"Mathe ist ein Arschloch - und Physik sein kleiner Bruder": Diese Weisheit steht so und in abgeänderter Form auf Schultoiletten, Hausaufgabenheften und sogar T-Shirts. Und sie spiegelt den Schulalltag zahlreicher Jugendlicher wieder. Mathe ist für viele ein Angstfach, Physik unverständlich, Chemie scheint keinen Realitätsbezug zu haben und Informatik findet an den meisten Schulen wenn überhaupt nur als Projektfach statt.
Da braucht man sich eigentlich nicht wundern, dass der deutschen Wirtschaft derzeit rund 360.000 Fachkräfte aus dem MINT-Bereich - also aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik - fehlen, wie vor kurzem der MINT-Herbstreport gezeigt hat. Eines der Resultate der Untersuchung war: Nicht nur Frauen haben keine Lust auf Tech-Jobs, auch Männer werden lieber Arzt, Anwalt oder Einzelhandelskaufmann - nur eben bitte nichts mit Technik.
So viel verdienen Auszubildende in den einzelnen Branchen pro Monat
Laut dem aktuellen Azubi-Report 2016 von Ausbildung.de ist der Durchschnittsverdienst eines Azubis während der gesamten Ausbildung von 574 Euro auf 665 Euro brutto pro Monat gestiegen. Befragt wurden über 2000 Neu-Azubis.
Quelle: Azubi-Report
Die durchschnittlichen Monatsgehälter variieren natürlich auch abhängig vom Schulabschluss des Lehrlings. So bekommen Azubis mit Fachabitur im Schnitt 706 Euro brutto im Monat, Realschüler- und -schülerinnen verdienen in der Lehre im Mittel 662 Euro und ehemalige Hauptschüler bekommen durchschnittlich 585 Euro brutto.
Am schlechtesten bezahlt werden Lehrlinge im Handwerk - in der Regel übrigens überwiegend Hauptschüler. Im Schnitt bekommen sie in ihrer Ausbildungszeit monatlich nur 370 Euro brutto.
Deutlich besser gestellt sind Auszubildende aus der Gestaltungs- und Medienbranche. Sie bekommen durchschnittlich 597 Euro brutto im Monat.
609 Euro brutto im Monat gibt es durchschnittlich für Lehrlinge in der Logistikbranche.
Lehrlinge im Einzelhandel bekommen durchschnittlich 610 Euro.
Angehende Krankenschwestern, Pfleger, Altenpfleger und Fitness-Kaufleute bekommen durchschnittlich 619 Euro brutto im Monat.
Das monatliche Durchschnittsbruttogehalt eines Lehrlings aus dem naturwissenschaftlichen Bereich liegt bei rund 675 Euro.
686 Euro brutto im Monat gibt es für angehende Köche, Restaurant- oder Hotelfachleute.
Auszubildende in technischen Berufen verdienen pro Monat 690 Euro brutto.
Wer im Bereich Büro und Personal eine Lehre macht, bekommt im Schnitt 732 Euro brutto pro Monat.
Wer sein Geld mit Geld verdienen möchte, bekommt während seiner Ausbildung durchschnittlich 750 Euro brutto im Monat.
Wer eine IT-Ausbildung macht, bekommt während seiner gesamten Lehre pro Monat durchschnittlich 775 Euro brutto.
Spitzenreiter sind laut dem Azubi-Report jedoch die angehenden Tierpfleger. Sie sind nicht nur die zufriedensten Lehrlinge, mit 777 Euro brutto im Monat bekommen sie auch das meiste Geld.
Unabhängig von Branche und Schulabschluss reicht das Ausbildungsgehalt aber alleine nicht aus, um ein unabhängiges Leben zu führen. Aus diesem Grund sind 62,5 Prozent der Auszubildenden darauf angewiesen, von den Eltern oder anderen Familienmitgliedern finanziell unterstützt zu werden. Oft reduzieren Auszubildende ihre Ausgaben, indem sie während der Ausbildung bei den Eltern wohnen. Ein Viertel der Befragten muss auf Ersparnisse zurückgreifen, um sich während der Zeit der Ausbildung zu finanzieren.
