Recht Anwälte müssen Gürtel enger schallen

Die Wirtschaftskrise setzt auch den Top-Kanzleien in Deutschland immer stärker zu: Im vergangenen Jahr konnten sie die Umsätze nur noch schwach steigern. Von der Krise profitieren besonders Sanierungsberater und Arbeitsrechtler. Allerdings schauen Klienten nun genauer auf die Kosten.

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Das Mandat beim Verkauf der Dresdner Bank an die Commerzbank hatte einen großen Anteil am Erfolg von Shearman & Sterling. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Die Aussichten für die Top-Kanzleien in Deutschland werden düsterer. Die Krise setzt ihnen immer stärker zu: Die 50 größten Wirtschaftskanzleien in Deutschland haben erstmals nur noch ein Umsatzplus von 4,1 Prozent im Schnitt erzielt (Geschäftsjahr 2008/2009). Dies zeigt das Ranking der größten Wirtschaftskanzleien des Fachblatts "Juve", das dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Im Jahr zuvor hatten Deutschlands Top-Juristen ihren Umsatz noch um durchschnittlich neun Prozent gesteigert. Insgesamt setzt dieser Markt mit seinen rund 7 300 Anwälten 3,61 Mrd. Euro um.

Besonders verbesserten sich unter den ersten zehn Sozietäten zwei deutsche Kanzleien: Nörr Stiefenhofer Lutz gelang mit einem Umsatzplus von 17,1 Prozent auf 105,6 Mill. Euro Umsatz erstmals der Sprung in die Top-Ten. Gleiss Lutz kletterte mit einem Zuwachs von 15,4 Prozent auf Rang sieben. Beide Kanzleien gelten nicht als bankenorientiert - anders als Clifford Chance -, was in der Krise ein Vorteil ist. Nörrs Vorzeigemandate sind der Verkauf des Brief-Dienstleisters Pin Group und des Möbelherstellers Schieder. Nörr-Partner Tobias Bürgers urteilt: "Wir sind als Full-Service-Kanzlei weniger betroffen als M&A- oder Finanzierungsspezialisten."

Gleiss punktet dagegen mit seiner Arbeitsrechtler-Riege. In Zeiten von Massenentlassungen und Kurzarbeit läuft dieses Gebiet, das früher belächelt wurde, " wahnsinnig gut", bestätigt Arbeitsrechtler Michael Kliemt von Kliemt & Vollstädt. "Wir wissen vor Arbeit kaum wohin." Auch Prozessführung ist plötzlich gefragt. Denn Unternehmen kämpfen erbitterter ums Geld als früher und gehen dafür auch wieder vor Gericht.

Der Platzhirsch im "Juve"-Ranking der umsatzstärksten Kanzleien in Deutschland ist und bleibt Freshfields mit 393 Mill. Euro. Der spektakuläre Abgang des umsatzstarken M&A-Profis Ralph Wollburg im Herbst 2007 zu Linklaters lässt sich in den Umsatzzahlen wider Erwarten nicht ablesen.

Den zweiten Platz eroberte sich Hengeler Mueller (226 Mill. Euro) und verdrängte damit Clifford Chance (196 Mill. Euro) auf den dritten Platz. Clifford Chance hat mit einem Minus von 13 Prozent die größten Einbußen unter den Top-Ten, gefolgt von Linklaters mit einem Umsatzminus von 8,3 Prozent.

In deren Heimatmarkt Großbritannien mussten die Law Firms schon 22 Prozent ihrer Mitarbeiter entlassen. Die Krise hat dort deutlich eher zugeschlagen als in Deutschland. "Das Geschäft in London war lange viel profitabler, weil die Honorare im Finanzbereich höher lagen als im Industriebereich. Die Krise hat das geändert", sagt "Juve"-Redaktionsleiter Jörn Poppelbaum. Dennoch liegen die Stundenhonorare in Großbritannien immer noch über den deutschen. Die Abrechnungen nach Stundensätzen stoßen inzwischen hierzulande öfter auf Widerwillen: Mandanten pochen immer häufiger auf Obergrenzen oder schließen Rahmenverträge mit Monatspauschalen. Denn so mancher Klient wird auch bei Top-Adressen misstrauisch, wenn den Juristen bei einer unproblematischen Fusion laufend neue Rechtsprobleme einfallen und sie immer neue Experten hinzuziehen. "Die Frage, ob ein Team so groß sein muss, hören Kanzleien jetzt öfter", berichtet Poppelbaum.

Doch die Umsatzstärksten sind nicht gleichzeitig die Profitabelsten: Freshfields mit seinen 556 Juristen ist im Umsatzranking nur auf Platz Sieben mit 707 000 Euro Umsatz pro Kopf und verzeichnet ein Minus von 8,2 Prozent. Auf Platz eins steht dagegen Shearman & Sterling mit nur 88 Anwälten und rund 1,2 Mill. Euro Umsatz pro Jurist und einem beachtlichen Plus von 26,5 Prozent. Woher der große Erfolg kommt? Shearman bekam eins der größten Mandate des ganzen Geschäftsjahres von der Allianz: Sie berieten den Versicherer beim Verkauf der Dresdner Bank an die Commerzbank.

Auf dem zweiten Platz folgt eine relativ kleine Kanzlei, Sullivan & Cromwell mit 20 Anwälten - aber einem Pro-Kopf-Umsatz von 965 000 Euro und einem Plus von 7,2 Prozent.

