Doch damit nicht genug: Heute müssen Vorstände letztlich bei jedem Halbsatz, den sie schriftlich oder mündlich äußern, mit juristischen Fallen rechnen. Sie sollten unternehmerische Entscheidungen vorab nicht nur auf ihre ökonomischen, sondern vor allem auf ihre juristischen Folgen fürs Unternehmen prüfen lassen. Und sie können nach einer Negativnachricht nicht mehr abgeschottet an einer Pressemitteilung feilen, sondern müssen binnen Minuten reagieren, um einen möglichen Internet-Shitstorm frühzeitig zu unterbinden.
Denn die Front potenzieller Kläger ist gewachsen: Kritische Anteilseigner, Verbraucher und Medien rufen unverzüglich öffentlich den Skandal aus, das Kartellamt ist gegenüber Managern so selbstbewusst wie nie und die Justiz ebenfalls nicht mehr von übertriebener Scheu geplagt, die Herren der Konzernwelt im Zweifel anzugehen. Die Folgen: Manager schweben nicht nur in der Gefahr, das Unternehmen, für das sie arbeiten, in Schieflage zu bringen, sondern auch den privaten Ruin zu riskieren. Und stehen bei all dem unter erhöhtem Wettbewerbsdruck.
Checklisten abhaken
„Statt inhaltlich getriebene, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, verbringen manche Vorstände vermehrt ihre Zeit damit, Checklisten abzuhaken, damit alles juristisch abgesichert ist“, sagt Manfred Gentz, Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. „Die Gefahr, sich selbst bei einer Entscheidung bei auch nur einer kleinen Pflichtverletzung wirtschaftlich und reputationsmäßig ruinieren zu können, ist heute Vorständen in aller Regel sehr bewusst“.
„Die gestiegene Belastung spürt jeder im Job“, bestätigt der Ex-Chef eines großen Reise-Unternehmens und Multi-Aufsichtsrat. Weniger, weil er sich überlastet fühle. „Sondern weil schnelle Entscheidungen gefragt, aber fast unmöglich sind.“
Oft sichern sich alle Beteiligten durch teure Anwälte- oder Wirtschaftsprüfer-Gutachten ab – damit sie im Zweifelsfall die Schuld weiterreichen können.
„Manchmal werden sogar unsinnige Gutachten bestellt, nur um sich abzusichern. Und dann am besten gleich drei, damit es nicht pari enden kann“, spottet der Vorstand eines MDax-Konzerns, der anonym bleiben will. „Es herrscht eine Rückversicherungsmanie, bei dem jeder Beteiligte ungern etwas riskiert und sich lieber dreifach als doppelt absichert.“
Die erfolgreichsten CEOs börsennotierter Großunternehmen
Unternehmen mit mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz.
* die Zahl zeigt an, wie viel Prozent seiner Wettbewerber das Unternehmen 2013 geschlagen hat.
CEO: Bill McDermott & Jim Hageman Snabe
Unternehmen: SAP
Gesamtwertung*: 52%
Gewinnentwicklung*: 78%
Aktienkursentwicklung*: 31%
Umsatzentwicklung*: 49%
(Hageman Snabe bis 31.12.2013)
CEO: René Obermann
Unternehmen: Deutsche Telekom
Gesamtwertung*: 53%
Gewinnentwicklung*: 17%
Aktienkursentwicklung*: 79%
Umsatzentwicklung*: 63%
(CEO bis Mai 2014)
CEO: Georg Müller
Unternehmen: MVV Energie
Gesamtwertung*: 55%
Gewinnentwicklung*: 43%
Aktienkursentwicklung*: 58%
Umsatzentwicklung*: 63%
CEO: Frank Appel
Unternehmen: Deutsche Post
Gesamtwertung*: 57%
Gewinnentwicklung*: 53%
Aktienkursentwicklung*: 84%
Umsatzentwicklung*: 33%
CEO: Elmar Degenhart
Unternehmen: Continental
Gesamtwertung*: 57%
Gewinnentwicklung*: 40%
Aktienkursentwicklung*: 88%
Umsatzentwicklung*: 42%
CEO: Wolfgang Reitzle
Unternehmen: Linde
Gesamtwertung*: 57%
Gewinnentwicklung*: 65%
Aktienkursentwicklung*: 43%
Umsatzentwicklung*: 64%
(CEO bis 31.12.2013)