Das aktuelle MINT Nachwuchsbarometer von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, und der Körber-Stiftung ist deshalb der Frage nachgegangen, woher diese Abneigung kommt. Folgende Gründe sprechen aus Sicht der Jugendlichen gegen eine Ausbildung oder ein Studium in einem naturwissenschaftlichen oder technischem Bereich:
Jugendliche haben ein falsches Bild von den Berufen
Wenig Kontakt mit Menschen, ein gefährlicher – und dazu noch kalter – Arbeitsplatz und körperlich anstrengende Aufgaben: So stellen sich viele Schülerinnen und Schüler die Arbeit in MINT-Berufen vor. Eine Studie der Impuls-Stiftung des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) beleuchtet dies näher. Für die Studie wurden Schüler gefragt, welche technischen Berufe sie kennen. Mehr als den Kfz-Mechatroniker konnte jedoch niemand nennen. Was beispielsweise ein Zerspaner macht, konnte sich niemand vorstellen. Jobs in der Industrie werden mit Fließbandarbeit gleichgesetzt, man höre über Industrieberufe "nichts Gutes", so die Befragten.
Eine Befragung der Schweizer Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur unter Schülern im Alter von zwölf bis 21 Jahren zeigt, dass die Mehrheit der Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren gar nicht wissen, was beispielsweise ein Bauingenieur macht. Knapp ein Drittel der Befragten ging davon aus, dass man einen Elektroingenieur anruft, wenn eine Deckenlampe angeschlossen werden muss.
Laut Analysen auf Basis der VDMA-Daten befürchten viele Schülerinnen und Schüler, dass es bei der Arbeit in technischen Berufen laut und kalt sei, dass die Aufgaben monoton und die Jobs gesellschaftlich wenig sinnvoll seien und man leicht körperlichen Schaden nehme. 61 Prozent der Schülerinnen und Schüler gehen außerdem davon aus, dass man in technischen Berufen wenig mit Menschen zu tun habe – gerade Mädchen wünschen sich jedoch Berufe, in denen Kommunikation und die Zusammenarbeit mit Menschen eine Rolle spielt. Ein Schüler fasst zusammen, wie er sich technische Berufe vorstellt: "… dass es kraftaufwendig ist, man viele Überstunden leisten muss; dass man sich vielleicht nach drei, vier Jahren nicht mehr richtig bücken kann, wenn man schwere Sachen heben muss; dass man eine größere Verletzungsgefahr hat."
Keine Vorstellung von Verdienstmöglichkeiten
Selbst von den Verdienstmöglichkeiten in technischen Berufen haben die Jugendlichen keine Ahung: Die Schweizer Studie zeigt, dass fast die Hälfte der 12- bis 16-Jährigen keine Vorstellung davon hat, ob ein Ingenieur eher gut oder schlecht verdient. 17- bis 21-Jährigen wissen zwar, dass Ingenieurinnen und Ingenieure gut verdienen - einordnen können sie das Gehalt jedoch nicht.
Diese Tech-Jobs werden im Jahr 2020 gesucht
Der Business Analyst baut Brücken zwischen den Fachbereichen eines Unternehmens und dessen IT. Dazu untersucht er Geschäftsprozesse und Anforderungen der Fachbereiche und kommuniziert sie der IT-Abteilung, um die Umsetzung so reibungslos wie möglich zu gestalten. Dabei muss der Business Analyst über sehr gute kommunikative Fähigkeiten verfügen, da er sowohl die Perspektive des Unternehmens als auch die der Kunden verstehen und einbeziehen muss.
Cloud-Computing wird für IT-Unternehmen immer wichtiger. Daher steigt auch der Bedarf an Fachkräften die eine effektive Integration der Cloud fördern. Cloud-Architekten sind in der Lage sowohl die Unternehmensseite zu berücksichtigen, als auch die technischen Herausforderungen zu meistern.
Das Berufsfeld der Datenarchitekten gehört der IT-Architektur an. Der Data Architect identifiziert und beschreibt in Geschäftsprozessen zugehörige Daten und ihre Beziehungen. Zu den alltäglichen Aufgaben gehören Datenanalysen, Datenmodellierung, Datenintegration oder die Optimierung von Datenbanken. Der Bedarf an Datenarchitekten nimmt stetig zu.
