Wettbewerb, Zeitdruck, Leistung, Pflichten, Erwartungen. Stress an sich ist kein Problem. Negativer Stress entsteht durch unsere Bewertung einer Situation als unangenehm und nicht zu bewältigen, Angst einflößend. Dann konzentrieren wir uns auf die Probleme statt auf Lösungen und finden diese auch gar nicht, weil der so genannte Tunnelblick eintritt.
Wir fahren heute die Ernte der letzten Jahre ein. Immer weniger Menschen mussten immer mehr leisten, so dass die Batterien leer sind. Belastung können wir gut verkraften – wenn dieser angemessene Erholung folgt. Doch diese fehlte.
Unsere Kultur der Selbstausbeutung ist nicht auf die Arbeit beschränkt, sondern findet genau so im Privatleben statt. Wir leben in einer Welt, in der keiner den ständig wachsenden Ansprüchen mehr gerecht werden kann. Weil es zu viele und zu hohe in allen Lebensbereichen gleichzeitig sind.
Leistung ist eine geförderte Sucht
Svenja Flaßpöhler hat sich in ihrem Buch „Wir Genussarbeiter“ mit der Leistungssucht befasst. Sie schreibt, dass wir exzessiv, statt ekstatisch arbeiten. Während wir am Schreibtisch kein Ende finden und Überstunden schon nicht mehr als solche empfunden werden, müssen wir uns zum Genuss zwingen, werden wir unruhig, wenn es um uns ruhig und langsam wird. Arbeiten wir einmal nicht, sind wir immer noch in ständiger Betriebsamkeit (E-Mails, joggen, aufräumen).
Wir sind ständig mit unseren Gedanken woanders. Ärgern uns über das, was gestern war, machen uns Sorgen über Dinge, die wir hören und lesen und die (noch) gar nicht real sind. Diese Tendenz, sich mental auf Probleme oder Gefahren zu konzentrieren, wird in der Positiven Psychologie das „Katastrophische Gehirn“ genannt.
Die sich selbst erfüllende Zukunft
In der TK-Studie 2012 gab jeder zweite an, dass der Stress im persönlichen und sozialen Umfeld zunehmen wird. Hier kommen die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen ins Spiel. Wir sehen, was wir erwarten, alles andere filtert unser Gehirn gnadenlos aus. Mit diesem so genannten „Bestätigungsirrtum“ machen wir uns selbst kaputt. Wir verhalten uns nämlich auch so, dass es zu unseren Erwartungen passt und sagen dann „hab ich es doch gewusst“.
Totale Erschöpfung, am Ende seiner Kräfte zu sein, das, was oft mit dem Begriff „Burnout“ beschrieben wird, scheint der Endpunkt eines Weges zu sein, an dem man sich endlich einmal zurück ziehen darf, für sich sorgt und sozial akzeptiert „ich kann nicht mehr“ sagt. Der allgemeine Konsens dahinter scheint zu sein, dass die Erkrankten richtig viel geleistet haben müssen. Doch muss es wirklich erst so weit kommen, dass Krankheiten den Einzelnen und damit die Gesellschaft zu neuem Denken zwingen? Es steht zu fürchten. Denn wir Menschen machen ja immer gern weiter, so lange es nicht weh genug tut.
Gefühle sind ansteckend
Arnold B. Bakker widmet sich an der Erasmus Universität Rotterdam diesem Thema. Er stellte fest, dass es Lebenspartnern selbst bei großer Anstrengung nicht gelingt, ihre Gefühle und Probleme bei der Arbeit von zu Hause fern zu halten. Dies betrifft zum Beispiel Erschöpfung und Zynismus, die als Burnoutbestandteile definiert sind.
Was geschieht mit Menschen, wenn die Mehrheit eines Teams vor dem Burnout steht oder umgekehrt engagiert und euphorisch ist? Auch hier gibt Arnold B. Bakker Antwort. Die „kollektive Stimmung“ ist messbar. Das Burnout-Niveau von Teams korreliert mit den individuellen Burnout-Niveaus. Auch die Höhe des Gesamtengagements eines Teams sagt die Höhe des Engagements des Einzelnen voraus.
