Wann immer Wolfgang Reitzle an einem größeren Deal bastelt, bespricht er sich mit einem Ratgeber: Dietrich Becker, umtriebiger Investmentbanker der amerikanischen Beratungsboutique Perella Weinberg Partners. Schon vor neun Jahren, bei der milliardenschweren Übernahme des britischen Gaseherstellers BOC durch den von Reitzle damals geführten Rivalen Linde, holte er den damals noch für Morgan Stanley arbeitenden Becker an Bord; im Zuge der hürdenreichen Fusion zwischen den Zementherstellern Holcim und Lafarge in diesem Jahr ebenso.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Nun wird der Co-Präsident der frisch fusionierten Lafarge-Holcim vom Kunden zum Kollegen: Reitzle ist nach Informationen des Handelsblatts zum Advisory Partner von Perella ernannt worden. In dieser Rolle soll er den Amerikanern und ihren europäischen Kunden beratend zur Seite stehen – sozusagen als Sparringspartner der Investmentbanker und ihrer Kunden, der eine industrielle Sichtweise einbringt.
Seit seinem Abschied als Linde-Chef 2014 hat das ewige deutsche Management-Wunderkind eine lange Liste an Posten gesammelt: Der Wahlmünchener ist neben seinem Amt bei Lafarge-Holcim Aufsichtsratschef bei Continental und Medical Park sowie Aufsichtsrat bei Hawesko und Axel Springer.
Neben der Beratung von Kunden soll der 66-Jährige auch Perella selbst bei ihren weiteren Wachstumsplänen mit Rat und Tat beiseite stehen. Die gerade einmal neun Jahre alte amerikanische Investmentbank ist eine von mehreren schnellwachsenden, unabhängigen Firmen, die zuletzt den großen Platzhirschen – von Goldman Sachs bis zur Deutschen Bank - in diesem Metier Marktanteile abgenommen haben.
Perella beschäftigt mittlerweile 450 Mitarbeiter und ist neben der Fusionsberatung auch im Restrukturierungsgeschäft und in der Vermögensverwaltung für institutionelle Kunden aktiv.
Mit Deals kennt sich der 66-Jährige, der mit der Moderatorin Nina Ruge verheiratet ist, spätestens seit der feindlichen Übernahme von BOC bestens aus. „Es ist immer so, dass der Erfolg von Fusionen nie von einer Person allein abhängt“, sagte er kürzlich dem Handelsblatt. Aber ein guter Berater schadet natürlich nie.