Data Artists sind die Künstler in der Tech-Welt. Sie gestalten visuelle Hilfsmittel wie Graphen, Charts und Infografiken um komplexe Daten und Auswertungen für die anderen Unternehmensbereiche und Kunden verständlich zu machen. Erfolgreiche Data Artists vereinen Kenntnisse aus der Wissenschaft, Mathematik und Datenverarbeitung mit kreativen Fähigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit Gestaltungsprogrammen.
Mit den wachsenden Mengen an Daten steigt auch der Bedarf diese zu strukturieren. Damit befasst sich das Berufsfeld der Data Scientists, in Deutschland bekannt als Datenanalytsen. Mit Hilfe von Algorithmen extrahieren sie die für das Unternehmen nützlichen und verwertbaren Informationen aus den Datenmassen. In den USA ist die Ausbildung zum Data Scientist bereits sehr beliebt, in Deutschland steht sie noch relativ am Anfang. Datenanaylsten fühlen sich in der Mathematik und Statistik wohl. Sie arbeiten mit Datenbanken, Netzwerktechniken und Programmierungen.
Der Datenbankadministrator befassen sich mit den Datenbanksystemen eines Unternehmens. Dabei gilt es zum einem die Informationssysteme zu installieren, konfigurieren, betreiben, überwachen und pflegen. Zum anderen betreibt der Datenbankadministrator das sogenannte Changemanagement.
Auch der Information Broker, zu Deutsch Informationsvermittler befasst sich mit den entstehenden Datenmassen im Netz. Sein Berufsfeld ist aus der Verfügbarkeit von Online-Datenbanken entstanden. Für den Information Broker gibt es zwei mögliche Einsatzgebiete: zum einen kann er gegen ein Honorar die Recherche von Informationen übernehmen um Datenbanken zu "füttern", zum anderen kann er als Inhouse-Experte in einem Unternehmen tätig sein und die betrieblichen Datenbestände aufstocken. Ein professioneller Information Broker benötigt fundiertes fachliches und methodisches Wissen.
Hinter dem IT-Architekten verbirgt sich ein Informatiker mit speziellem Wissen. Er erarbeitet Planungs- und Orientierungsrahmen, anhand derer sich IT-Projekte erfolgreich realisieren lassen. Besonders wichtig ist der ständige Abgleich zwischen der Ist- und der Soll-Architektur eines Unternehmens.
Der IT-Auditor analysiert und bewertet IT-gestützte Geschäftsprozesse hinsichtlich ihrer Effizienz und Qualität, möglicher Risiken sowie der Einhaltung interner und externer Vorgaben. Er nutzt in seiner Arbeit Reports, um sicherzustellen, dass die Prüfungsziele effizient erreicht werden. Gleichzeitig beurteilt er die Risiken und Kontrollen des internen Kontrollsystems.
Das Berufsfeld des IT-Beraters ist weit gestreut. Im Allgemeinen beratet er Unternehmen im Bereich der Informationstechnik. Dies ist in der IT-Branche, in unterschiedlichen Wirtschaftsunternehmen oder in der öffentlichen Verwaltung, sowie bei Verbänden und Organisation möglich. Der IT-Berater benötigt Kenntnisse aus den Bereichen Informatik, Softwaretechnik und Betriebswirtschaft.
Größere Betriebe verfügen über Computeranlagen, mit denen Daten innerhalb des Unternehmens ausgetauscht werden können. Für deren Funktionsfähigkeit ist der Netzwerkadministrator zuständig. Er konfiguriert, betreibt, überwacht und pflegt Datennetze für Computer sowie integrierte Telekommunikationsnetze für Telefonie, Videokonferenzen oder Funknetze.
Der Requirements Engineer bewegt sich ähnlich wie der Business Analyst im Anforderungsmanagement. Sein Ziel ist es ein gemeinsames Verständnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber hinsichtlich des zu entwickelnden Systems zu erreichen.
Der SAP-Berater ermittelt die Anforderungen von Unternehmen an die betriebswirtschaftliche Software SAP und führt diese in Unternehmen ein. In einem weiteren Schritt bildet er die Angestellten in der Nutzung der Software aus. Dazu ist der Berater nicht bei SAP angestellt. Er arbeitet direkt beim Anwenderunternehmen, bei einem IT-Dienstleister, bei Unternehmen für Softwareentwicklung oder auf selbstständiger Basis.