Was bei der Arbeit stresst
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Managementfähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Ein weitere Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Doch am problematischsten, laut der Studie: die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Reaktion der Unternehmen, mehr aufzuklären, der richtige Weg ist oder ob wir nicht gerade durch die Sensibilisierung für das Thema es selbst verstärken. Aufgrund der vermehrten Konfrontation mit der Burnout-Symptomatik ordnen Menschen viel eher kurzfristig erlebte Symptome in diese Richtung ein und bewerten dann etwa Kopfschmerzen nicht mehr als Kopfschmerzen, sondern als Zeichen eines sich anbahnenden Bournouts.
Die psychologischen Hintergrundmechanismen
Geschlecht, eigene Erfahrungen und Empfänglichkeit variieren den Grad und die Leichtigkeit der Übernahme von Gefühlen und Symptomen. Doch wie geschieht diese Übertragung?
Lebende Modelle
Andere Menschen fungieren wie Vorbilder, Symptome werden bemerkt und werden automatisch und unbewusst übernommen, so wie wir auch Gesten, Blicke oder Worte von anderen übernehmen.
Einfühlungsvermögen mit Nachteil
Gefühle können „aufgeschnappt werden“ indem ich mich versuche, in eine Situation hinein zu versetzen (zum Beispiel was der Partner oder Kollege erlebt hat). Dabei werden ähnliche Situationen im eigenen Leben aktiviert und die Gefühle übernommen.
Mitgefühl
Bei der empathischer Identifikation stellen wir uns vor, wie wir uns an Stelle der anderen Person fühlen würden. Dies ist besonders bei Paaren und Familien verbreitet, wo „einer die Last des anderen“ ganz selbstverständlich trägt und es ungehörig scheint sich gut zu fühlen, wenn es dem andern schlecht geht.
Mediale Ansteckung
Unter dem Titel „Burnout? Nein, danke. Ich hab schon“ veröffentlichten Charlotte Kraus und Simon Hahnzog ihre Studie zu der Frage inwieweit Burnout durch die Präsenz in Umfeld und Medien zur Verstärkung eigener Symptom führt.
Neu ist, dass die Übertragung von negativen Gefühlen und Burnout-Symptomen keine Anwesenheit von Menschen braucht, sondern durch die mediale Präsenz des Themas zustande kommt. Wir hören, lesen, sehen immer öfter davon, die gefühlte Burnout-Präsenz wächst unaufhörlich und beeinflusst die Einschätzung des eigenen Burnout-Zustandes.
So schützen Sie sich und andere
Ist der Anstieg von psychischen Erkrankungen wirklich so groß wie berichtet? Dieser Frage ging der Gesundheitsreport der DAK 2013 nach und sagt eindeutig: nein.
Zum einen sei die Bereitschaft der Ärzte gestiegen, mit psychischen Ziffern krank zu schreiben, vor allem aber die Bereitschaft der Betroffenen, über ihre Beschwerden zu sprechen. Früher wurde wegen Magen- oder Rückenproblemen eine Auszeit genommen, heute nennt man das Kind eher beim Namen.
Norbert Schmacke, Professor am Institut für Public Health an der Universität Bremen bestätigt, dass es bis in die 80er Jahre eine klare Tabuisierung psychologischer Erkrankungen in Deutschland gab. Als Quelle für Krankenkassen und Rentenversicherer, auf die die Behauptung der Zunahme psychischer Erkrankungen gestützt wird, werden immer die Diagnosen und Kodierungen der Ärzte genommen. Belastbare Belege wie standardisierte Längsschnittstudien lägen nicht vor.
Neue Perspektiven einnehmen
Wenn ca. jeder Zehnte über chronischen Stress klagt, heißt das auch, dass neun von zehn keinen chronischen Stress haben.
Mehr als drei Viertel der Beschäftigten fühlen sich den Anforderungen gewachsen und schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand besser ein als der EU-Durchschnittsarbeitnehmer sagt die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland des Robert-Koch-Instituts: Knapp 77 Prozent der Männer und 73 Prozent der Frauen bewerten ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut.
Mythos Erreichbarkeit
Der Frage, ob das Thema Erreichbarkeit ein Krankmacher ist, ging der DAK Gesundheitsreport 2012 nach und befragte dazu 3000 Erwachsene. 51,7 Prozent der Menschen, deren Kollegen und Vorgesetzte ihre privaten Nummern haben, werden nie angerufen, nur 7,5 Prozent der Befragten fühlen sich durch telefonische Erreichbarkeit etwas oder erheblich belastet. 78,9 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu „Mein Arbeitgeber akzeptiert, wenn ich außerhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar bin“.
