Arbeitslosigkeit unterschiedlich berechnet

Deutschland steckt in der Krise: Spätestens seit im Land der Dichter und Denker nicht nur Philosophen und Schriftsteller, sondern auch Kaufleute, Bäcker und IT-Spezialisten ohne Job dastehen, hat die Wirtschaftsflaute auch den Arbeitsmarkt erreicht.

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HB DÜSSELDORF. Auf dem Arbeitsmarkt liegen Nachfrage und Angebot im Ungleichgewicht. Allein im Juli 2003 standen 367 000 gemeldeten freien Stellen über vier Millionen potenzielle Bewerber gegenüber. Doch während hierzulande von Rekordarbeitslosigkeit die Rede ist, weisen Statistiker anderer Staaten Arbeitslosenquoten zwischen drei und fünf Prozent aus. Ein trügerischer Schein, denn kaum eine volkswirtschaftliche Kennzahl wird so schön gerechnet wie die Arbeitslosenquote.

So wurde allein in Großbritannien die Zählweise seit 1979 über 30 Mal geändert - stets mit ein und dem selben Ziel: Das Heer der Arbeitslosen sollte schrumpfen. Und auch in anderen Ländern werden die Berechnungen immer komplizierter, immer häufiger die Ausnahmen zur Regel, immer mehr arbeitspolitische Probleme hinter komplizierten Gesetzestexten versteckt. Somit täuschen die Politiker nicht nur sich, sondern auch die Bürger. „Das Prinzip ist ganz einfach,“ meint Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, „am Ende jeder Statistik steht das Ergebnis, das man will.“ Für einen internationalen Vergleich würden diese Zahlen dann schließlich überhaupt nicht mehr taugen, zu unterschiedlich sei der Einfluss der Politik.

International vergleichbare Quoten

So verlaufen sogar quer durch das vereinte Europa Berechnungsgrenze, die über Erwerbs- und Arbeitslosigkeit entscheiden. Während die thüringische Hausfrau mit Anspruch auf Kindergeld in der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit erscheint, gilt das Hüten von Haus und Kind in Österreichs als Vollzeit-Job. In Großbritanniens Statsitiken ist gar nur arbeitslos, wer eine Vollzeitbeschäftigung sucht und Unterstütztung erhält, die allerdings nur sechs Monate lang gewährt wird. In den USA zählt bereits als voll erwerbstätig, wer mindestens eine Stunde pro Woche arbeiten geht. In Europa ist eine Mindestzahl von 15 Stunden üblich.

Die verschiedenen Quoten einzelner Staaten sind also nicht zwangsläufig vergleichbar. Für das vergangene Jahr lag beispielsweise die Arbeitslosenzahl der Bundesanstalt für Arbeit bei 9,8 Prozent. Hätten sich die amerikanischen Kollegen vom Bureau of Labour Statistics mit den deutschen Arbeitslosen beschäftigt, ständen nur 8,6 Prozent ohne Job da, nach den durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definierten Berechnungen, die mit fest gesetzten Kriterien vergleichbare Quoten hervorbringen will, gar nur 7,8 Prozent.

Es fehlen 11 Millionen Vollzeitstellen

Um jedoch die wirklichen Probleme der Arbeitslosigkeit aufzuzeigen und somit als Basis für politische Entscheidungsprozesse zu dienen, sind auch diese Zahlen ungeeignet. „Dafür bräuchten wir Vollzeit-Quoten, um zu sehen, wie viele Menschen wirklich nur durch Arbeit ihren Lebensunterhalt aufbringen können“, so DIW-Präsident Klaus Zimmermann, „das wird aber bislang in keiner der Statistiken erfasst. Die Arbeitslosenquote läge dann aber sicherlich um einige Prozente höher."

Noch dramatischer sieht die Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlicher Studien zur Arbeiterbewegung (GSA) die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Glaubt man der Studie der Essener Gesellschaft, fehlen in Deutschland insgesamt sogar knapp 11 Millionen Vollzeitarbeitsplätze. Neben den über vier Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen, verkündet die GSA, suchen alleine gut 2,2 Millionen Menschen, die zurzeit auf 400-Euro-Basis arbeiten, eine Millionen Rentner und über 600 000 Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Weiterbildungskursen mittelfristig einen Ganztags-Job.

Links zum Thema:

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Die Internationale Arbeitsorganisation (englisch)

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