Mehr als jeder dritte deutsche Mittelständler sieht Digitalisierung skeptisch. Das zeigte eine exklusive Umfrage der WirtschaftsWoche im Frühjahr. Zumindest hielten 35 Prozent der Unternehmen mit weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz die Risiken für genauso groß wie die Möglichkeiten. Bei größeren Mittelständlern (mehr als 50 Millionen Umsatz) waren es immer noch rund 25 Prozent.
Sieben Monate später mag die Skepsis zwar immer noch dieselbe sein, jedoch stellen Experten dem Mittelstand ein gutes Digitalzeugnis aus. Gemäß der aktuellen Mittelstandsumfrage der Commerzbank nutzen fast zwei Drittel der Unternehmen die Digitalisierung, um ihr bestehendes Angebot zu optimieren. Bei rund einem Fünftel prägt die Digitalisierung bereits entscheidenden Geschäftsbereiche. Auch Studien des Maschinenbauverbandes VDMA zeigen: Der Mittelstand wird immer mehr zum Treiber der digitalen Entwicklung in Deutschland. Der Begriff Industrie 4.0 ist mehr, als nur ein Schlagwort.
Daten und die Expertise sind da
Uwe Reißenweber wundert das nicht. Er ist Geschäftsführer der Docufy GmbH, die sich darauf spezialisiert hat, den vorliegenden Content aus der Technischen Dokumentation von Maschinenbauern für das gesamte Unternehmen verfügbar zu machen. Das für die Digitalisierung notwendige Expertenwissen, die Innovationskraft - und die notwendigen Daten, seien ja da, so Reißenweber. Man müsse den Datenschatz bloß heben und entsprechend verwenden. "Man muss die Daten seinen Mitarbeitern nur zur Verfügung stellen", sagt er.
Die Digitalisierung eines Maschinenbauunternehmens sei daher ein Leichtes. "Es gibt zum einen die harten Daten, also Konstruktions- und Maschinendaten. Und dann gibt es weiche Daten, also Überblicksdaten, Sachzusammenhänge, Brückeniformationen. Und auch die liegen in der technischen Dokumentation vor", sagt er. "So lassen sich einem Produkt zig Informationen zuordnen, die die verschiedenen Mitarbeiter dann von überall auswerten können."
Damit die Vernetzung von einzelnen Abteilungen, Unternehmen und vor allem Menschen und Maschinen besser funktioniert, plat das Bundeswirtschaftsministerium ein umfangreiches Förderprogramm in Höhe von 150 Millionen Euro, wie Stefan Schnorr, Abteilungsleiter Digital- und Innovationspolitik des Ministeriums sagt. „Wir wollen keine Grundlagenforschung betreiben, uns geht es gezielt um konkrete Anwendungsforschung.“
Die Daten sind also da, die Förderung auch - den Unternehmen fehlt es einzig und allein an den richtigen Mitarbeitern. Besonders beim Fachwissen ihres Personals sahen die im Auftrag der WirtschaftsWoche befragten Unternehmen Probleme: Nachholbedarf bestünde vor allem bei der Datenanalyse (60,6 Prozent der Befragten) und dem Prozessmanagement (53,7 Prozent). Zudem verfügt nicht einmal ein Drittel der Betriebe (23,1 Prozent) über ein spezielles Aus- und Weiterbildungsprogramm für die Bedarfe der digital vernetzten Industrie 4.0.
Unternehmen müssen attraktiver werden
Es geht jedoch nicht nur darum, die bestehende Mannschaft weiter zu qualifizieren, sondern auch darum, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Und hier tun sich einige noch schwer, wie Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung Accenture Deutschland und Mitglied des Bitkom-Hauptvorstands, sagt: "Wir müssen weg von "one size fits all" und unsere Arbeitsverhältnisse neu konfigurieren - und zwar individuell. Der eine möchte einen Dienstwagen, der nächste im Gegenwert eines Dienstwagens etwas völlig anderes. Wieder jemand anderes braucht mehr Flexibilität und der nächste mehr Weiterbildungen. Je flexibler das alles ist, desto glücklicher sind die Mitarbeiter." Und desto größer wird auch die Anziehungskraft auf andere Fachkräfte.
"Die Digitalisierung bietet jedem die Riesenchance, sein persönliches Arbeitsumfeld so zu gestalten, wie er oder sie es braucht, beziehungsweise möchte. Wir sprechen hier von der Losgröße Eins", so Riemensperger. Das bedeutet allerdings auch: Ohne Veränderungswillen der Betriebe und entsprechende Unternehmenskultur geht es nicht.
So erhöhen Mittelständler ihre Attraktivität für Fachkräfte
Wer ohnehin schon Schwierigkeiten hat, seine Mitarbeiterzahl konstant zu halten oder neue Leute zu finden, kann es sich nicht mehr leisten, ganze Gruppen auszuschließen. Das Heer an männlichen Arbeitskräften, 25 Jahre alt, 30 Jahre Berufserfahrung, Mitgliedschaft im Schützenverein, ist nämlich ziemlich klein geworden. Entsprechend müssen sich Mittelständler auch für ältere Arbeitnehmer, ausländische Fachkräfte, junge Eltern oder Menschen mit Handicap öffnen. Wer das nicht tut, verschenkt nicht nur Potenzial - er wirkt auch aus der Zeit gefallen. Und bei so jemandem möchte auch der 25-jährige Schützenkönig nicht arbeiten. .
Quelle: Recruiting-Guide 2017 der Online-Jobbörse Yourfirm
Die Kompetenzen älterer Arbeitnehmer sind in der Vergangenheit bei vielen Unternehmen unterschätzt worden. Dabei kann die Berücksichtigung der Kompetenzen und Bedürfnisse der Generation 50 plus den Fachkräfteengpass entschärfen. Wer auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, darf sich also nicht nur auf die 22-Jährigen Hochschulabsolventen versteifen.