Der Sicherheitsspezialist versucht Datenlecks zu vermeiden und eine Strategie zur IT-Sicherheit zu entwickeln. Security-Spezialisten werden in jedem Unternehmen benötigt, welches eine komplexe IT-Infrastruktur hat.
das Service-Level-Management, zu Deutsch Dienstgütemanagement befasst sich mit der Definition, Überwachung und Optimierung von Dienstleistungen in der IT-Branche. Der Service Level Manager ist verantwortlich die Leistungen der IT in Einklang mit den geschäftlichen Erwartungen zu bringen.
Der Software Engineering Specialist beschäftigen sich mit dem Design, der Entwicklung, der Instandhaltung und Evaluation von Software-Systemen.
Systemanalytiker, die im IT-Bereich arbeiten, modellieren Geschäftsprozesse und erstellen auf der Basis von Analysen die Anforderungen an IT-Systeme, die sie in Form von Anforderungsmodellen darstellen. Die Unterstützung eines Systemanalytikers ist vor allem dann von großer Bedeutung, wenn Prozessabläufe komplizierter werden. Die Hauptaufgaben eines Systemanalytikers bestehen darin, die Umsetzung und Installation von IT-Systemen fachlich zu begleiten sowie bereits bestehende anzupassen. Zudem müssen sie auch kommunikative Fähigkeiten bei Verhandlungen und Beratungen mit Kunden unter Beweis stellen.
Ein Testmanager prüft IT-Systeme, die sich noch in der Vorbereitungsphase befinden. Er ist für die Konzeption, Planung, Steuerung und Prüfung des Prozesses zuständig. Außerdem dirigiert er den Testprozess, indem er sowohl Vorgesetzte als auch Kunden stetig auf den neuesten Stand bringt, was Qualität und Fortschritte des Systems betrifft.
Webdesigner arbeiten in der Regel für Software- und Datenbankanbieter oder Multimediaagenturen. Ihre Aufgabe besteht darin, Internet-Auftritte zu betreuen. Während Webdesigner in kleineren Agenturen üblicherweise für Gestaltung, Aufbau und die Verwirklichung des Corporate Designs zuständig sind, übernehmen sie in größeren Betrieben oftmals vorwiegend die Pflege für Layout und Design der Webseiten. Bei weiterführenden Aufgaben stehen ihm dann weitere Sachkundige zur Verfügung.
Sich für ein vermutlich schlechtes Gehalt in kalten Fabrikhallen am Fließband den Rücken krumm schaffen - das wollen die Jugendlichen verständlicherweise nicht. Nur: Wer ist schuld daran, dass sie dieses Bild von MINT-Berufen haben? Auch auf diese Fragen findet das MINT-Nachwuchsbarometer Antworten.
Berufsberatung findet kaum statt, Eltern raten ab
Wie kürzlich eine Studie der Vodafone-Stiftung zeigte, haben Jugendliche keine Pläne für ihre berufliche Zukunft - weil sie schlicht nicht wissen, welche Berufe es gibt und was zum jeweiligen Arbeitsalltag gehört. Demnach fühlen sich 56 Prozent der Schüler in Deutschland ausreichend über ihre beruflichen Möglichkeiten informiert. Und wer schon in der Schule weiß, welchen Beruf er gerne lernen möchte, der tendiert zu einem Beruf, den er aus seinem eigenen Umfeld kennt. "Es sind immer die bekanntesten Berufe. Es sind nie die, die man nicht so kennt. Ich kenne zum Beispiel jetzt nicht alle Berufe und ja, die bekanntesten sprechen einen halt an", zitiert der VDMA einen Schüler. Ein weiterer sagt: "Durch den Alltag sieht man auch viele verschiedene Berufe, zum Beispiel den Einzelhandelskaufmann sieht man ja in verschiedenen Läden. Dann kommt man auf die Idee, das mal zu recherchieren."
