Rohstoffe Stahlbaron Mittal baut sein Imperium weiter aus

Stahlbaron Lakshmi Mittal greift nach den Sternen. Kauft sich der Milliardär beim Bergbau-Riesen Rio Tinto ein? Wenn es Mittal schafft, sein Imperium weiter auszubauen, dann steigen die Preise für Stahl noch weiter – mit Folgen für uns alle.

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Stahlbaron Lakshmi Mittal Quelle: REUTERS

Kürzlich erst hat Lakshmi Mittal mal wieder etwas Geld ausgegeben. 70 Millionen Pfund, umgerechnet 89 Millionen Euro, ließ der vermögendste Mann Großbritanniens und, laut Forbes-Liste, der Viertreichste der Welt für die Renovierung eines Prachtbaus im Juni springen – die frühere Botschaft der Philippinen an der Luxusmeile Kensington Palace Gardens, mitten in London. Dort will seine Tochter Vanisha, 27, schon bald ein neues Zuhause finden. Der 58-jährige indischstämmige Stahlbaron selbst lebt längst in einem angemessen prachtvollen Anwesen mit Ballsaal, zwölf Schlafzimmern, einer dazugehörigen Gemäldegalerie und einem juwelenbesetzten Schwimmbad an der Londoner Milliardärsmeile.

Acht Wochen zuvor hatte der Inder 117 Millionen Pfund für eine Luxusvilla hingeblättert, um auch seinem 32-jährigen Sohn Aditya in der Nachbarschaft ein standesgemäßes Domizil zu verschaffen. Damit hat die indische Großfamilie Mittal nun ein neues Zuhause an der exklusivsten Adresse Großbritanniens, im Schatten jenes Palastes, in dem einst Prinzessin Diana residierte. Das passt zum dynastischen Denken des Multimilliardärs, der sowohl privat wie beim Aufbau seines weltumspannenden Firmenimperiums den Einfluss seiner Familie vorantreibt.

Clan-Chef Lakshmi Mittal zeigt auch im Geschäftlichen einen ungebrochenen Expansionsdrang. Zug um Zug baut er sein Imperium aus – und will dem Vernehmen nach nun sogar in das Bieterrennen um den britisch-australischen Bergbauriesen Rio Tinto einsteigen. Das ist weltweit die Nummer drei unter den Abbaukonzernen, die aus ihren gewaltigen Minen vor allem das Erz der Erde holen – Erz, das für die Herstellung von Stahl so wichtig ist.

Arcelor Mittal ist größter Stahlkonzern der Welt

Gut zwei Jahre nach der spektakulären Übernahme des belgischen Konkurrenten Arcelor arbeitet Mittal, Vorstandschef und Mehrheitsaktionär von Arcelor Mittal, an der nächsten Etappe seiner Strategie. In den vergangenen 32 Jahren hatte er durch den Aufkauf von heruntergekommenen Stahlkochern in Asien, Amerika und Europa den größten Stahlkonzern der Welt geschmiedet. Jetzt will er die Abhängigkeit seines Imperiums von externen Rohstoffquellen verringern, indem er den Selbstversorgungsgrad von Arcelor Mittal erhöht.

Derzeit deckt der Konzern gut 45 Prozent seines Eisenerzbedarfs und rund zwölf Prozent seines Kokskohlebedarfs aus eigenen Quellen. Bis 2012 will Mittal den Anteil beim Eisenerz auf 80 Prozent erhöhen. Auch bei der Kohle strebt der Stahl-Tycoon nach größerer Unabhängigkeit von Rohstoffproduzenten. Das würde ihm, dem Herrn über 320.000 Beschäftigte in 60 Ländern, mehr als 70 Milliarden Euro Umsatz, über gut zehn Prozent Weltmarktanteil und einen Börsenwert von mehr als 125 Milliarden Pfund, noch einmal einen enormen Schub verleihen. Schon heute ist Arcelor Mittal fast viermal so groß wie der nächste Wettbewerber.

Gelingt ihm der strategische Schritt, hebt er nicht nur den Wert des Familien-Portfolios drastisch an. Heute hat die 44-prozentige Beteiligung der Mittals einen Wert von rund 30 Milliarden Euro. Gleichzeitig würde Mittal so seine Position auf dem globalen Stahlmarkt auf lange Sicht festigen. An ihm käme auch in Deutschland kein Abnehmer von Stahl mehr vorbei, an seiner Preispolitik müssten sich auch Wettbewerber wie ThyssenKrupp noch stärker orientieren als ohnehin schon – mit weitreichenden Folgen nicht zuletzt für jeden Verbraucher.

