Pharmaindustrie Korrupte Halbgötter in weiß

Der Bundesgerichtshof befasst sich mit der Frage, ob Ärzte wegen Bestechlichkeit angeklagt werden können. Eine für heute angekündigte Entscheidung hat das Gericht vertagt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hoher Freizeitwert. Quelle: dapd

Viele Ärzte standen vor einer schwierigen Entscheidung: Laptop, Flachbildschirm oder Navigationsgerät? Solche Aufmerksamkeiten sollen Mediziner von dem Pharmaunternehmen Trommsdorff aus Alsdorf bei Aachen erhalten haben – je nachdem, wie viele Patienten sie auf ein hauseigenes Bluthochdruckmittel einstellten. Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt. Das Unternehmen will sich – mit Verweis auf das laufende Verfahren – nicht äußern.

Andere Pharmakonzerne lockten Mediziner mit einer Wochenendreise in den Spreewald, lukrativen Beraterverträgen oder schlicht Geldzahlungen. Solche Praktiken könnten bald der Vergangenheit angehören: An diesem Donnerstag wollte der Bundesgerichtshof entscheiden, ob Ärzte wegen Bestechlichkeit angeklagt werden können. Das Gericht vertagte jedoch die Entscheidung. Nun soll sich der Große Senat mit dem Thema befassen. Wann ein Urteil gefällt wird, ist noch nicht abzusehen.

Vielen Medikamentenherstellern stehen dann womöglich Ermittlungsverfahren wegen ihrer Vertriebsmethoden bevor. „Ein entsprechendes Urteil wird viele Staatsanwaltschaften, die bislang kaum Aussicht auf Erfolg hatten, durchaus ermuntern, Ermittlungsverfahren einzuleiten“, sagt der Würzburger Korruptionsexperte und Kriminalhauptkommissar Uwe Dolata.

Im Auftrag der Krankenkassen

Bislang mussten sich Ärzte und Pharmaunternehmen bei unlauterer Kungelei nicht allzu sehr vor Strafe fürchten. Der Bestechlichkeits-Paragraf 299 des Strafgesetzbuches wurde kaum auf Ärzte angewandt. Bestechlich könne nur ein „Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ sein, heißt es dort. Beides treffe auf Ärzte nicht zu, so die herrschende Meinung unter den Juristen.

Doch die Argumentation wackelt. Inzwischen erkennen immer mehr Rechtsexperten in Ärzten durchaus „Beauftragte“ – nämlich der Krankenkassen, die schließlich die Arztrezepte bezahlen müssen. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat im vergangenen Frühjahr erstmals bejaht, dass sich Kassenärzte wegen „Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr“ strafbar machen können, und die Mediziner als „taugliche Täter“ eingestuft. Im Herbst verurteilte das Landgericht Ulm erstmals zwei Ärzte wegen Bestechlichkeit – zu jeweils einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldbuße von 20 000 Euro. Die Anwälte der Angeklagten haben Revision eingelegt.

Nun entscheidet der BGH höchstrichterlich über die Frage der Bestechlichkeit. „Es ist damit zu rechnen, dass vergünstigte Ärztereisen, verbilligte oder kostenlose Praxisausstattungen, Rückvergütungen und sonstige Vorteile künftig vor Gericht regelmäßig auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft werden“, sagt André Szesny, Wirtschaftsstrafrechtler im Düsseldorfer Büro der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Damit geraten dann auch die Unternehmen verstärkt ins Visier der Ermittler. „Bei einem entsprechenden Urteil werden viele Unternehmen ihre Marketingpraktiken überprüfen müssen“, prophezeit Szesny.

Bislang schaute sich die Pharmabranche weitgehend selbst auf die Finger. Zwar gaben sich die führenden Pharmafirmen einen ethischen Verhaltenskodex. Doch allzu hart gingen die Unternehmen dabei nicht gegen sich selbst vor (WirtschaftsWoche 23/2010). Jetzt erwägt der Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA), die Geldstrafen bei entsprechenden Vergehen deutlich hochzusetzen und die Übeltäter beim Namen zu nennen. Zuvor muss das Selbstkontrollorgan allerdings noch die Zustimmung der Mitglieder einholen.

Ärzte erhalten oft Quelle: dpa

Einige Pharmaunternehmen haben die Zeichen der Zeit bereits erkannt. Der britische Hersteller AstraZeneca hat vor wenigen Tagen in Deutschland angekündigt, vom zweiten Halbjahr an Ärzte nicht mehr zu Kongressen einzuladen. Die ebenfalls britische GlaxoSmithKline (GSK) hat die gesponserten Ärzte-Trips bereits deutlich reduziert und denkt über einen vollständigen Stopp nach.

Ende der Neunzigerjahre hatte die Staatsanwaltschaft München gegen GSK ermittelt. Das Unternehmen hatte Ärzte unter anderem zum Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1998 nach Paris eingeladen. Offiziell ging es dabei um eine Marktforschungsstudie zur Bluthochdrucktherapie. „Das Verfahren hat uns die Augen geöffnet, wir haben daraus gelernt“, sagt GSK-Vertriebschefin Birgit-Yvonne Reimann.

Keine Dubiosen Studien mehr

Inzwischen sind bei GSK selbst Kugelschreiber und Kalender als Werbegeschenke für Ärzte tabu. Seit Jahren schon verzichtet das Unternehmen auf Anwendungsbeobachtungen – oft dubiose Studien an Patienten, die keine wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen, dafür aber das Einkommen der Ärzte steigern. Die Zahl der kostenlosen Arzneimittel-Musterpackungen, mit denen Mediziner früher reichlich bedacht wurden, damit diese ihre Patienten entsprechend versorgen, hat GSK deutlich reduziert und verschenkt jetzt weniger Medikamente, als der Gesetzgeber erlaubt. Auch für mehr Transparenz will das Unternehmen sorgen: Ärzte, die von GSK für Vorträge bezahlt werden, müssen per Vertragsklausel einwilligen, dass sie einer personenbezogenen Veröffentlichung der Zahlung durch GSK grundsätzlich zustimmen.

So ehrgeizige Pläne verfolgen viele deutsche Hersteller nicht. Die Pharmariesen Bayer und Merck geben an, sich an gesetzliche Vorgaben und den FSA-Kodex zu halten. Darüber hinausgehendes Engagement scheinen sie derzeit – im Gegensatz zu AstraZeneca und GSK – nicht an den Tag zu legen.

Ratiopharm, ein Hersteller von Nachahmermedikamenten, war Ende 2005 wegen fragwürdiger Vertriebsmethoden in die Schlagzeilen und in die Mühlen der Justiz geraten. Nun nehmen die Ulmer für sich in Anspruch, „seit vielen Jahren Abstand“ zu nehmen „von sämtlichen vertriebsfördernden Maßnahmen, die von der Öffentlichkeit als unredlich empfunden werden könnten“.

Ganz ohne Druck von außen scheint auch der Umschwung bei GSK und AstraZeneca nicht zustande gekommen zu sein. Während in Deutschland Pharmaunternehmen wegen dubioser Marketingpraktiken zunehmen in die Kritik geraten sind und erst jetzt das BGH-Urteil ansteht, soll demnächst in Großbritannien ein neues Antikorruptionsgesetz in Kraft treten. Die Zentralen von GSK und von AstraZeneca sind beide in London beheimatet.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%