Studium Angst vor der Überakademisierung

Bald könnten mehr junge Deutsche ein Studium beginnen als eine Ausbildung. Aber nicht immer führt das zum erhofften Aufstieg.

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Das sind die besten deutschen Unis
Rang 1: Universität von Oxford Quelle: Creative Commons/Bill Tyne
Platz zehn: Uni Bonn Quelle: Universität Bonn, Dr. Thomas Mauersberg
Platz neun: Universität in Tübingen Quelle: dpa
Platz acht: Technische Uni Berlin Quelle: dpa
Platz sieben: Freie Universität Berlin Quelle: dpa/dpaweb
Platz sechs: Universität Freiburg Quelle: dpa/dpaweb
Platz fünf: Rheinisch-Westfaelische Technische Hochschule (RWTH) Aachen Quelle: dpa

Julian Nida-Rümelin ist ein Philosoph, wie er im Buche steht. Edel lockt sich sein Haar, lang sind seine Sätze, vielsprachig ist seine Publikationsliste. Kaum irgendwo könnte der Cäsarenkopf, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität und Ex-Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, so fehl am Platze wirken wie beim Wirtschaftsforum der Industrie- und Handelskammer Trier.

Und doch ist Nida-Rümelin für viele der rund 200 versammelten Unternehmer der Grund, diesen sonnigen Montagabend nicht am Moselufer, sondern in einem Tagungsraum zu verbringen. Als er eintritt, klatschen die Geschäftsführer und Prokuristen. Als er gesprochen hat, jubeln sie. Denn der Intellektuelle ist gekommen, um für ehrliche Handarbeit zu werben und gegen höhere Bildung für die Massen, für die er den prägenden Titel „Akademisierungswahn“ gefunden hat. Eine Kostprobe: „Facharbeiter bilden den Kern unseres Wohlstandsmodells, wir sind doch nicht trotz, sondern wegen unserer guten Ausbildung international so erfolgreich.“ Nida-Rümelin erinnert daran, wie sehr das Ausland das sogenannte „duale System“ in Deutschland bewundere, diese einzigartige Kombination aus Berufsschule und Lehre. Und er macht sich Sorgen um dieses Erfolgsmodell: „Schon bald könnte die klassische Lehre in Deutschland eine Ausbildung zweiter Klasse sein.“

Anteil der Studiumsanfänger an allen Einsteigern in die nachschulische Bildung (zum Vergrößern bitte anklicken)

Sein Auftritt in Trier ist für den Professor nichts Ungewöhnliches, seit Monaten flattern ihm ähnliche Einladungen auf den Schreibtisch, von Handwerkskammern wie von Gymnasiallehrern. Als Nida-Rümelin 2013 erstmals vor dem Akademisierungswahn warnte, wirkte er wie ein einsamer Rufer. Mittlerweile hat er schon den zweiten Titel zum Thema vorgelegt, „Die Bildungskatastrophe“. Zur Vorstellung kam sogar die Bundesbildungsministerin.

Denn der Autor weiß die Zahlen auf seiner Seite. Im Sommer 2007 begannen 624 000 junge Menschen in Deutschland eine berufliche Ausbildung, 361 000 schrieben sich für ein Studium ein. Das war über Jahre die gewohnte Größenordnung: fast doppelt so viele Auszubildende wie Studenten. Ein paar Jahre später ist der gewaltige Abstand merklich geschrumpft. 520 000 neue Azubis gab es 2014 – und 501 000 Studienanfänger. Schreibt man die Entwicklung fort, werden in diesem Sommer erstmals mehr Menschen ein Studium beginnen als eine Ausbildung.

In einer knappen Dekade hat sich die deutsche Bildungslandschaft grundlegend verändert. Das Studium für alle war über Jahrzehnte ein Traum vor allem der Sozialdemokratie, die mehr Chancengleichheit und Aufstiegschancen forderte. Jetzt ist das Realität geworden, für Hunderttausende. Doch zugleich entsteht eine zweite Realität: Das akademische Versprechen hält nicht.

So suchen Unternehmen ihre Azubis aus
NotenDas Abschlusszeugnis ist den Unternehmen gar nicht immer so wichtig. Für 21 Prozent der Betriebe sind Schulnoten bei der Einstellung eines Azubis nicht mehr ausschlaggebend. Das ist zumindest das Ergebnis der Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie und Handelskammertages (DIHK), aus der die Bild zitiert. Sehr ernst nehmen nur Banken und Versicherungen die Noten: Bei ihnen achten 83 Prozent auf gute Zensuren. Bei den kleinen Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern schauen nur 61 Prozent auf die Noten, bei Betrieben mit zehn bis 19 Angestellten sind es 69 Prozent. "Die Firmen stellen immer häufiger Schüler mit schwächeren Schulabschlüssen ein", sagte die DIHK-Expertin für Ausbildung, Ulrike Friedrich, gegenüber Bild. Quelle: dpa
PraktikaViel wichtiger seien ihr zufolge die praktischen Erfahrungen, die ein potenzieller Lehrling bereits im Betrieb gemacht hat. Das gilt ganz besonders für das Hotel- und Gastgewerbe: Wer hier schon einmal ein Praktikum absolviert und dabei einen guten Eindruck gemacht hat, kann sich bei 89 Prozent der Betriebe sicher sein, auch einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Doch auch in anderen Branchen zählt die Erfahrung: So sagten insgesamt 72 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe, dass sie bei der Auswahl der Lehrlinge auf die Erfahrungen aus Praktika Wert legen. Bei kleinen Unternehmen mit bis zu 19 Beschäftigten sind Praktika sogar wichtiger als das Zeugnis. Quelle: dpa
Vitamin BAuch persönliche Empfehlungen sind bei den Kleinstunternehmen wichtiger als bei allen anderen. Quelle: Fotolia
EinstellungstestsGroße Betriebe setzen dagegen oftmals auf Einstellungstests: So vertrauen 61 Prozent der Banken und Versicherungen auf hauseigene Kompetenztests, um geeignete Bewerber zu finden. 37 Prozent nutzen Assesment-Center, also mehrstufige - und oft auch mehrtägige - Prüfungsverfahren. Quelle: Fotolia
VorstellungsgesprächDoch viel wichtiger sind 97 Prozent der Betriebe die Eindrücke aus dem Vorstellungsgespräch. "Für die Einstellung in einem Betrieb zählt letztlich die Persönlichkeit des Bewerbers insgesamt", sagt Friedrich. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms

Hendrik Beyer kennt die Erzählungen über die Segnungen des Studiums von Kindesbeinen an. Schon seine Eltern haben studiert, ebenso die Großeltern. Als er das Gymnasium in Bitterfeld beendet hatte, stand der Entschluss über seine Zukunft bereits fest. „Über eine Ausbildung habe ich gar nicht nachgedacht“, erinnert sich Beyer. Die Entscheidung fürs Studium, sie war „gesetzt“.

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