Um die Generation 50plus anzusprechen sind nicht nur gezielte Recruiting-Maßnahmen erforderlich, sondern auch eine Anpassung der Betriebsstrukturen. Ältere Bewerber interessieren sich oft weniger für das Unternehmensimage, Aufstiegs- oder Weiterbildungsmöglichkeiten und schätzen dafür umso mehr integres Management und kooperatives Betriebsklima.
Aber auch an die junge Zielgruppe und deren Bedürfnisse muss gedacht werden: Für die steht heute oft nicht mehr die geradlinige Musterkarriere mit hohem Einkommen im Vordergrund, sondern die Verwirklichung persönlicher Lebensentwürfe. Dazu gehört auch die Möglichkeit, genug Zeit in private Belange investieren zu können. Aber auch die Chance, sich mit eigener Initiative und Kreativität in die Entwicklung des Betriebs einbringen zu können. Mitbestimmung, konstruktives Feedback und eine gute Work-Life-Balance sind also wichtig.
Obwohl Frauen heute vielfach besser qualifiziert sind als Männer, gelingt es vielen nicht, Familie und Berufsleben angemessen zu vereinen. 1,5 Millionen Mütter werden so laut IZA in Deutschland daran gehindert, Arbeit aufzunehmen oder Arbeitszeiten zu erhöhen. Diese 1,5 Millionen könnten so manchem Mittelständler aus der Patsche helfen.
Wenn er flexible Arbeitszeiten oder Arbeitsmodelle wie Jobsharing anbietet. Auf Frauen ausgerichtete Förderprogramme und eine Betriebskita verhindern außerdem, dass Arbeitszeiten überhaupt unnötig reduziert werden müssen. Auf solche Angebote achten übrigens auch junge Väter, beziehungsweise Männer, die eine Familie gründen wollen.
Wer innovative Mitarbeiter will, darf sich nicht mehr in ein Arbeitszeitkorsett pressen, das gut in das Jahr 1850 passen könnte. Hinzu kommt, dass flexible Arbeitszeiten nicht nur zeitgemäß sind, sondern auch Belastungen durch den Beruf reduzieren können. Besonders Mitarbeiter, die zu Hause Kinder erziehen, in der Pflege eingespannt sind oder pendeln, wissen solche Angebote zu schätzen. Auch Home-Office gehört zur Angebotspalette eines attraktiven Arbeitgebers.
Um als Arbeitgeber gerade für ältere Angestellte attraktiv zu bleiben, machen sich Investitionen in die betriebliche Gesundheitsvorsorge bezahlt. Auch das Angebot von frischem Obst oder Gratis-Getränken verbessert die Gesundheit der Mitarbeiter - und die Arbeitsatmosphäre.
Wer all das bereits anbietet und umsetzt und sich trotzdem schwer tut, bei der Mitarbeitersuche, der kommuniziert vielleicht einfach nicht genug: Schmücken Sie sich mit Ihren Federn - nicht nur mit Produkten und Dienstleistungen, auch mit Angeboten an die Belegschaft kann man angeben. Mitarbeiter können über Unternehmen aus eigener Erfahrung und nächster Nähe berichten. Daher stellen sie die glaubwürdigsten Experten für die Kommunikation der Arbeitgebermarke dar. Bilder, Videos oder schriftliche Stellungnahmen der Angestellten eignen sich also zur Illustration der Karrierewebsite, als Werbemittel auf Social-Media-Kanälen oder Videoportalen. Bei Karrieretagen oder Jobmessen können sie aus erster Hand berichten.
Die Teilnahme an Arbeitgeberrankings kann ebenfalls mediales Interesse wecken und das Arbeitgeberimage verbessern. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, die Erfolge öffentlichkeitswirksam darzustellen.
"Wir müssen uns immer wieder fragen: Wie flexibel sind wir denn?", so Riemensperger. Flexibilität sei nämlich keine Einbahnstraße - auch die Unternehmen müssen sich bewegen. "Wir haben in der Vergangenheit viele talentierte Frauen verloren, weil wir nicht flexibel genug waren. Da steuern wir seit vier, fünf Jahren gegen, aber es ist ein langwieriger Prozess", erzählt er. Dass junge Familien - und vor allem Frauen - noch immer Probleme haben, Kinder und Job zu vereinen, liege zwar nicht allein an den Unternehmen: "Die Kita schließt um 13 Uhr und anders als in anderen Ländern kann sich ein Paar, das Vollzeit arbeitet, nur schwer eine Ganztags-Nanny leisten, die tagsüber für die Kinder da ist. Und voll steuerlich absetzbar ist sie auch nicht." Aber wer bei den Begriffen Home-Office, Teilzeit oder flexible Arbeitzeitsmodelle Schnappatmung bekommt, der braucht sich nicht wundern, wenn junge Eltern beiderlei Geschlechts einen Bogen um das Unternehmen machen.
Woanders klappt es ja auch: sowohl gesellschaftlich, als auch von seiten der Arbeitgeber. Riemensperger: "In anderen Ländern ist es normal, dass Frauen Familie und Arbeit miteinander in Einklang bringen und trotzdem Karriere machen. Der gesellschaftliche Rahmen und die Flexibilität in den Arbeitsverhältnissen macht es möglich, dass Frauen mit Kindern sich nicht entscheiden müssen entweder als Rabenmütter dazustehen oder die Karriere an den Nagel zu hängen." Und davon profitieren nunmal auch die Unternehmen.