Das zweitgrößte Plus im Profitabilitästranking hat Allen & Overy auf dem achten Platz mit 16,2 Prozent. Deren Umsatzbringer war bislang Schaeffler-Anwalt Rolf Koerfer. "Er soll damit der umsatzstärkste Partner bei Allen & Overy weltweit geworden sein", so Poppelbaum. Abzuwarten bleibt, wie sich der überraschende Weggang von Koerfer zu Oppenhoff & Partner bemerkbar machen wird.

Allen & Overy nämlich musste jetzt als erste Top-Kanzlei wegen einer betriebsbedingten Kündigung einer ihrer Anwältinnen vors Arbeitsgericht Frankfurt. Die Frau hatte die Kündigungsschutzklage eingereicht und auf Wiedereinstellung geklagt - mit Erfolg. Das ist eine ganz neue Erscheinung in der verschwiegenen Branche: Auch zwei Juristen von Clifford Chance in Düsseldorf zogen vors Arbeitsgericht, weil sie bei Umstrukturierungen der Partnerschaft als so genannte Salary Partner gebeten worden seien, die Kanzlei zu verlassen. Das Ende ist noch offen.

Restrukturierung rettet die Bilanz

FRANKFURT. Es überrascht kaum: Die Beratung bei der Restrukturierung rettet vielen Sozietäten die Bilanz. "Wir sehen eine starke Zunahme beim Thema Restrukturierung", sagt Hans-Josef Schneider, Geschäftsführender Partner der deutschen Sozietät von Clifford Chance. Der große Vorteil: Der Boom betrifft viele Einzelthemen, von der Refinanzierung und der Rekapitalisierung über die Insolvenzberatung bis hin zu arbeitsrechtlichen Fragen, - und beschert damit vielen Anwälten Arbeit.

Die wohl härteste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik hat die Zahl der Insolvenzen deutlich ansteigen lassen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden zum Beispiel im Mai 2 663 Unternehmensinsolvenzen gemeldet, ein Plus von fast 15 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Dabei gehen Experten davon aus, dass der Höhepunkt der Insolvenzwelle erst noch bevorsteht.

Die Anwälte können sich also hier auch in den kommenden Monaten auf ein lukratives Geschäft einstellen, und das in vielen Nischen. Dieter Schenk, Partner und Sprecher der Sozietät Noerr Stieffenhofer Lutz aus München, nennt ein Beispiel dafür, wie weit das Thema Restrukturierung reichen kann: "Nicht nur das individuelle Arbeitsrecht ist gefragt, es geht auch darum, bestehende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zu ändern." Auch das Thema öffentliches Recht rückt plötzlich in den Fokus. "Hier wachsen wir deutlich. Dazu tragen Fragen wie etwa die des Zugangs zu den Hilfs- und Bürgschaftsprogrammen der Regierung bei", heißt es bei Linklaters.

Ein weiterer Wachstumstreiber ist die sogenannte Litigation, der juristische Streit zwischen Unternehmen etwa um Patente oder andere Rechte. "Wenn die Zeiten rauher sind, wird auch mehr gestritten", sagt Schneider von Clifford Chance. Dazu passt auch der wachsende Beratungsbedarf von Unternehmen in Sachen Corporate Governance. "Hier gelten zum Beispiel bei der Vergütung neue Vorgaben des Gesetzgebers, die alle Aktiengesellschaften betreffen", sagt Schenk. Von Jens Koenen

M&A-Geschäft darbt

FRANKFURT. Es ist der Treiber des Anwaltsgeschäfts vor der Krise gewesen: die Beratung bei Übernahmen und Fusionen. Umso heftiger war der Absturz. Auf dem Höhepunkt der Krise kam das M&A-Geschäft nahezu gänzlich zum Erliegen. Nach Daten des Finanzdienstleisters Thomson Reuters betrug das Fusionsvolumen im ersten Halbjahr weltweit zwar noch 369 Mrd. Dollar. Das sind aber 54 Prozent weniger als im dritten Quartal 2008, das bereits von der Lehman-Pleite beeinträchtigt war.

Besserung ist seitdem nur teilweise eingetreten. Allerdings gibt es erste Zeichen der Hoffnung, eine kleine Belebung, berichten Anwälte. "Das M&A-Geschäft kommt langsam wieder", sagt Dieter Schenk, Partner und Sprecher der Sozietät Noerr Stieffenhofer Lutz aus München.

Zum einen seien die Preise durch die Krise deutlich gesunken. "Das bringt Unternehmen in den Markt, die hier vorher nicht teilgenommen haben", sagt Schenk. Zum anderen ergebe sich aus der Restrukturierung heraus in vielen Fällen die Notwendigkeit von Portfoliobereinigungen. "Die Restrukturierung ist einer der Treiber für das langsam wieder anziehende M&A-Geschäft", sagt der Anwalt.

Wenig Beratungsbedarf bei Übernahmen haben derzeit die Private-Equity-Firmen. Sie hatten das M&A-Geschäft vor der Krise maßgeblich angeheizt, wurden mit der Finanzkrise und den zurückhaltenden Banken aber ausgebremst. Diese Situation hält nach wie vor an, auch wenn die Rechtsberater von einer wieder anziehenden Nachfrage berichten. Man sehe Private-Equity-Häuser wieder häufiger bei Auktionen, heißt es etwa bei Linklaters.

Weiterhin am Boden ist das Immobiliengeschäft. Wie bei Private Equity hatte auch hier die Zurückhaltung der Banken einen massiven Rückgang ausgelöst. Noch dazu war das Immobiliengeschäft in den USA einer der Auslöser der Krise. Doch die Rechtsexperten erwarten eine baldige Entspannung. "Die offenen Fonds sitzen auf einer großen Menge Geld, das Geschäft wird wiederkommen", heißt es bei einer großen Sozietät.

Von Jens Koenen

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