„Selbstbestimmt“ ist der zentrale Begriff in der aktuellen Arbeitszeitdiskussion der IG Metall. Selbstgewählte freie Tage, verlässliche Schichten und Teilzeit-Optionen über längere Zeiträume hinweg - die Liste möglicher Forderungen an die Arbeitgeber ist lang. „Die Beschäftigten wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen“, sagt Gewerkschaftschef Jörg Hofmann, der mit der Arbeitszeit das Hauptthema seiner Amtszeit gefunden hat. Unterfüttert von den Ergebnissen einer Beschäftigtenbefragung mit 680.000 Teilnehmern will Deutschlands mächtigste Gewerkschaft am heutigen Dienstag, den 27. Juni, in Mannheim darüber beraten, wie man die Forderungen mit konkreter Tarifpolitik umsetzen kann.
Mit entschlossenem Widerstand der Arbeitgeber ist zu rechnen, denn im von der Globalisierung getriebenen Daueraufschwung ist die Arbeit vor allem für hoch qualifizierte Fachkräfte nicht knapper geworden. Die regionalen Arbeitsmärkte seien leer gefegt, klagen beispielsweise die Industrie- und Handelskammern Hessens.
"Der Kunde bestimmt, wann gearbeitet wird"
Gefragt sei vor allem eine höhere Flexibilität für Betriebe und ihre Beschäftigten gleichermaßen, sagt der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger: „Der Kunde entscheidet, wann was produziert werden muss - und daher, wann Arbeit geleistet werden muss.“ Höhere Kosten dürfe ein neues Arbeitszeitsystem aber auf keinen Fall bringen: „Wie auch immer eine neue Balance aussieht, sie darf Arbeit nicht noch teurer machen.“
Die mit harten Arbeitskämpfen durchgesetzte 35-Stunden-Woche für Vollzeitkräfte ist 22 Jahre nach ihrer vollständigen Umsetzung in vielen Metallbetrieben nur noch blanke Theorie. Ohnehin gilt sie nur in Westdeutschland, im Osten sieht der Metall-Flächentarif weiter 38 Stunden Wochenarbeitszeit vor. Der IG-Metall-Umfrage zufolge arbeitet nur gut jeder fünfte Teilnehmer 35 Stunden oder weniger.
Im Schnitt aller Beschäftigten hierzulande wird die 35-Stunden-Woche zwar erreicht, aber nur unter Einbeziehung sämtlicher Teilzeitkräfte, wie das Statistische Bundesamt auf der Grundlage von Mikrozensus und Arbeitskräfteerhebung berichtet. Die Inhaber von Vollzeitjobs arbeiten nach eigenen Angaben im Schnitt 41,7 Stunden die Woche und wollen daran zu 93 Prozent auch nichts ändern. Die IG Metall hält mit eigenen Zahlen dagegen: In ihren Branchen wünschten sich 68 Prozent eine Arbeitszeit von 35 Stunden oder weniger.
Gewerkschaft trifft Nerv der Arbeitgeber
Beide Seiten haben sich für den Tarifkonflikt mit Umfragen gerüstet, aus denen sie ganz unterschiedliche Botschaften herauslesen. „62 Prozent können sich vorstellen, länger als zehn Stunden zu arbeiten - wenn es ihre eigene Entscheidung ist“, berichtet Gesamtmetall und rüttelt damit an den gesetzlichen Vorschriften zur Höchstarbeitsdauer, die Mindestruhepausen von elf Stunden zwischen zwei Arbeitseinsätzen vorsehen.
Laut Gesamtmetall haben 93 Prozent der Befragten erklärt, ihre Arbeitszeit zumindest prinzipiell kurzfristig an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Alles in Butter also? Das findet die IG Metall überhaupt nicht und verweist auf rund eine Milliarde Überstunden, die jedes Jahr unbezahlt blieben.
Dies einzufordern sei nur der erste Schritt, denn die eigene Befragung habe ergeben: „82 Prozent finden es gut, Arbeitszeit zeitweise absenken zu können, etwa für die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen oder berufliche Ausbildung. Dafür erwarten sie einen finanziellen Ausgleich.“
Die Typologie der Arbeitnehmer: Wer wie lange arbeitet und wie viel verdient
Im Rahmen der Xing-Arbeitsmarktstudie wurden unterschiedliche Arbeitnehmer-Typen definiert und fünf relevante Segmente gebildet. Eine der Gruppen sind die "Flexiblen", also beispielsweise Teilzeitkräfte oder Projektarbeiter. Zu dieser Gruppe gehören überwiegend jüngere Frauen mit einer durchschnittlichen Ausbildung, einem meist festen Einkommen von unter 2.000 Euro (brutto), in deren Berufsfeld Home Office oft möglich ist. Ihre Arbeitszeit beträgt zwischen 30 und 40 Stunden in der Woche.
Die Wissensarbeiter sind Befragte mit akademischem Abschluss, einem überdurchschnittlichen Verdienst von 3.000 Euro (brutto) und mehr, die in der Kreativwirtschaft, höheren Verwaltung oder Wissenschaft arbeiten. Die Arbeitszeit beträgt selten exakt 40 Stunden in der Woche.
Die "Gehaltsoptimierer" sind überwiegend jüngere Männer mit Berufsausbildung, die selten nach Tarifvertrag beschäftigt sind und in den Bereichen Produktion, Finanzen oder Handel arbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden oder mehr.
In den sozialen Berufen arbeiten Menschen mit Berufsausbildung und einem oft variablen Gehalt zwischen 2.000 und 3.000 Euro (brutto). Sie arbeiten in den Berufsfeldern Gesundheit, Soziales und Lehre und sind oft in Schichtarbeit tätig.
Blue Collar-Worker sind Arbeitnehmer mit Ausbildung, die oft nach Tarifvertrag beschäftigt sind und auf dem Bau, im KFZ- oder Gastgewerbe arbeiten. Viele von ihnen haben Kinder und arbeiten unter 40 Stunden in der Woche.
Mit dieser konfliktreichen Forderung trifft die Gewerkschaft den empfindlichen Nerv der Arbeitgeber. Schon in der Tarifrunde 2015 hat sich Gesamtmetall erfolgreich gegen die „Bildungsteilzeit“ gewehrt. An der Haltung hat sich nichts geändert. Eine kollektiv finanzierte Arbeitszeitverkürzung finde keinen Rückhalt bei den Beschäftigten, heißt es unter nochmaligem Verweis auf die eigene Umfrage. Dort hatten sich nur 16 Prozent der Befragten zu einem solidarischen Ausgleich bereit erklärt. Wer persönliche Auszeiten nehmen will, soll sich die selber erarbeiten, laute das klare Votum der Beschäftigten.
Natürlich geht es in den zum Jahresende anstehenden Tarifverhandlungen für die deutschen Kern-Industriesparten Metall und Elektro auch um Lohnprozente für rund 3,7 Millionen Beschäftigte. Doch das Thema Arbeitszeit wird klar dominieren, zumal weitere Aspekte wie mobiles Arbeiten und ständige Erreichbarkeit hinzukommen.
Die IG Metall hat sich mit Tagesstreiks eine neue Waffe ins Arsenal gelegt, deren Wirksamkeit zwischen den üblichen Warnstreiks und einem regulären, unbefristeten Streik mit vorhergehender Urabstimmung liegt. Es könnte ein heißer Winter werden.