CEO: Bernd Scheifele
Unternehmen: HeidelbergCement
Gesamtwertung*: 58%
Gewinnentwicklung*: 67%
Aktienkursentwicklung*: 67%
Umsatzentwicklung*: 40%
CEO: Dietmar Meister
Unternehmen: Generali Deutschland
Gesamtwertung*: 58%
Gewinnentwicklung*: 63%
Aktienkursentwicklung*: 76%
Umsatzentwicklung*: 36%
CEO: Eckard Heidloff
Unternehmen: Wincor Nixdorf
Gesamtwertung*: 62%
Gewinnentwicklung*: 59%
Aktienkursentwicklung*: 75%
Umsatzentwicklung*: 51%
CEO: Volker Kronseder
Unternehmen: Krones
Gesamtwertung*: 62%
Gewinnentwicklung*: 79%
Aktienkursentwicklung*: 48%
Umsatzentwicklung*: 60%
CEO: Marcelino Fernández Verdes
Unternehmen: Hochtief
Gesamtwertung*: 63%
Gewinnentwicklung*: 68%
Aktienkursentwicklung*: 74%
Umsatzentwicklung*: 47%
CEO: Ralf Dieter
Unternehmen: Dürr
Gesamtwertung*: 63%
Gewinnentwicklung*: 56%
Aktienkursentwicklung*: 89%
Umsatzentwicklung*: 45%
CEO: Thomas Olemotz
Unternehmen: Bechtle
Gesamtwertung*: 64%
Gewinnentwicklung*: 83%
Aktienkursentwicklung*: 65%
Umsatzentwicklung*: 44%
CEO: Jürg Oleas
Unternehmen: GEA
Gesamtwertung*: 64%
Gewinnentwicklung*: 73%
Aktienkursentwicklung*: 72%
Umsatzentwicklung*: 48%
CEO: Claus-Dietrich Lahrs
Unternehmen: Hugo Boss
Gesamtwertung*: 67%
Gewinnentwicklung*: 71%
Aktienkursentwicklung*: 75%
Umsatzentwicklung*: 54%
CEO: Gerold Linzbach
Unternehmen: Heidelberger Druck
Gesamtwertung*: 72%
Gewinnentwicklung*: 65%
Aktienkursentwicklung*: 76%
Umsatzentwicklung*: 75%
CEO: Rüdiger Kapitza
Unternehmen: DMG Mori Seiki
Gesamtwertung*: 74%
Gewinnentwicklung*: 86%
Aktienkursentwicklung*: 76%
Umsatzentwicklung*: 62%
CEO: Thomas Ebeling
Unternehmen: ProSiebenSat.1
Gesamtwertung*: 75%
Gewinnentwicklung*: 57%
Aktienkursentwicklung*: 90%
Umsatzentwicklung*: 79%
CEO: Christoph Vilanek
Unternehmen: Freenet
Gesamtwertung*: 78%
Gewinnentwicklung*: 70%
Aktienkursentwicklung*: 80%
Umsatzentwicklung*: 83%
CEO: Ralph Dommermuth
Unternehmen: United Internet
Gesamtwertung*: 89%
Gewinnentwicklung*: 86%
Aktienkursentwicklung*: 91%
Umsatzentwicklung*: 89%
Quelle: Obermatt
Die Angst unter Aufsichtsräten, haftbar gemacht zu werden
Bereits bevor eine Entscheidung im Vorstand beraten wird, werden viel mehr Beteiligte aus allen möglichen Fachgebieten eingebunden als früher. Grund ist aber weniger der Zwang zur betrieblichen Mitbestimmung oder gar der Wunsch, ein Potpourri an Meinungen in eine möglichst abgewogene Entscheidung einfließen zu lassen. Sondern die Angst, vor allem unter Aufsichtsräten, haftbar gemacht zu werden, weil sie nicht jeden Gesichtspunkt berücksichtigt haben. Etwa ob Manager in die eigene Tasche gewirtschaftet haben könnten. Hinzu kommen Investoren oder Aufsichtsräte, die am Ende mehr an kurzfristige Erfolge und ihre eigene Karriere denken als an das langfristige Wohl des Unternehmens. „Jeder hält uns die schlanken Prozesse der Mittelständler als leuchtendes Beispiel vor die Nase, fordert schnelle und unternehmerische Entscheidungen“, bestätigt der Ex-Vorstandschef aus der Reisebranche. „Aber nur, wenn er selbst kein Risiko damit eingeht.“
Dabei sind Vorstände eher Typen mit Chuzpe, die sich nicht mit Selbstzweifeln plagen, hart im Nehmen wie im Austeilen sind. Ängste? „Nie“, antwortete Ex-Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke mal. Jemals ans Hinwerfen denken? „Nein.“ Oder, wie Ex-Bahn-Chef Mehdorn seine Rolle als Vorstandschef sieht: bewusst „Angriffsflächen bieten, damit einer die Pfeile auf sich zieht und die anderen ungestört arbeiten könnten“.