Arbeiten im Ausland Home Sweet Home

Seite 3/3

Tatsache ist: Wer für mindestens zwei Jahre nationale Grenzen überschreitet, kehrt mit mehr Ideen und sozialer Kompetenz zurück, ist persönlich gereift und denkt in größeren Maßstäben. Markus Korsten, 35, kam im Juli nach zwei Jahren aus Rumänien wieder. Dort hat der heutige Leiter der weltweiten Lkw-Reifenproduktion bei Continental in Timisoara ein Werk mit 1000 Mitarbeitern mit aufgebaut und die Produktion von 5000 Reifen pro Tag auf 35 000 hochgeschraubt. Als man ihm den Job 2002 anbot, war er zunächst wenig begeistert: „Ich war vorher im wunderschönen Wien, um dort ebenfalls ein Werk aufzubauen, kannte Rumänien von einigen Besuchen und ahnte, dass das ein ziemlicher Kulturschock werden würde.“ Außerdem war seine Frau schwanger. Am Ende aber gab die Aufgabe den Ausschlag. Die Chance, mit einem Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro ein komplett neues Werk zu leiten, noch dazu in einem exotischen Umfeld, „bekommt man nicht allzu oft“, sagt der Ingenieur. Die Timisoara-Erfahrung hilft ihm heute bei seinem neuen Führungsjob: 30 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt Korsten mittlerweile im Ausland, 70 Prozent seiner Korrespondenz, Telefonate oder E-Mails, führt er mit Ausländern. Wenn er die sieben ihm unterstellten Werke besucht, begegnet er den Kollegen vor Ort anders als noch vor ein paar Jahren. Er versteht ihre Probleme besser und fühlt sich auch sicherer im Umgang mit Kulturen, die er noch nicht kennt. „Es gibt einfach weniger Konflikte“, sagt der Conti-Manager. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Die Kollegen akzeptieren seine Entscheidungen schneller. Er genießt hohe Glaubwürdigkeit, weil er eigene Erfahrungen anführen kann. Korsten ist sich sicher: „Hätte ich diese Erfahrungen nicht, säße ein anderer auf meinem Stuhl.“ In der Zukunft könnte das mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Ausländer sein. Denn das Gros der Belegschaften, selbst bei Mittelständlern, wird immer internationaler. Und finden sich keine kompetenten deutschen Bewerber, werden die Stellen mit ausländischen Bewerbern besetzt. „Bei rund 25 Prozent unserer Suchanfragen spielt die Nationalität der Kandidaten bereits keine Rolle mehr“, sagt Egon-Zehnder-Partner Püschel. „Der Trend zur internationalen Besetzung nimmt sogar zu.“ Während sich die Masse der jungen Deutschen in aller Stille von der Globalisierung verabschiedet, orientiert sich die Spitze weiter international. Beobachter rechnen deshalb mit einer noch stärkeren Elitebildung. Die Schere zwischen Toptalenten und dem Durchschnitt „geht weiter auf“, glaubt Thomas Herp, Europa-Chef der Unternehmensberatung Monitor Group und prophezeit: „Die sozialen Unterschiede werden wachsen – zwischen denen, die global erfahren und interessiert sind und deshalb internationale Managementposten besetzen – und denen, die allenfalls nationale Verwaltungsarbeiten ausführen.“ Die künftig weniger gebraucht werden, weil sich viele dieser Jobs in Niedriglohnländer auslagern oder durch Technik ersetzen lassen. Die Arbeitslosigkeit unter dem Immobilen wird also steigen. Und wer noch Arbeit hat, muss sich mit weniger Gehalt oder zumindest geringeren Gehaltszuwächsen zufrieden geben, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Saläre der mobilen Globaldenker dagegen steigen. Die Analyse von Karrieren zeigt: Wer es ernst meint mit der Globalisierung und » schon früh bereit ist, seine Komfortzone zu verlassen und sich auf neue Menschen, neue Kulturen einzulassen, der setzt dies meist im weiteren Lebenslauf fort. Diese Leute bewerben sich dann häufig bei den Unternehmen, die ihnen weltweite Projekte, internationale Teams, Markt- und Innovationsführerschaft bieten. „Das Interesse an Auslandseinsätzen ist bei uns ungebrochen“, konstatiert Just Schürmann, Partner und Recruitingchef bei der Boston Consulting Group. „Was uns zu Gute kommt, weil auch unsere Kunden immer internationaler tätig sind und das auch von uns erwarten.“ Eine Spitzenkarriere muss nicht einmal das primäre Ziel sein. Die Unternehmen brauchen „nicht nur globale Häuptlinge, sondern viel mehr noch welterfahrene Indianer“, sagt Conti-Personalchef Sattelberger. „Ein Auslandseinsatz zieht nicht zwingend eine Beförderung nach sich – sondern er befähigt die Leute künftig überhaupt erst dazu, Karriere zu machen“, sagt auch Monitor-Chef Herp. Wer mobil bleibt, der tut vor allem etwas für sich selbst, für seine Persönlichkeit, für sein künftiges Handwerkszeug, für seine Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt, für seinen Marktwert. Mobilität hat allerdings zeitliche Grenzen. Für Auslandseinsätze kommen in der Regel nur bestimmte Lebensabschnitte infrage: vor oder während der Ausbildung, beim Jobeinstieg, vor den ersten Kindern. Mit Mitte 30 werden die meisten Mitarbeiter immobiler, bekommen Kinder, kaufen Häuser, die Kinder kommen in die Schule, studieren. Das hemmt, und das wissen auch die Personaler. Erst wenn ihre Kinder flügge geworden sind, kann man von den Leuten wieder erwarten, dass sie nochmal ausschwärmen und ihren Erfahrungsschatz auffrischen. Dann sind sie in der Regel schon um die 50. Das heißt aber auch: Wer ungebunden ist, hat kaum Ausreden. Wer den Drang in die Fremde als ein Kapitel betrachtet, das man mit 25 abgeschlossen hat, senkt seine Ein- und Aufstiegschancen dramatisch. Wie mobil jemand ist, prüfen viele Recruiter bereits beim Vorstellungsgespräch mit Fragen wie: „Wir würden Sie gerne in einem halben Jahr zum Aufbau unserer Geschäftsstelle in Shanghai einsetzen. Das wird ungefähr drei Jahre dauern. Wären Sie dazu bereit?“ Wer dabei zaudert, über die schon lange andauernde Wochenendbeziehung mit seiner Freundin klagt oder auf das nächste Jahr verweist, verliert doppelt. Entweder den Job heute – oder den Job in zehn Jahren.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%