Training Die Macht der Stimme

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Abteilung Phoniatrie und Quelle: dpa-dpaweb

Egal, ob wir nun zu atemlos sprechen oder zu langsam, zu laut oder zu leise, zu hart oder zu undeutlich – es sind vor allem die Zwischentöne, die beim Chef, den Kunden und Kollegen Reaktionen provozieren und uns damit auf eine Rolle festlegen.

Nun kann besagte Mitarbeiterin versuchen, ihr Verhalten, ihre Körpersprache und Mimik zu verbessern. Sprachwissenschaftler wie Hartwig Eckert sind jedoch davon überzeugt, dass sich der Imageerfolg schneller einstellt, wenn die Betroffene zuerst an ihrer Stimme arbeitet. Spräche sie etwa fester und sonorer, nähmen die Kollegen mehrheitlich an, sie wäre souverän und kompetent – „und behandeln sie entsprechend“, sagt Eckert.

Der Ton macht eben nicht nur die Musik – er verändert auch Verhalten. So machte der Stimmforscher kürzlich ein Experiment mit Lehramts-Studentinnen, die über starken Stress und wenig Durchsetzungskraft klagten. Bei der Analyse ihrer Stimmen kam heraus, dass sie im Unterricht überdurchschnittlich oft verbale Weichmacher einsetzten, wie Verlegenheitslacher oder sogenannten Lippenrundung vom Typ: „Nöö, also würklüch Künder! Nun nöhmt mal das Spülzeug runter...“.

Nach leichtem Training wurden die Lehrerinnen in spe angehalten, all diese Weichmacher zu vermeiden, mit beeindruckendem Ergebnis: Die Kinder folgten ihren Anweisungen schneller, die Probandinnen wiederum sprachen in tieferen Tönen und bekamen dadurch mehr Selbstvertrauen und Mut. „Wer sich selbst wichtig nimmt, bekommt automatisch eine festere Stimme – und umgekehrt“, sagt Eckert.

Erfolgreiche Frauen passen ihre Stimmlage derjenigen von Männern an

Bestätigt wird das durch Studien der Sprechwissenschaftlerin Edith Slembek von der Universität Lausanne. Sie fand heraus, dass viele erfolgreiche Frauen in leitenden Positionen ihre Stimmlage derjenigen von Männern anpassen.

Das Schema – dunkle Stimme, tiefer Sinn – stimmt allerdings nicht generell. Männer müssen nicht brummen, um bei Frauen anzukommen. Die finden auch hohe Stimmen attraktiv – vorausgesetzt die Sprachmelodie stimmt. Das hat die Frankfurter Phonetikerin Vivien Zuta festgestellt, als sie für ihre Magisterarbeit 15 Frauen sechs unterschiedliche Männerstimmen bewerten ließ. Über 80 Prozent der Probandinnen fanden den Sprecher mit der höchsten Stimme attraktiv. Noch verblüffender war allerdings, dass sogar ihre Annahmen über dessen Aussehen der Wirklichkeit recht nahe kamen. So vermuteten 70 Prozent der Frauen – völlig richtig – dass der Mann grüne Augen habe. Auch der geahnte Kleidungsstil, seine Größe und sein Bildungsgrad stimmten weitgehend mit der Realität überein.

Natürlich wäre es Unfug, jedes Mal von der Klangfarbe des Sprechers auf dessen Augenfarbe zu schließen. Dennoch zeigt das Experiment, wie viele Assoziationen eine Stimme hervorruft – und wie sehr sich damit manipulieren lässt.

Denn Stimmkraft kann jeder trainieren. So nutzen zum Beispiel Männer, die im Geschäftsleben Autorität dokumentieren wollen, meist nur zwei bis drei Töne ihres Repertoires. Dadurch entsteht beim Zuhörer zwar ein monotoner, ausdrucksarmer Eindruck. Zugleich löst der aber die Klischees „objektiv“ und „informativ“ aus. Frauen dagegen verwenden beim Sprechen bis zu fünf Töne, klingen deswegen expressiver – aber gleichzeitig auch weniger durchsetzungsstark.

Viel entscheidender, ob uns eine Stimme berührt und überzeugt, ist aber die sogenannte Indifferenzlage. Das ist jener persönliche Grundton, um den jeder individuell, aber regelmäßig herumredet. Finden kann man diese mittlere Sprechlage, indem man an ein gutes Essen denkt und ein wohliges „Mmmh“ summt. Beim Sprechen zirkuliert die Stimme normalerweise bis zu einer Quinte um diesen Ton. Erst wenn sie sich dauerhaft aus diesem Bereich entfernt, schlagen die Ohren der Zuhörer Alarm, und der Redner wird als aggressiv, aufgeregt oder ängstlich empfunden.

Als im Februar 2000 in Brühl der D-Zug von Amsterdam nach Basel entgleiste, hatte auch die Kölner Zugansagerin Christiane Janke gerade Dienst. Neun Menschen kamen ums Leben, rund 150 wurden verletzt. Es war eines der schwersten Zugunfälle Europas. Die Kollegen im Stellwerk waren schockiert, aufgewühlt, sprachlos. Aber von all dem durfte sich Janke nichts anmerken lassen. „Ich habe versucht, die schlimmste Schicht meiner Dienstzeit so professionell wie möglich über die Bühne zu bringen“, sagt sie. Vor jeder Ansage habe sie den Grund für die Verspätungen und Ausfälle gedanklich verdrängt und versucht, ihre Stimme so neutral wie möglich zu halten.

Wenigstens für die Wartenden am Bahnsteig entstand so für ein paar Sekunden hörbare Normalität.

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