Auch hier scheint uns also unser Gehirn einen Streich zu spielen, indem wir mehr Druck empfinden, als real existiert, in einer Art voraus eilendem Gehorsam „bereiter“ sind als nötig.
Erfreulicherweise können wir uns auch mit guten Gefühlen wir Energie und Enthusiasmus anstecken. Ein gutes Gefühl bei der Arbeit hat positiven Einfluss auf das Privatleben. Wer nach einen angenehmen erfolgreichen Tag nach Hause kommt, ist eher bereit, den anderen zu unterstützen. Das gute private Klima kommt zurück zur Arbeit.
Betroffene unterstützen und Teams schützen
Vermitteln und erwerben Sie Wissen über Stress und Burnout, aber legen Sie darauf nicht den Fokus. Die neue Gehirnforschung zeigt: je häufiger wir etwas wiederholen, umso stärker werden die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn. Also raus aus der Problem- hin zu Lösungsorientierung.
Schauen Sie hin statt weg bei Anzeichen von Burnout wie Erschöpfung, Zynismus, abwertender Kommunikation und Ineffizienz. Reagieren Sie lieber einmal zu früh als einmal zu spät. Denn auch wenn immer mehr Menschen Hilfe wegen psychischer Probleme suchen, ist die Erwartung von Verständnis bei Kollegen und Chef gering. Dies hat zur Folge, dass trotz eingeschränkter Befindlichkeit zur Arbeit gegangen wird.
Die besten Tipps für ein Leben ohne Burnout
Geben Sie die Illusion auf, wir könnten Arbeit und Privatleben trennen. Sorgen Sie lieber dafür, dass Sie in einem guten Zustand nach Hause kommen. Meist verbrauchen wir alle Kraft bei der Arbeit und verhalten uns dann, wie wir es Kunden oder Kollegen gegenüber nie tun würden.
Jeder sollte nach der Arbeit zunächst einmal allein Stress abbaut. Zum Beispiel durch Sport oder zumindest einen kleinen Weg zu Fuß, denn der Körper baut das Stresshormon Cortisol durch Bewegung ab. Führen Sie Rituale zum Schaffen von Abstand ein. Nutzen Sie Musik und Entspannungs-CDs auf dem Heimweg oder schreiben Sie sich den Frust von der Seele.
Egoismus 2.0
Es ist egoistisch, nicht gut für sich zu sorgen, weil wir dann von anderen die Lieferung der Zutaten für unser Wohlbefinden erwarten. Ermutigen Sie also und leben Sie vor wie es ist, gut für sich zu sorgen.
Glück und Gesundheit brauchen geistige Disziplin. Als günstig gilt der Quotient von drei zu eins. Das heißt: Auf jedes schlechte Gefühl sollten mindestens drei gute kommen. Diese Quote kann man erheblich verbessern, indem man nur lernt, mehr auf die guten Dinge im Leben zu achten.
Glück bedeutet viele kleine tägliche Annehmlichkeiten und ein generelles Gefühl der Zufriedenheit mit dem Leben, nicht seltene emotionalen Highlights wie eine Hochzeit. Also umgedacht und Augen auf!
Betreiben Sie Gedankenhygiene - so wie Sie ja auch regelmäßig Ihre Zähne putzen. Yoga, Meditation, Achtsamkeitsübungen helfen dem Geist, sich zu beruhigen.
Schluss mit negativer Stimmung
Sie entscheiden, wie lange Sie Ärger, Missmut, Zweifel und Sorgen in Ihrem Kopf zulassen. Schalten Sie bewusst auf konstruktives Denken um.
Halten Sie sich fern von schlechten Nachrichten in den Medien, limitieren Sie die Zeit, in der Sie sich schlechte Erfahrungen von Freunden und Familie anhören, stoppen Sie Klatsch und Tratsch.
Wenn Sie Enttäuschungen oder Verletzungen nicht vergessen können hilft die Schreibtechnik nach Pennebaker. Schreiben Sie an vier aufeinander folgenden Tagen je 20 Minuten( Wecker stellen) was genau geschehen ist und welche Gefühle das in Ihnen ausgelöst hat. Beschreiben Sie schlimmes, peinliches und schmerzvolles. So kommt es in den Verarbeitungsmodus des Gehirns.