Wie kein zweiter Werkstoff gilt Stahl als Symbol der Industrialisierung. Ohne Stahl gibt es praktisch keine Automobilproduktion, keine Wolkenkratzer, keine Haushaltswaren, keine Maschinen, keine Reißverschlüsse in Kleidungsstücken, keinen Draht, keine Nägel oder Nadeln, kein Messer, keine Gabel. Der Rohstoff, aus dem Karosserien gefertigt sind, macht bis zu 50 Prozent des Pkw-Rohmaterials aus. Noch vor 25 Jahren gab ein Autohersteller mehr für die Werbung eines Modells aus, als für den Stahl eines Fahrzeugs. Um die 150 Euro betrugen damals die Kosten einer Karosse. Heute kostet der Stahl in einem Mittelklasseauto mehr als 600 Euro.

Immer leichtere und gleichzeitig festere Stahlsorten sind auf dem Vormarsch und verdrängen das teurere Aluminium. Dabei steigt auch der Preis des Stahls immer höher, weil der Bedarf durch den ungeheuren Sog aus dem sich dynamisch industrialisierenden China immer stärker wird – und weil die für die Stahlerzeugung benötigten Rohstoffe exorbitant teurer werden. Nicht nur Industriestrom mit einem Preisplus von 30 Prozent, auch die für die Stahlerzeugung so wichtigen Eisenerze aus Brasilien und Australien haben sich in den vergangenen fünf Jahren extrem verteuert, um gut 70 Prozent.

Stahl wird zur begehrten Ware, die seit einem Jahrzehnt um durchschnittlich sieben Prozent jährlich teurer wird. Damit wird Stahl zum Preismotor für alles. Mit ihm wird alles teurer, nicht nur Autos, deren Händlermarge allein im ersten Halbjahr 2008 durch Stahlpreiserhöhungen um 1,5 Prozent geschmälert wurde – in Zeiten hoher Rabatte gut ein Fünftel des Gewinns. Im Juni kostete Stahl auf dem Weltmarkt durchschnittlich 1134 Dollar die Tonne, im Juni 2007 waren es noch 691 Dollar. Und vor fünf Jahren lag der Preis pro Tonne bei 320 Dollar.

Methode Mafia ist Methode Mittal

Der WirtschaftsWoche liegen mehrere aktuelle Briefe von Stahlunternehmen an Automobilzulieferer vor, in denen unverhohlen damit gedroht wird, Liefermengen zu reduzieren oder drastische Preiserhöhungen zu akzeptieren. ThyssenKrupp-Boss Ekkehard Schulz wurde via „Spiegel“ deutlich: „Viele Kunden haben einen Jahresvertrag mit fest vereinbarten Preisen für 2008 mit uns. Denen sagen wir, ihr habt zwei Möglichkeiten. Entweder ihr wollt diesen Vertrag so abwickeln“, sagte Schulz, „aber ihr müsst euch dann darauf einstellen, dass die Preise für das Jahr 2009 deutlich stärker steigen. Und wir können nicht garantieren, dass ihr in 2009 die gewünschten Mengen bekommt.“ Klingt das für viele arg nach Methode Mafia, ist es wohl eher Methode Mittal: „Arcelor Mittal ist Markt- und Preisführer der westlichen Welt“, sagt Wolfgang Leese, Vorstandschef des zweitgrößten deutschen Stahlherstellers, Salzgitter AG, „er hat insbesondere durch seine hohen Lieferanteile im Automobilbereich einen bedeutenden Einfluss.“

Der Mann mit Einfluss war noch vor gerade mal fünf Jahren ein Nobody. Heute wandelt Mittal schon auf den Spuren des deutschen Industrie-Mythos Krupp. Der stand und steht noch heute für den einst größten Konzern Europas, die gewaltigste Stahlschmiede der Welt und ihres mit Abstand reichsten Mannes. Was Krupp war – Mittal steht ihm nicht viel nach: Einzig der Mexikaner Carlos Slim sowie die beiden Amerikaner Warren Buffett und Bill Gates haben mehr Vermögen angehäuft als der Inder, der auf 30 Milliarden Euro geschätzt wird.