Weil MINT-Jobs seltener beziehungsweise weniger sichtbar sind, rangieren Berufe aus dem IT- und dem Computersektor auf dem letzten Platz der von Schülern gegenüber der Vodafone-Stiftung genannten Traumberufe.
Berufsberatung ist in Gymnasien nicht vorgesehen
Hier sollte die Berufsvorbereitung an Schulen und in den Arbeitsagenturen greifen und zumindest die Palette der existierenden Berufe vorstellen, doch das geschieht nicht beziehungsweise unzureichend, wie es im MINT-Nachwuchsbarometer heißt.
In den Gymnasien liege der Fokus außerdem meist einseitig auf der Studienorientierung, Informationen zu Berufen und Ausbildung finde so gut wie gar nicht statt. "In der 10. Klasse im Gymnasium sind mit 26 Prozent noch genauso viele Schülerinnen und Schüler an MINT-Berufen interessiert wie Haupt- und Realschülerinnen und -schüler im Abschlussjahr. Das Interesse sinkt dann in der Oberstufe des Gymnasiums kontinuierlich von Klassenstufe zu Klassenstufe bis auf rund 13 Prozent kurz vor dem Schulabschluss", heißt es in der Studie.
Aus diesen Gründen brechen Studenten ihr MINT-Studium ab
Wer ein MINT-Fach nur studiert, weil die beruflichen Aussichten und das Gehalt gut sind, bricht in der Regel vorzeitig ab. Ganz ohne persönliche Neigungen und Interesse am Fach wird niemand Ingenieur oder Maschinenbauer.
Quelle: „Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit“, eine bundesweite Befragung der IMPULS-Stiftung, Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik
Wer in der gymnasialen Oberstufe Mathe und Physik als Leistungskurs belegt und dort auch erfolgreich war, schafft das MINT-Studium in der Regel auch. Wer Physik und Chemie nach der elften Klassen abgewählt und in Mathe kaum das Klassenziel erreicht hat, bricht deutlich häufiger ab, als die Kommilitonen mit der entsprechenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Vorbildung.
Wer nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht, gearbeitet, die Welt bereist oder eine Familie gegründet hat, bricht ein später begonnenes MINT-Studium eher ab, als jemand, der direkt von der Schulbank in den Hörsaal gewechselt hat. „Eine Zeitspanne zwischen Schulabschluss und Studienaufnahme, die länger als 18 Monate währt, erhöht offensichtlich das Risiko eines Studienabbruchs“, heißt es in der Studie der IMPULS-Stiftung. Bei zu langer Übergangszeit gingen zum einen wesentliche, in der Schule schon erworbene fachliche Vorkenntnisse und Fähigkeiten verloren. Zum anderen fällt es dann schwerer, wieder in einen festen Lernrhythmus zu finden.
Die Studienanforderungen für Naturwissenschaftler und Techniker sind hoch. Viele Studenten sind damit überfordert, bringen nicht die gewünschten Leistungen und brechen deshalb ab.
„Studienabbrecher schätzen alle Studienbedingungen kritischer ein als Absolventen“, so die Studie. Außerdem schätzen Abbrecher die akademische Betreuung als besonders schlecht ein. Wer das Gefühl hat, unter miserablen Bedingungen zu studieren und für den Dozenten unsichtbar zu sein, der wirft eher hin.
Wer nicht gut in die Studentenschaft integriert ist, keine guten Beziehungen zu den Kommilitonen hat und nur für die Vorlesungen und Seminare am Unileben teilnimmt, scheitert eher am MINT-Studium, als der gut integrierte Kommilitone mit Freunden und Lerngruppen.
Wer neben dem Studium arbeitet, studiert in der Regel länger. Das ist bekannt. Je regelmäßiger ein Student arbeitet, desto höher ist allerdings auch das Risiko, dass er das MINT-Studium abbricht. Das gilt auch für die Fälle, die einen fachfremden Nebenjob haben und zum Beispiel dreimal in der Woche kellnern gehen. Damit seien die Anforderungen eines MINT-Studiums nicht vereinbar. Besonders hoch sei das Abbruchrisiko der Studenten, die von Tag eins an arbeiten gehen. Dadurch könnten sie sich nicht richtig auf den Studieneinstieg konzentrieren.
