Sberbank Die Finanzkrise kennt in Russland auch Gewinner

Die russische Megasparkasse Sberbank geht gestählt aus der Finanzkrise hervor. Kann ihr Chef German Gref die Bank nun auf Expansionskurs bringen?

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Bankchef Gref (r.) mit Mentor Quelle: REUTERS

Hier gibt es keinen Hubschrauber für das Top-Management und keinen Swimmingpool auf der Führungsetage. Dies habe German Gref, so spotten Moskauer Banker, gleich an seinem ersten Arbeitstag als Chef von Russlands größter Bank, der Sberbank, moniert. Denn auf den ersten Blick passt der 44-Jährige so gar nicht an die Spitze der gigantischen Sparkasse. Das biedere Bankhaus, das noch den Mief der Sowjetunion ausstrahlt, wird kaum den Ansprüchen des neuen Direktors genügen, der für seine zweite Hochzeit den Thronsaal in der Sommerresidenz Peters des Großen mietete. Den Chefposten der Sberbank übernahm er im November vergangenen Jahres. Wenige Wochen zuvor musste Gref als Wirtschaftsminister gehen, weil er mit seinen wirtschaftsliberalen Ideen im Kontrollstaat des ehemaligen Staatspräsidenten und künftigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin aneckte.

Das Verhältnis zu Putin hat das nicht getrübt. Der ist überzeugt, dass Grefs Qualitäten als liberaler Reformer bei der Sberbank wohl einfach besser am Platz sind. Das Unternehmen gilt als ineffizient, geradezu kundenfeindlich, das Berechtigungsscheinwesen blüht wie zu Sowjet-Zeiten. Von maßgeschneiderten Kreditlösungen oder Online-Banking ist die Sparkasse weit entfernt. Überdies ächzt sie unter lästigen staatlichen Aufgaben wie den monatlichen Barauszahlungen an Russlands Rentner.

Mit einem Börsenwert von mehr als 44 Milliarden Euro ist die Sberbank, die mehrheitlich in Staatsbesitz ist, das drittgrößte Unternehmen Russlands, nach Gazprom und dem Ölmulti Rosneft. Mit einem Marktanteil von über 25 Prozent dominiert die Sberbank das Inlandsgeschäft. Der wachsende Inlandsmarkt spült so viele Milliarden in die Kassen, dass die Bank leicht im Ausland expandieren und zum Global Player aufsteigen könnte – auch deshalb, weil sie von den Wirren der internationalen Finanzkrise kaum betroffen ist. Im Gegenteil: Da die meisten Russen ihr Erspartes bei der Sberbank anlegen, ist das Kreditinstitut nach wie vor überaus liquide.

Darum orientiert sich Neubänker Gref in Richtung Weltmärkte. Bereits im Dezember kaufte er eine große ukrainische Bank, eine Expansion in China und in Afrika soll folgen. Natalia Orlowa, Chefökonomin des Konkurrenten Alfa-Bank, schließt nicht aus, dass Gref bald auch im Westen Europas zukauft. So galt er bereits als Interessent für Dresdner Kleinwort, dem Investmentbanking-Arm der Allianz. Doch Gref dementierte hart: „Mir fällt kein einziges Argument ein, warum eine Übernahme dieser Bank für Sberbank sinnvoll wäre.“

Vor dem Sprung ins Ausland muss Gref freilich die Großbank erst noch effizienter und transparenter machen. Der neue Chef selbst versprach den Aktionären bei seiner Amtseinführung ebenso schwammig wie markig, er wolle mit seiner Arbeit „beweisen, dass Elefanten tanzen können“.

Dabei ist der russische Sparkassendirektor, der deutsche Vorfahren hat und die Sprache fließend spricht, kein Banker. Abgesehen von ein paar Jahren als Aufsichtsratschef des Hauses hat der Jurist keine Branchenerfahrung. Sein Vorgänger Andrej Kasmin, der nun die russische Post nach deutschem Vorbild zum globalen Finanz- und Logistikkonzern umbauen soll, gilt als wesentlich schwereres Kaliber. Andere meinen dagegen, ein Querdenker wie Gref sei genau der Richtige für diesen Job.

Tiefe Schneisen wird er wohl auch in die Bürokratie der Sberbank schlagen müssen. Schon hat er Berater von McKinsey und Bain angeheuert. Wie schwerfällig die täglichen Geschäfte ablaufen, zeigt sich in jeder der 20 000 standardisierten Filialen. Dort sitzen meist vier bis sechs Mitarbeiter hinter ihren schusssicher verglasten Schaltern, Beratungstische gibt es nicht. Wer eine Frage zum Sparkonto hat, muss sich unbedingt in die richtige Schlange stellen; der Sachbearbeiter am Schalter für Kreditkunden wird sicher keine Auskunft geben. Gelegentlich kurbelt der einzige für Sparbücher zuständige Mitarbeiter wegen einer „technischen Pause“ vor den wartenden Kunden die Jalousie herunter. Wenn die monatlichen Rentenzahlungen fällig werden, stehen Kunden erst recht Schlange. Russlands Rentner müssen ihr Geld in den übers ganze Land verteilten Filialen abholen – egal, ob sie dort ein Konto haben. Auch Geschäftskunden ärgern sich oft, wenn sie wieder einmal drei Wochen auf eine Auslandsüberweisung warten müssen.

