Downshifting Abschied vom Aufstieg

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Downshifter aus Tradition

Bei den Jüngeren sieht das allerdings anders aus. Während Frauen schon seit Jahrzehnten downshiften, sobald sie Kinder bekommen, legen heute auch zunehmend mehr junge Väter darauf Wert, ihre Kinder nicht nur schlafend zu sehen. Gerade die Führungskräfte zwischen 30 und 40 fordern heute selbstbewusster mehr Platz für ihr Privatleben.  Kommt ihnen das Unternehmen zum Beispiel bei familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen nicht entgegen, nehmen sie auch den Schritt zurück in Kauf. Karriere um jeden Preis – das wollen immer weniger, beobachtet Bock. Auch Thomas Richter gehört dazu. Jahrelang leitete er das Controlling bei Johnson & Johnson Medical, dann sollteer in die Geschäftsleitung aufsteigen und dort den Gesamtbereich Finanzen übernehmen.  Doch Richter war gerade Vater geworden, zum zweiten Mal, und wollte auch tagsüber mehr Zeit mit dem Nachwuchs verbringen. Er lehnte nicht nur die Beförderung ab, sondern pausierte für ein Vierteljahr und kehrte anschließend auch nur mit reduzierter Stundenzahl zurück.„Für seine Präferenzen muss man mutig eintreten“, sagt der mittlerweile selbstständige Berater. Das sei im oberen Management nicht leicht, aber auch nicht unmöglich, „wenn man einen vertrauensvollen Umgang mit dem Unternehmen pflegt“.Konkret heißt das: Seine Vorgesetzten waren rechtzeitig über seine Pläne informiert. Sie wussten, dass Richter nicht aus Frust reduziert, sondern, um sich die Lust an der Arbeit zu erhalten. Zudem erhielten sie von ihm detaillierte Vorschläge, wer seine Aufgaben an seinen freien Tagen übernehmen könnte. Entsprechend bereitwillig haben Richters Chefs seine Karriereentscheidung unterstützt.

Vom Chef zur Chefsekretärin

Eine glückliche Ausnahme bleibt sein Fall trotzdem. Eher läuft es anders herum: Kollegen und Freunde sind von dem Schritt irritiert, Vorgesetzte fühlen sich düpiert, vielleicht sogar verraten.Jasmin Burghardt etwa (auch sie will hier nur mit einem Alias erscheinen) war jahrelang Geschäftsführerin in einem Bildungsunternehmen. Sie feierte Erfolge, glänzte bei der Akquise und im Verkauf, doch innerlich wurde Burghardt immer unglücklicher. Der Stress und die Verantwortung erdrückten sie. Mit Mitte 40 gestand sie sich ein: „Ich habe keinen Spaß mehr an der Arbeit. So kann und will ich die nächsten 20 Jahre nicht weitermachen.“ Sie kündigte. Ihr neues Berufsziel: Chefsekretärin. Ihr Umfeld reagierte verstört: „Das macht man doch nicht!“, sagten Kolleginnen. „Und dann auch noch Chefsekretärin – wie altmodisch das klingt! Sag doch wenigstens Assistentin.“  Was keiner wusste: Schon als Kind wollte Burghardt genau das sein – eine klassische Sekretärin, nah dran an der inhaltlichen Arbeit, aber mit weniger Verantwortung.  Es war die Erfüllung eines Kindheitswunsches. Es war der Weg zu ihrem persönlichen Traumberuf.In den ersten Bewerbungsgesprächen scheiterte sie jedoch kläglich. Immer wieder wurde ihr unterstellt, sie sei doch sicher krank, depressiv oder alkoholabhängig. Warum sonst bewirbt sich wohl eine Geschäftsführerin als Sekretärin?  Trotz glänzender Referenzen dauerte es ein Jahr, bis sie eine neue Stelle fand: als Chefsekretärin bei einem sozialen Dienstleister.„Downshifter passen nicht in unsere Karrieremuster“, sagt Führungskräfte-Coach Elisabeth Strack, „deshalb stehen sie sofort unter Verdacht, dass bei ihnen was nicht stimmt.“  Ist die Kündigung wirklich auf eigenen Wunsch erfolgt? Oder gab es in Wahrheit einen heftigen Streit? Ist der Bewerber womöglich unzuverlässig, nicht belastbar, inkompetent sogar? Strack rät Absteigern deshalb dringend, vor dem Wechsel in den neuen Job und den ersten Vorstellungsgesprächen bei neuen Arbeitgebern an der eigenen Legende zu feilen (siehe auch Kasten rechts). Man brauche eine ebenso ehrliche wie plausible Erklärung – viel mehr noch als bei den sonst üblichen Jobwechseln, bei denen sich die Umsteiger in der Regel verbessern. Die wichtigste Voraussetzung dafürsei schonungslose Selbstreflexion. Bernd Schmidt (auch seinen Namen habenwir auf Wunsch geändert) zum Beispiel hatte als Fahrzeugingenieur bereitseine veritable Karriere hingelegt, galt als hervorragender Konstrukteur und warfür seine Entwürfe mehrfach ausgezeichnet worden.  Er galt als High Potential, als vielversprechendes Talent mit Berufung zu Höherem. In jedem guten Unternehmen wird so jemand aufgebaut, gefördert, entwickelt. Also deutete der Konzernvorstand an, Schmidt werde in den kommenden Jahren bis in die Führungsspitze befördert. Doch er wollte nicht. Gespräche über seine berufliche Zukunft verließ er verspannt, jedes neue Lob löste Schweißausbrüche aus, er entwickelte ein regelrechtes Angstsyndrom vor dem Aufstieg. Zum Schluss dachte er nur noch an Kündigung. Erst beim Coach, den er eigens dafür engagierte, stellte er fest, dass er sich schlichtweg nicht für Führungsaufgaben interessierte. Machtspiele liegen ihm nicht, er meidet interne Firmenpolitik, wo er kann, und konzentriert sich am liebsten nur auf seine fachliche Arbeit als Konstrukteur – denkbar schlechte Voraussetzungen für einen Konzernlenker. Als ihm das klar wurde, informierte er den Vorstand und bat darum, von weiteren Beförderungen in Richtung Konzernmanagement abzusehen. Allerdings – und das war klug – tat er das nicht ohne eine Alternative anzubieten: Er sehe sich stattdessen eher als künftiger Chefkonstrukteur des Konzerns. Seine Ernennung auf diesen Posten steht inzwischen kurz bevor.

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