Recruiting der Gen Z „How to sell drugs offline (fast)“: Das ist die neue Kampagne der Apotheken

Die Schauspielerinnen und Schauspieler der Serie „Die Apotheke“ zeigen die Vielfalt der Arbeit ebendort. Quelle: PR

Wie weit kann man mit der Anbiederung an Serien gehen? Der Apothekerverband umwirbt unentschlossene Jugendliche mit einer neuen Kampagne.

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Der Titel „Wie man im stationären Handel schnell Arzneimittel verkauft“ macht so neugierig wie der Beipackzettel für einen Magensäureblocker. Gar nicht. Also probiert es die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) anders, mit Englisch, einer Zweideutigkeit – und einer Anlehnung an eine bekannte Netflix-Serie: „How to sell drugs offline (fast)“ heißt die neue Nachwuchskampagne der ABDA.

Das Englische bedeutet so viel wie: Wie sie im echten Leben außerhalb des Internets zügig Medikamente unter die Leute bringen – oder Drogen. Das ist die Zweideutigkeit: Drugs sind eben sowohl Arzneimittel als auch Drogen. Und der Titel bezieht sich auf die Netflix-Serie „How to sell drugs online (fast)“. In der geht es um Ecstasy und andere verbotene Substanzen. Der reale Hintergrund: Ein junger Typ namens Maximilian Schmidt baute von seinem Kinderzimmer aus einen Online-Drogenhandel auf und musste dafür ins Gefängnis. Netflix verfilmte Schmidts Geschichte.

An diesem Donnerstag startet die ABDA ihre Kampagne mit einer Video-Serie, die den Berufsalltag der Menschen zeigt, die in einer Apotheke arbeiten, mit Plakaten und ganz viel Content über Tiktok, Instagram und Co. Um die Zielgruppe berufsunentschlossener Teenager anzusprechen, steht auf einer Postkarte, die der Verband gedruckt hat: „Bock zu ticken“? – „Bei uns gibt es nur das gute Zeug“ auf einer anderen, oder: „Deine Oma kauft ihren Stoff bei mir.“ Drugs und Zweideutigkeit eben.

Der Fachkräftemangel macht’s nötig. Die Unternehmen in Deutschland buhlen um die Gunst der Generation Z, die momentan auf den Arbeitsmarkt kommt. Einer geburtenschwachen Generation, die den abdankenden Boomern zahlenmäßig unterlegen ist. Auch kleinere Betriebe versuchen längst, die Beliebtheit von Streaming- und Fernsehformaten für ihre Bewerbungsaufrufe zu nutzen. Der Gartenbau Willich und das Büro Fuchs-Umwelttechnik parodieren dafür „7 vs. Wild“, eine YouTube-Serie für Überlebenskünstler in wilder Natur.

Der ABDA fehlen bis Ende des Jahrzehnts 10.000 Apothekerinnen und Apotheker. Während sich dieses Problem entschärfen ließe, lockerte man die Studienplatzbeschränkung für Pharmazie, den hohen Numerus Clausus, gibt es für die Ausbildungen zur pharmazeutisch-technischen Assistentin oder zum pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten tatsächlich zu wenige Bewerber. ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold sagt, die Apotheken hätten bei allen Berufsbildern Nachwuchssorgen.

Reißerischer Impuls, fundierte Information

Deswegen die Provokation, die Brücke über eine millionenfach gestreamte Serie zum – im Vergleich zu Netflix – biederen Verband. „Unsere schrillen Aussagen sollen zunächst einfach Spaß machen und die sinnstiftenden, wichtigen Apothekenberufe im hart umkämpften Rennen um Aufmerksamkeit nach vorne bringen“, sagt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening.

Und tatsächlich liegen hinter der Provokation, hinter den Schmunzlern der Kampagne viele Inhalte, die junge Menschen dann an die Tätigkeiten in einer Apotheke heranführen. Doppeldeutigkeiten und Wortspiele sollen als „Türöffner“ dienen, wie Overwiening erklärt: „Der weitaus breitere Teil der Kampagne besteht aus vielfältigen Informationen über die Apothekenberufe sowie zu den Ausbildungswegen.“

Matthias Cieslak von der dafür beauftragten Agentur sagt, Übersteigerung und Zuspitzung seien „in der Werbung nichts Besonderes, insbesondere in Recruiting-Kampagnen“. Und: „Wir kriminalisieren die Apotheke an keiner Stelle.“ Die Oberfläche, der reißerische Titel, gebe den Impuls, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Die Inhalte seien ganz andere als in der Netflix-Serie, eben eigenständige, informative.

In den bisherigen Kampagnen, ebenfalls groß angelegt und „mit viel Material auf der Infoebene“, wie es der ABDA-Pressesprecher ausdrückt, habe die erste Ebene des Hinguckers und der Provokation gefehlt. „Wir haben es nicht richtig geschafft, die Leute zu begeistern.“

Das soll sich nun ändern. Lisa Dühring findet den Teaser zur ABDA-Serie gelungen. „Es macht Sinn, mit Blick auf die Zielgruppe an so einer relativ erfolgreichen Netflix-Serie anzudocken“, sagt die Professorin für Strategische Kommunikation an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter. Allerdings halte die ABDA-Mockumentary die starke Anlehnung an das Original im restlichen Kampagnen-Auftritt nicht durch.

Witz, Mut und Ironie – aber ohne Kompromisse

Witz, Mut und Selbstironie seien wichtige Zutaten für eine gelungene Werbung, sagt Dühring. Aber die Verantwortlichen müssten sich trauen, den Stil auch durchzuziehen, „sonst verpufft die Intention“.

Als gelungenes Beispiel nennt sie die preisgekrönte Reklame der Berliner Verkehrs-Gesellschaft, die schon mal Witze über real existierende Personen des öffentlichen Lebens macht („Vielleicht sollten wir Til Schweiger einstellen. Auf dessen neuen Film hat nämlich niemand gewartet.“). Ein Extrembeispiel seien die Kampagnen von United Colors of Benetton in den 1990er-Jahren, die mit Aidskranken und ölverschmierten Enten für Klamotten warben. „Darüber kann man natürlich streiten“, sagt die Professorin. „Aber die Ausrichtung war konsequent. Alle faulen Kompromisse merkt man schnell.“

Den Einwand, eine solide Institution wie der Apothekerverband könnte einen Verbrecher glorifizieren, der auch noch im Alter der mit der Werbung angesprochenen Jugendlichen war, lässt Dühring nicht gelten. „Ich muss der Zielgruppe auch was zutrauen“, fordert Dühring. „Als ob die nicht kognitiv in der Lage wäre zu verstehen, dass der Apothekerverband jetzt nicht dazu aufruft, im Kinderzimmer ein Drogenlabor aufzubauen.“

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