Laborexperimente verändern die Ökonomie "Wer Gier beobachtet, wird selber gierig"

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"Ökonomischer Ingenieur"

Können Sie Beispiele für den Praxisbezug Ihrer eigenen Experimente geben?

In Köln beschäftigen wir uns mit einer großen Bandbreite von Themen, etwa mit Anreizsystemen und Produktionsmanagement in Unternehmen, mit Verhandlungen und Interaktionen auf Auktions-, Internet- und Strommärkten. Wir arbeiten interdisziplinär und setzen experimentelle und theoretische Methoden ein. Die Idee ist, die Herausforderungen wie ein „ökonomischer Ingenieur“ anzugehen.

Wie stark nutzt die Politik die Erkenntnisse von Verhaltensökonomen?

Viele Regierungen ziehen mittlerweile Verhaltensökonomen zu Rate. Auch das Bundeskanzleramt stellt Verhaltensökonomen ein. Anreizsysteme und nicht rationales Verhalten spielen ja auch in der Politik eine Rolle. In unserer Forschergruppe in Köln beschäftigen wir uns zum Beispiel mit der Frage, welche Anreize die Kooperation beim Klimaschutz erleichtern. Allerdings darf man nicht vergessen, dass Verhaltensökonomik und „Economic Engineering“ junge Disziplinen sind und die Politik ein komplexes Feld. Viele Fragen, die an uns herangetragen werden, lassen sich noch nicht robust beantworten. Es gibt viel Forschungsbedarf, und die großen Hoffnungen, die im Zusammenhang mit Politikberatung manchmal aufkommen, scheinen mir teils übertrieben.

Die Politik sucht womöglich auch die Hilfe von den Verhaltensökonomen, um zu lernen, wie sich die Bürger durch sanften Paternalismus konditionieren lassen – und etwa mehr auf ihre Gesundheit achten. Finden Sie eine solche psychologische Regierungsführung richtig?

Ich glaube, dass die Paternalismus-Debatte dem eigentlichen Beitrag der Verhaltensökonomik in der Politikberatung nicht gerecht wird. Es ist doch so: Die Politik verfolgt ihre Ziele mit Anreizen aller Art, und Menschen reagieren auf solche Anreize. Doch sie tun das nicht immer so, wie es unsere Intuition oder Lehrbuchmodelle nahelegen würden. Eine Politikmaßnahme, die bei rationalem Verhalten funktioniert, kann bei realem Verhalten versagen. Die Einbeziehung der Verhaltenswissenschaft hilft dabei, Verhaltensreaktionen auf Anreize besser zu verstehen und vorherzusagen. So kann sie Fehler vermeiden helfen. Eine offene Diskussion kann auch Manipulationen vermeiden. Es wäre daher fahrlässig, wenn die Politik bei der Umsetzung ihrer Ziele wissenschaftliche Erkenntnisse über das Verhalten ignorierte.

Kritiker werfen der Experimentalökonomie vor, sie habe kein theoretisches Fundament, und ihre Aussagen ließen sich nicht verallgemeinern. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Es ist absolut der falsche Weg, alte Gräben zu vertiefen und verschiedene Methoden gegeneinander auszuspielen. Theorie und Experimente liefern Modelle der Welt, die sich gegenseitig ergänzen – aber keinesfalls gegenseitig ersetzen. Ich würde für reale Entscheidungen keiner Theorie vertrauen wollen, deren empirischer Gehalt nicht nachgewiesen ist – aber auch keinem Experiment, dem die theoretische Fundierung fehlt. Es ist an der Zeit, dass die Wirtschaftswissenschaft sich weniger an ihren Methoden aufreibt – sondern sich wieder stärker den Problemen widmet.

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