Die große Job-Lüge Wie Trump und Co. weiterhin die Wähler täuschen

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Die Produktion kommt - die Jobs nicht

Der Klimaanlagenbauer Carrier, Opfer einer der ersten öffentlichen Attacken Trumps, revidierte kurz nach dessen Wahl seine Entscheidung, 1100 Arbeitsplätze aus Indianapolis nach Mexiko zu verlagern. GM versprach gleich mehrere Tausend neue Arbeitsplätze, GE-Direktor Jeffrey Immelt säuselte, er werde nicht nur Jobs schaffen, sondern „Trump in jeglicher nur möglichen Weise unterstützen“. Und Ford verkündete vergangene Woche stolz, 1,2 Milliarden Dollar in die Modernisierung seiner Werke in den USA zu investieren – was der Präsident genugtuend mit „car companies coming back to the U.S.“ betwitterte. Dass der Autobauer mit seinem Investment gerade einmal 130 neue Arbeitsplätze schafft, ging dabei natürlich unter.

Die Achtzigerjahre kommen nicht mehr zurück

Dabei ist genau das der Punkt, an der die Erzählung ihren entscheidenden Fehler offenlegt: Die Beschwörung der Rückkehr des klassischen Industriearbeiters aus der weißen Mittelschicht westlicher Gesellschaften mag in den Zeitgeist passen, um die aufgebrachten westlichen Staaten zu beruhigen. Das Problem ist nur: Sie ist in einem zentralen Punkt falsch. Und das dürfte für viele Wähler, die auf ein Rückfahrticket in die Achtzigerjahre spekulieren, noch eine böse Überraschung geben.

Denn die Geschichte des GM-Werkes in Orion geht noch weiter – mit einem „Aber“, ausgesprochen von eben jenem Manager, der predigt, man müsse die Autos dort bauen, wo man sie verkaufe. „Aber“, sagt also nun Marty Linn in Orion, „am Ende muss dieses Werk Geld verdienen.“ Der Mann ist seit 32 Jahren bei GM, nennt sich „Manager Advanced Automation“ – und ist zuständig für alles, was der Effizienzsteigerung dient.

Sein Job ist es, Ausschau zu halten nach den neuesten Technologien, klügsten Maschinen – kurz: den besten Möglichkeiten, Industriearbeit in den USA ohne Industriearbeiter aus den USA zu bewerkstelligen.

Jobs-im-Industriesektor

Als GM in der Krise 2009 von der US-Regierung gerettet werden musste, war das auch das Aus für das 1983 gegründete Werk in Orion. Mehrere Tausend Mitarbeiter bangten um ihren Job, die Produktion der Kleinwagen wurde nach Mexiko verlagert, und die 400.000 Quadratmeter große Halle, 30 Meilen vor der Autostadt Detroit, wurde geschlossen. Zwei Jahre rottete der Koloss vor sich hin. Dann kam Linns große Stunde:

Der Konzern holte die Fertigung der Kleinwagen zurück, kassierte im Gegenzug Steuervergünstigungen, setzte niedrigere Löhne durch und den massiven Einsatz von Linns Methoden. Fast eine Milliarde Dollar hat GM seither in das Werk investiert und es so zu einer der effizientesten Fertigungsstraßen im Konzern gemacht. „Wir haben hier bewiesen, dass es möglich ist, Kleinwagen profitabel in den USA zu bauen“, sagt Linn. Was er nicht sagt: dass von diesen Profiten immer weniger Menschen leben können. So kam das Orion-Werk zu Beginn seiner Restrukturierung 2011 noch auf über 2000 Mitarbeiter. Inzwischen hat sich ihre Zahl fast halbiert, und nur 180 davon sind in Vollzeit angestellt. Dafür verrichten nun mehr als 1000 Roboter ihren Dienst: ohne Streiks, ohne Pausen, ohne Rückenschmerzen.

Innovationen statt Industrie

So kommt es, das Marty Linn und Donald Trump dasselbe Ziel teilen: Beide wollen die Industrie erhalten und zurückholen in die Heimat. Nur verfolgen sie dabei gegensätzliche Strategien. Während Trump den Menschen verspricht, die Welt wieder in die Ordnung der Achtzigerjahre zu bringen, arbeitet Linn mit der festen Überzeugung, dass Volkswirtschaften wie die der USA, Deutschlands oder Frankreichs nur überleben können, wenn sie ihre Industrie automatisieren und sich ganz aufs Konstruieren und Erfinden verlegen.

Dank Automatisierung, Vernetzung, 3-D-Druck, Robotern und nicht zuletzt den durch Fracking billigen Öl- und Gaspreisen stößt insbesondere die US-Industrie Rekordzahlen aus. Noch nie wurde so viel in den Vereinigten Staaten gefertigt wie heute. Immer mehr Unternehmen holen gar ihre Produktion aus dem Ausland zurück. In einer Studie der Citibank gaben 70 Prozent der Befragten an, dies für die kommenden Jahre zu erwarten. So werden im Vereinigten Königreich, wo die Industrialisierung einst mit dem Webstuhl begann, seit Jahrzehnten erstmals wieder ganze Kleidungslinien hergestellt. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet bis 2020 mit 153 Milliarden Euro volkswirtschaftlichem Wachstum durch Industrie 4.0. Und selbst bei Adidas ist man stolz auf die vor Kurzem eröffnete Turnschuhproduktion im fränkischen Ansbach – schien doch dieses Geschäft längst für immer nach Asien abgewandert. Die Jobs aber ziehen bei all dem nicht mit. Jedenfalls nicht im nennenswerten Umfang und schon gar nicht in Form offener Stellen für den klassischen Arbeiter. So hat Adidas für seine „Speedfactory“ gerade einmal 160 Arbeiter eingestellt.

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