Eng mit dem Punkt Nebenjob hängt der Punkt „finanzielle Lage“ zusammen: Wer sich sein Studium selbst finanzieren muss, bricht häufiger ab, als jemand, der von den Eltern finanziert wird. „Die größte Immunität gegen einen Studienabbruch gewährt ein elternfinanziertes Studium, die geringste besteht bei einer überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit bestrittenen Finanzierung des studentischen Lebensunterhaltes“, so die Studie.
Wer als Gymnasiast deshalb zum Berufsberater geht, bekommt auch keinen entsprechenden Hinweis, wie eine Schülerin dem VDMA erzählt: "Der Berufsberater hätte mehr auf mich eingehen müssen. Wir mussten einen Zettel ausfüllen und dann hat er eigentlich nur gefragt ‚Ja, notentechnisch würde Schule passen, das könntest du machen. Und sonst, was würdest du denn gerne tun?‘ Und dann habe ich gesagt, Management oder Tourismus vielleicht, und dann hat er mir einfach nur Studienunterlagen geschickt. Aber der hätte einfach mal mit mir die Berufe durchgehen müssen! Vielleicht mal nach meinen Stärken/Schwächen schauen müssen, sich einfach mit mir beschäftigen müssen, die einzelnen Sachen erklären müssen."
Eltern raten Mädchen von MINT-Berufen ab
Wie die Vodafone-Studie zeigte, spielen die Eltern bei der Wahl des Berufes ebenfalls eine wichtige Rolle: Je besser sie ihre Kinder bei der Suche nach einem Job unterstützen, umso leichter fällt ihnen die Berufswahl. Und je weniger die Schule vorbereitet, desto mehr werden die Eltern um Rat gefragt. Deshalb hat es besonders große Auswirkungen, wenn Eltern ihren technikbegeisterten Kindern von einer entsprechenden Ausbildung oder Studium abraten.
Hierbei gibt es übrigens deutliche Unterschiede, ob es sich um Söhne oder Töchter handelt: Eltern, Familie, Freunden und Bekannten raten Mädchen fünfmal häufiger von einer technischen Ausbildung ab als Jungen. Und das mit entsprechenden Auswirkungen: Fast 38 Prozent der Frauen, die mit einem MINT-Job geliebäugelt, dann aber doch lieber einen frauentypischeren Beruf ergriffen haben, taten dies wegen des Drucks durch das soziale Umfeld. "Das ist doch nichts für Mädchen." Dieser Meinung sind übrigens auch 22 Prozent der vom VDMA befragten männlichen Auszubildenden in technischen Berufen. Sie sind überzeugt, dass Frauen für diesen Beruf weniger geeignet seien, weil ihnen technisches Verständnis, handwerkliches Geschick sowie die körperlichen Voraussetzungen fehlten.
MINT-Studium verdrängt Ausbildungsberufe
Um junge Menschen - egal welchen Geschlechts - an technische Berufe heranzuführen, braucht es laut dem MINT-Nachwuchsbarometer deshalb vor allem eine bessere Berufsvorbereitung und -information an allen Schulen. Außerdem zeigen Studien, dass Schüler, die Technikunterricht oder Technik-Arbeitsgruppen besucht haben, einer Ausbildung oder einem entsprechenden Studium deutlich positiver gegenüber stehen. Auch nach Untersuchungen der OECD haben Jugendliche aus Staaten, die einen regelmäßigen Technikunterricht an allgemeinbildenden Schulen anbieten, weniger Berührungsängste mit Technik und technischen Berufen.
An deutschen Schulen gibt es Technikunterricht allerdings nicht als Pflichtfach und wenn doch, dann in Fachverbindungen mit Wirtschaft, Hauswirtschaft, Mensch, Umwelt, Recht oder Kunst. Dabei hätten gerne mehr Schüler die Möglichkeit, sich im Unterricht mit Technik zu befassen. Die Studie der HTW Chur belegt, dass über ein Drittel der 17- bis 21-Jährigen mehr Technikunterricht in der Schule wünscht. Wichtig ist dabei nur, den Schülern den Praxisbezug zu vermitteln: Wissenschaftler der Universität Tübingen haben bewiesen: Gymnasiasten, die sich mit dem Nutzen von Mathematik im alltäglichen Leben beschäftigt haben, schnitten bei Tests besser ab und waren motivierter als Schüler, die bloß stur Formeln pauken. Denn wieso sollte man Zeit in etwas investieren, das keinen praktischen Nutzen hat?