Alfred Friedrich Krupp und sein Vater hatten im 19. Jahrhundert dagegen, was Vermögen betraf, niemanden mehr über sich. Die italienische Insel Capri war praktisch vollständig in Krupp-Besitz, einschließlich der so oft besungenen Grotte. Es galten auf Capri sogar von Krupp tolerierte, vom italienischen Königreich abweichende Gesetze. So etwas und auch der Prachtbau der Essener Villa Hügel von 1878, in der die erste Klimaanlage der Welt eingebaut war, entsprach märchenhaftem Reichtum – vergleichbar mit den heute so illustren Adressen an den Kensigton Palace Gardens von London, dem üppigen Mittal-Quartier.

Längst hat Mittal nicht nur einstige Vorzeigeadressen, die scheinbar so übermächtigen British Steel und US-Steel übertrumpft. Auch Krupp rangiert im 155. Jahr seines Bestehens, fusioniert mit Hoesch und Thyssen, weltweit nach Stahlausstoß gemessen, nur auf Platz zehn. Mittal dagegen führt im Jahr 25 seines Unternehmertums mit Abstand die Weltliga an. Der zweitgrößte Stahlproduzent, Nippon Steel, weist weit weniger als ein Drittel der Mengen aus, die Mittal ausstößt.

Friedrich Alfred Krupp: Quelle: dpa-dpaweb

Mittal macht in Sachen Stahl alles: Flachstahl für die Autoindustrie, Langstahl für den Bau sowie dicke und dünne Drähte für Tausende von Produkten des täglichen Bedarfs. Der Krupp-Nachfolgekonzern ThyssenKrupp hat sich dagegen, wie sein Chef Schulz unverblümt sagt, „in der Nische“ der Flachstahlproduktion eingerichtet. Die Kruppianer von heute respektieren Mittal, aber sie scheinen ihm nicht über den Weg zu trauen. Von keiner Kooperation mit dem kontaktstarken Mittal wissen sie zu berichten. Krupps Erben – die Gründerfamilie hat mit dem Unternehmen nichts mehr zu tun – haben sich zur Festung eingeigelt. Mittal soll dabei draußen bleiben. Der mächtige Mann im Hintergrund des ThyssenKrupp-Konzerns, Berthold Beitz, hielt die Nachkommen konsequent draußen. Dynastien gibt es bei Krupp nicht mehr, wohl aber bei Mittal.

Und er ist längst in Deutschland: Bereits vier deutsche Stahlwerke nennt Mittal sein Eigen. Zurzeit ist er mit großem Gefolge in Deutschland unterwegs, besucht Kunden, Automobilhersteller, heißt es, und Autozulieferer. Er macht ihnen Angebote, die zu Angst und Schrecken führen – nämlich die lang laufenden Lieferverträge aufzubrechen und nachzuverhandeln – sprich die Preise um 10 oder 20 Prozent zu erhöhen – oder mit Lieferstopp nach der Vertragslaufzeit zu drohen.

Das machen auch ThyssenKrupp-Verhandlungsemissäre in diesen Tagen. Nur: Mittal hat es vorgemacht, die anderen folgen. Der ruppige Stil eines Aufsteigers, dem nichts geschenkt wurde, hat auch die früher so konsenssüchtige deutsche Stahlszene erfasst.

Zu seinen Besitztümern hierzulande zählen die Hamburger und die Bremer Stahlwerke. Ein Drahtwerk in Duisburg gehört dazu genauso wie die ostdeutschen Eisenhüttenwerke, direkte Konkurrenten des VW-Lieferanten Salzgitter. Auch an der Saar ist Mittal dabei. An der Dillinger Hütte hält er 51 Prozent; Saarstahl hatte einst wie Krupp-Stahl einen Ruf wie Donnerhall. Mittals Hochseeyacht soll aus Saarstahl gefertigt sein, sagen die Dillinger stolz. Und in Duisburg-Hochfeld hängen Mittal-Bilder und Fotos von der prunkvollen Hochzeit seiner Tochter in der Pförtnerloge des Stahlwerkes. Die meist türkischstämmigen Mittal-Werker schwören nach Schichtende auf den Emporkömmling, der in seiner Kindheit weder Strom noch Wasseranschluss kannte: „Der ist doch eigentlich einer von uns“, sagen sie. Es gab Zeiten, die ihn gelehrt haben zu kämpfen – wie jetzt, wo er offenbar nicht tatenlos zusehen will, wie in der für die Stahlherstellung eminent wichtigen Rohstoffbranche die Weichen neu gestellt werden.

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