In der Sowjetunion war die Sberbank die einzige Privatkundenbank mit flächendeckendem Filialnetz. Das erklärt, weshalb jeder zweite Russe sein Sparkonto dort führen lässt. „Die Sberbank war Teil des Sowjetsystems und hat bis heute Schwierigkeiten mit Kundenorientierung und Effizienz“, sagt Wladimir Ismailow, Russlandchef der Ratinggesellschaft Standard & Poor’s, in deren Transparenzliste die Sparkasse 2007 vom 5. auf den 16. Platz fiel – vor allem wegen ihrer trägen Kommunikation mit den Aktionären.

In den Katakomben der Sberbank und ihrer 18 Regionalgesellschaften erinnert vieles an die Sowjetunion. Defizite beim Risikomanagement sind offenkundig, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit findet kaum statt, nicht einmal ein stringentes Marketingkonzept existiert. Im fernen Sibirien gibt es Probleme, qualifizierte Banker zu finden – von serviceorientierten Beratern ganz zu schweigen.

Gref muss dem Bankhaus eine völlig neue Struktur verpassen, dem russischen Riesen ein sympathisches Gesicht geben. „Das wird weh tun“, kommentiert ein Bankmanager, der die Sberbank von innen kennt. Ein großer Teil des bisherigen Managements wollte sich den bevorstehenden Einschnitten nicht ausliefern – und verließ das Boot, kurz nachdem Gref das Ruder übernommen hatte. Die Übrigen konnte er mit einem lukrativen Optionspaket halten.

Für Kreditnehmer ist die Sberbank trotz aller Trägheit eine gute Adresse. Das liegt vor allem daran, dass die russische Zentralbank mehr als 60 Prozent der Aktien besitzt und den Koloss finanziell stabil hält. Außerdem profitiert sie von den Zuflüssen durch Spareinlagen, die ernsthafte Liquiditätsprobleme von der Bank fernhalten. Dank der stets soliden Ratings hat die Sberbank trotz globaler Finanzkrise keine ernsthaften Refinanzierungssorgen und kann Kredite zu günstigeren Konditionen anbieten als ihre Wettbewerber. Im Zuge der globalen Finanzkrise haben die meisten russischen Banken die Kreditzinsen erhöht, deren Laufzeiten herabgesetzt, hohe Sicherheiten eingefordert und insgesamt deutlich weniger Darlehen ausgegeben. Nur die Sberbank bietet immer noch recht günstige Kredite an. Bei Darlehen für Geschäftskunden hat sie den Marktanteil von 31 Prozent vor Beginn der Finanzkrise auf zuletzt fast 40 Prozent ausbauen können.

„Die wenigen Großbanken in Russland profitieren am stärksten von der globalen Kreditkrise“, meint Finanzexperte David O’Connor, Partner bei Ernst & Young in Moskau. Wenn sie aber länger anhalte und das Wachstum in Ländern wie USA oder China beeinflusse, gerate auch die russische Wirtschaft in den Strudel. Unabhängig davon ist sich der Analyst sicher: „Der russische Finanzsektor wird langsamer wachsen als in den letzten Jahren.“ Vor allem im Privatkundengeschäft hatten Banken in Russland zuletzt gigantische Zuwächse erreicht: Das Volumen der Verbraucherkredite wuchs 2006 um sagenhafte 90 Prozent und 2007 immer noch um 60 Prozent.

Doch das lukrative Geschäft mit Privatkrediten birgt auch einen Risikofaktor: den Verbraucher. „Nicht alle Russen verstehen, dass sie einen aufgenommenen Kredit irgendwann wieder zurückzahlen müssen“, sagt Bankenanalyst Maxim Orjoschkin von der Rosbank, bei der sich 2007 die französische Société Général eingekauft hat. Ernst & Young-Experte O’Conner sagt zum Verhalten der Russen beim Abschluss eines Kredits: „Sie wollen das Geld, und zwar sofort.“ Über die langfristigen Kosten machten sie sich oft keine großen Gedanken. Die Folge können Kreditausfälle in stärkerem Maße sein, wenn es mit der russischen Wirtschaft wieder bergab geht.

Ausgeschöpft ist der russische Bankenmarkt dennoch nicht. So finanzieren Unternehmen, nach einer Studie der Deutschen Bank, ihre Investitionen nur zu 17 Prozent über Kredite, Aktien- oder Anleihenemissionen. Die Sberbank könnte ihren Marktanteil ausbauen, wenn sie ihre Kreditangebote stärker auf kleine und mittlere Unternehmen zuschneidet, die zunehmend zur Konkurrenz abgewandert sind.

Die Sberbank hat sich vor gut einem Jahr mit einem Teilbörsengang aufs Moskauer Parkett gewagt – anfangs sogar mit großem Erfolg: Zum Jahresende verzeichneten die Sberbank-Aktien ein Plus von 22 Prozent. Inzwischen hat die Angst vor den Auswirkungen der Kreditkrise in Russland aber auch die Sparkasse erreicht, so dass deren Papiere derzeit unter den Vorjahreswerten notieren.

In einigen Monaten, vielleicht schon im zweiten Halbjahr, will Gref trotzdem an die Londoner Börse gehen. Er hofft, dass die soliden Fundamentaldaten die Anleger überzeugen. Der Börsengang in London könnte zum Startschuss für den Aufbruch in die globale Finanzwelt werden – vielleicht startet er dorthin demnächst mit einem grün lackierten Hubschrauber vom Dach der Moskauer Bankzentrale aus.

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