Preisabsprachen Für Kartellopfer steigen die Chancen auf Schadensersatz

Heute startet die 14. Internationale Kartellrechtskonferenz in Hamburg. Opfer von Kartellen haben immer bessere Chancen auf Schadensersatz. Kläger fordern von Chemieriesen wie Evonik Degussa jetzt über 600 Millionen Euro.

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Papierproduktion: 32 europäische Hersteller wolen Schadensersatz von den Chemiemultis

Mal konspirierten die Herren in einem Brüsseler Restaurant, dann bei den halbjährlichen Treffen des Verbandes der Europäischen Chemieindustrie. Erst ordneten die Top-Manager den Markt für das Bleichmittel Wasserstoffperoxid mit einem „Modell zur Aufteilung unter den Herstellern“ – die sieben Konzerne repräsentierten 90 Prozent des Angebots in Europa. Dann trafen sie Absprachen, die dazu führten, dass sich der Preis für Wasserstoffperoxid verdoppelte. Beteiligt waren große Namen: die damals noch selbstständige Degussa aus Deutschland, Akzo Nobel aus den Niederlanden und Solvay aus Belgien.

Ab Mitte der Neunzigerjahre funktionierte das Bleichmittel-Kartell – auf Kosten der Kunden. Ende 2002 beendete ein Wettlauf des Verrats die illegale Zusammenarbeit. Jeder der Kartellbrüder wollte von der neuen Kronzeugenregelung profitieren. Die Deutschen waren am schnellsten. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erließ Degussa – damals unter E.On-Regie – die Buße von 130 Millionen Euro komplett. Die anderen beichtwilligen Kartellmitglieder erhielten bis zu 40 Prozent Rabatt auf die Strafen. Übrig blieben 388 Millionen Euro Bußgeld, die Hälfte soll Solvay zahlen. Die meisten betroffenen Konzerne wehren sich bis heute gegen die Entscheidung. Von dem zähen juristischen Nachspiel, das noch Jahre dauern wird, erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Der Fall schien abgehakt.

Brüsseler Gesellschaft fordert dreistelligen Millionenbetrag von Bleichmittelkartell

Nun bekommt er nach Informationen der WirtschaftsWoche frische Brisanz. Den Bleichmittel-Kartellanten flattern in diesen Tagen neue Forderungen auf den Tisch – von der Brüsseler Gesellschaft Cartel Damage Claims (CDC). Die kauft Kartellopfern Schadensersatzansprüche ab und treibt sie en gros per Zivilklage ein. CDC schätzt ihre von 32 europäischen Papier- und Zellstoffkonzernen erworbenen Ansprüche nach derzeitigem Stand inklusive Zinsen auf 643 Millionen Euro. Zahlen soll auch der Essener Evonik-Konzern, der Degussa 2007 übernahm. CDC hat die Klage beim Landgericht Dortmund eingereicht, das in Kartellsachen für Evonik Degussa zuständig ist, und überwies 274.368 Euro Gerichtskosten. Die Klageschrift – 208 Seiten stark – trägt das Aktenzeichen 13 O 23/09 .

Ansprüche der Opfer in dreistelliger Millionenhöhe als Ausgleich für jahrelang überhöhte Preise, das ist für Kartelltäter in Europa relativ neu. Sammelklagen wie in den USA sind im deutschen Rechtssystem nicht zulässig. Kartellbedingte Schäden im Einzelfall nachzuweisen fällt schwer. Allenfalls gibt es Vergleiche. Das einzige Schadensersatzurteil erkämpfte die Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle 2004 für den Süßwarenkonzern Storck („nimm 2“) und weitere durch das Vitamin- und Zitronensäurekartell geschädigte Unternehmen – ebenfalls vor dem Landgericht Dortmund. Storck bekam vom Schweizer Pharmamulti Roche 1,6 Millionen Euro.

Rechtsanwalt Classen als Angstgegner für Kartellsünder

Während solche Regress-Größenordnungen für Industriemultis allenfalls lästig sind, entwickelt sich Ulrich Classen zum Angstgegner verurteilter Kartellsünder. Der 55-jährige Rechtsanwalt aus Kaiserslautern ist Initiator und Hauptgesellschafter von CDC. Mit dem Abtretungsmodell agiert er als Vorreiter und bislang konkurrenzlos.

Classens erster großer Fall läuft seit 2005. Der ehemalige Mitarbeiter des Bundeskartellamts fordert am Oberlandesgericht Düsseldorf Schadensersatz von den Teilnehmern des früheren Zementkartells. Die sechs Beklagten – Dyckerhoff, HeidelbergCement, Lafarge, Holcim Deutschland, Schwenk und Cemex (vormals Readymix) – wehren sich mit allen juristischen Mitteln. Vor zwei Wochen jedoch entschied der Bundesgerichtshof, die Einforderung abgetretener Schadensersatzansprüche sei zulässig. Also wird bald in der Sache verhandelt. Mit Zinsen dürfte die CDC-Forderung inzwischen auf 350 Millionen Euro angewachsen sein. Die Zahl der Zementabnehmer, die Ansprüche an CDC abgetreten haben, stieg im Lauf der Jahre auf 36.

Nachweis mit Firmendaten und Marktanalysen

Ist Classen erfolgreich, behält CDC rund 20 Prozent der Schadensersatzzahlungen, bis zu 80 Prozent bekommen die Kartellopfer. Verliert er, liegt das Risiko bei der belgischen Gesellschaft und ihren Finanziers. Wer das ist? Classen bleibt da nebulös: „Private und institutionelle Investoren, die Kartellschadensersatz als werthaltiges Investment sehen.“ In den Zementfall haben sie drei Millionen Euro gesteckt. Um Verfahrensfehlern vorzubeugen, musste CDC allen Beklagten 250.000 elektronisch erfasste Belege in Papierform vorlegen. Das ergab je 400 Aktenordner, 83 Umzugskartons und 1,6 Tonnen Papier in sechsfacher Ausfertigung – kein Blatt durfte fehlen.

Beim Bleichmittel-Kartell bohrt Classens 14-köpfiges Team ein ähnlich dickes Brett. Die bisher 32 sogenannten Zedenten, die Forderungen an CDC abgetreten haben, verarbeiteten in 94 Fabriken in 13 Ländern während des Kartellzeitraums Wasserstoffperoxid. Manche mussten für die Klage Vorabtretungsverträge mit Tochterfirmen abschließen. 200.000 codierte Rechnungen hat CDC ausgewertet und in Datenbanken gespeichert. „Mit Firmendaten und Marktanalysen müssen wir nachweisen, dass durch das Kartell Schäden eingetreten sind“, sagt Classen. Die Höhe des Schadens kann das Gericht dann schätzen. Um die Schäden besser einschätzen zu können, fordert CDC vor Gericht Einsicht in Daten der Kartellfirmen.

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