Behinderte Manager Karriere mit Handicap

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Bundesinnenminister Wolfgang Quelle: dpa

Der Managercoach hat sich klassisch hochgearbeitet. Nach dem Badeunfall lebt er zwei Jahre lang von Sozialhilfe, rappelt sich auf und schließt sein Studium an der Kölner Sporthochschule ab – als erster Rollstuhlfahrer überhaupt.

Kurz darauf wird er Vertreter eines Unternehmens für Rehaprodukte. Der Job bedeutet Knochenarbeit: Allein das Ein- und Aussteigen am Auto, das Hineinhieven des Rollstuhls kostet Grundl viel Kraft und noch mehr Zeit. Will er mithalten, muss er effektiver arbeiten als die Kollegen.

Es gelingt ihm, und er wird zuerst Außendienstleiter, dann Key Account Manager, schließlich Marketing- und Vertriebsdirektor. Und auf einmal lernt er eine ganz andere Form der Diskriminierung kennen: „Anfangs haben mir die Kollegen geradezu begeistert die Tür aufgehalten und auch mal mein Mittagessen gebracht. Es fühlt sich ja auch gut an, dem armen Behinderten zu helfen.“ Doch kaum steigt Grundl in der Hierarchie auf, hält ihm keiner mehr die Tür auf: Der Behinderte soll froh sein, überhaupt einen Job zu haben – aber gefälligst nicht an den Kollegen vorbeiziehen!

"Rollstuhlfahrer ziehen Jammerlappen magisch an"

Doch genau das macht er. Nach nur drei Jahren ist Grundl Vizechef der Firma – und fühlt sich massiv gemobbt. „Du bist immer so schrecklich motiviert“, ätzen die Kollegen. Von einem Behinderten hätten sie gerade das nicht erwartet.

„Rollstuhlfahrer ziehen Jammerlappen magisch an“, sagt Grundl. Die wollten sich dann bestätigen lassen, wie schrecklich die Welt, der Job, der Chef ist, so nach dem Motto: Du musst das doch wissen, dir geht es doch noch dreckiger als mir. Aber wenn der Mann im Rollstuhl dabei nicht mitspielt, sind sie irritiert. Mindestens.

Grundl spielt nicht mit. Hat er noch nie. Er erlebt es bis heute als Geschenk, überhaupt arbeiten zu dürfen. Seinen Rollstuhl sieht er als Werkzeug, das ihm seine Unabhängigkeit garantiert.

Natürlich kennt auch er die Selbstzweifel. Nach dem Unfall freut er sich über jeden Minifortschritt: die zurückgewonnene Beweglichkeit des Daumens; die wachsende Geschwindigkeit beim Sockenanziehen; den ersten Einkauf, ganz allein.

Acht Prozent aller Studenten sind gesundheitlich beeinträchtigt

Kaum ist ein solcher Meilenstein erreicht, setzt er sich neue Ziele. Das ist sein Naturell. „Wer wie ich durchs Tal der Tränen gegangen ist“, sagt er, „der ist dankbar für seinen Job, nimmt ihn ernst und leistet gerne etwas.“

Solche Wesenszüge sind typisch, bestätigen auch die Arbeitsvermittler. Behinderte Hochschulabsolventen seien auffällig leistungsbereit und durchsetzungsstark. Anders hätten sie ihren Weg durch die Uni wohl auch kaum gemeistert.

Während sich immer mehr Schulen um die Integration von Behinderten bemühen, entwickeln sich die Universitäten eher zum Handicap: Zwölf Prozent aller behinderten Deutschen machen Abitur, aber nur drei Prozent schaffen einen Hochschulabschluss. An vielen Unis fehlen oft einfachste Hilfsmittel wie Fahrstühle oder Beschriftungen in Blindenschrift.

Immerhin hat sich die Hochschulrektorenkonferenz gerade auf eine Selbstverpflichtung geeinigt: Die Universitäten sollen stärker auf Chancengleichheit für behinderte Studenten achten. Dazu gehört der behindertengerechte Umbau der Gebäude und das Angebot barrierefreier Studieninhalte, zum Beispiel durch Computer-Lesegeräte für Sehbehinderte. Acht Prozent aller Studenten sind laut Deutschem Studentenwerk durch eine gesundheitliche Schädigung beeinträchtigt, davon knapp die Hälfte mittelstark bis sehr stark.

Noch muss das Gros jedoch allein Lösungen finden: Blinde Studenten bitten deshalb oft ihre Kommilitonen, ihnen die Vorlesungsskripte vorzulesen. Schwerhörige engagieren auf eigene Faust einen Gebärdendolmetscher. Klar ist: Wer das alles durchzieht, geht mit großer Wahrscheinlichkeit auch seinen Beruf zielstrebig und konsequent an.

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