsel für den Marktführer Allianz. Der Konzern rückt damit vom jahrhundertealten Geschäftsmodell der Versicherer ab: Künftig lösen nicht nur eng definierte Schadensfälle den Versicherungsschutz aus. Ein Beispiel dafür ist das Produkt mit dem Arbeitstitel „Aktiv Plus“: Die Pflegepolice, die im Sommer auf den Markt kommen soll, greift nicht nur nach einem Unfall, sondern auch wenn sich der Gesundheitszustand durch Alter oder Krankheit allmählich verschlechtert. So viel Service hat jedoch seinen Preis: Für den Schutzbrief werden zwischen 720 und 2400 Euro pro Jahr fällig. „Wir sind mit Aktiv Plus sehr weit vom klassischen Versicherungsmodell entfernt“, sagt Pleines. „Aber warum nicht? Wir können Probleme lösen – und die Menschen sind bereit, dafür zu bezahlen. Warum sollte das kein Geschäftsmodell für uns sein?“ Ganz so neu ist der Assistance-Gedanke nicht: Autofahrer vertrauen schon lange auf Services wie Pannenhilfe oder Krankenrücktransport. Die Krankenpflege auf Versicherungsschein gibt es jedoch erst seit gut zwei Jahren. Damals führte die Allianz die erste Versicherung dieser Art in Deutschland ein. Inzwischen verkaufte sich die Allianz-Police „Unfall 60 Aktiv“ fast 300.000-mal. Stückpreis: Zwischen 130 und 1250 Euro pro Jahr. Seit Anfang des Jahres können auch junge Menschen die Pflegepolice der Allianz kaufen. Hier erstreckt sich die neue Fürsorglichkeit der Allianz dann auch auf die Kinder der Versicherten: Können Eltern sich wegen eines Unfalls nicht um ihre Kinder kümmern, organisiert und bezahlt die Versicherung zwei Wochen lang auch deren Versorgung – Fahrten zur Schule und Hausaufgabenbetreuung inklusive.

Inhalt
  • Versicherer versuchen sich als Problemlöser
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%