Leistungskurs entscheidet
Auch die Wahl der Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe spielen später eine Rolle bei der Wahl des Studienfachs oder der Ausbildung. Das Nachwuchsbarometer bestätigt, dass Schülerinnen und Schüler, die einen Mathe-, Physik- oder Informatik-Leistungskurs belegt haben, deutlich häufiger eine MINT-Ausbildung planen. Das Problem ist nur: Die Mehrheit der Schüler belegt die Fächer Deutsch (20 Prozent), Englisch (19 Prozent) und Mathematik (18 Prozent). Im Schuljahr 2013/14 besuchten nur 16 Prozent der Schüler einen naturwissenschaftlichen Leistungskurs, wobei das Fach Biologie mit neun Prozent wiederum mehr als die Hälfte ausmacht und das nur vereinzelt angebotene Fach Informatik mit unter einem Prozent kaum ins Gewicht fällt. Physik- und Chemie-Interessierte scheinen in den Gymnasien Exoten zu sein.
Alarmierend ist auch die Nachwuchssituation bei den Lehrer für die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer: Rund 21 Prozent der Lehrer geben entsprechenden Unterricht, Tendenz fallend. Im Jahr 2012/2013 lag der Anteil der Physiklehrer unter der Neulehrern "immerhin" noch bei vier Prozent, im Jahr 2013/2014 waren es schon nur noch drei Prozent. Auch bei Chemie- und Informatiklehrern für das Gymnasium ist der Anteil rückläufig, nur bei den Mathematiklehrern stagniert der Wert. Zum Vergleich: Binnen eines Jahres hat sich in der Sekundarstufe II der Anteil der Geschichtslehrer, die frisch von der Uni kamen, von gut acht auf knapp elf Prozent erhöht. Und das trotz geringer Nachfrage.
Ein ganz ähnliches Bild bietet sich an den Berufsschulen: Während im Jahr 2004 noch rund 17 Prozent der Berufsschullehrer ein technisches Fach studiert haben, waren es 2014 noch neun Prozent.
Jeder Student ist ein Azubi weniger
Zwar schreiben sich mittlerweile wieder mehr junge Menschen für ein MINT-Studium ein, eine echte Trendwende sei das jedoch nicht. Zum einen ist der Beginn eines Studiums nicht mit dem Abschluss gleichzusetzen. Deutschlandweit beenden weniger als 40 Prozent ein Studium, gerade in MINT-Fächern sind die Abbruchquoten hoch.
Außerdem sei das Interesse bei Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden sowie Studierenden weiterhin zu gering, um den Bedarf an Fachkräften zu decken.
Gerade im Ausbildungsbereich ist die Entwicklung drastisch: Binnen zehn Jahren ist die Zahl der neu abgeschlossenen MINT-Ausbildungsverträge um acht Prozent gesunken. Die Zahl der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge ist im gleichen Zeitraum weiter gestiegen. "Wir müssen jungen Menschen klar machen, dass MINT-Ausbildungen viel attraktiver sind, als sie glauben", fordert deshalb Ortwin Renn, Mitglied des acatech Präsidiums und wissenschaftlicher Leiter der Studie.
Und Henning Kagermann, Präsident von acatech, sowie Lothar Dittmer, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung, betonen, dass jeder MINT-Student mehr ein MINT-Azubi weniger ist. "Diese Rechnung kann auf Dauer nicht aufgehen, denn Deutschland braucht beides: Spitzenkräfte bei den Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie gleichzeitig hervorragend ausgebildete Fachkräfte in Industrie und Handwerk", schreiben sie im Vorwort zur Studie. Und weiter: "Die digitale Transformation der Wirtschaft und der demografische Wandel erfordern zunehmend digital kompetente und technisch versierte Nachwuchskräfte. Wir brauchen nicht nur ein Mehr an MINT-Bildung für den Einzelnen, sondern allgemein eine größere Zahl an Personen, die über MINT-Qualifikationen verfügen."