Führungsqualität Ein Plädoyer für mehr Leidenschaft in Unternehmen

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Leidenschaft contra Effizienz?

Germanisten, Ostasienwissenschaftler oder Sozialpädagogen werden offenbar alles - nur nicht Chef. "Ich denke, es ist ein deutsches Problem, dass man häufig auf bestimmte Karrierewege fixiert ist. In den USA und Großbritannien zum Beispiel ist man deutlich aufgeschlossener", sagt Nico Rose, Head of Employer Brand Management beim Medienkonzern Bertelsmann. Sein Arbeitgeber startet im April kommenden Jahres ein 20-monatiges Trainee-Programm speziell für Geistes- und Sozialwissenschaftler, die eine Management-Karriere im Konzern beginnen wollen.

"Bei den großen Unternehmensberatungen hat man Exotenprogramme für Geisteswissenschaftler. Auch bei anderen Unternehmen gibt es Traineeprogramme für BWLer, Ingenieure und alle anderen", erzählt Rose. Im Seminar für alle anderen säße dann allerdings der ITler neben dem Altphilologen. Gerade letzterer könnte ein großartiger Gewinn für das Unternehmen sein, auch wenn sich zunächst alle auf den IT-Experten stürzen werden. Denn: "Wer Altgriechisch studiert, tut das vermutlich nicht wegen der Karriereaussichten, sondern aus Leidenschaft. Und wer sich für die Leidenschaft entscheidet, der trifft vielleicht auch im Job andere Entscheidungen als jemand, der vorrangig auf Effizienz aus ist", sagt Rose.

Leidenschaft klingt ganz nach einer der von Kiel, Sattelberger und Sprenger genannten Charaktereigenschaften des Chefs von morgen: Herzblut statt BWL-Diplom. Rechnen zu können, schadet allerdings nicht, wie Julia Jäkel, studierte Historikerin und CEO des Verlagshauses Gruner + Jahr sagt: "Muss man als guter Manager BWL studiert haben? Ich bin sicher: nein. Man muss analytisch denken, Dinge kritisch hinterfragen – und das lernt man in einer Geisteswissenschaft vielleicht sogar besser." Auch sie benutzt das L-Wort: "Und dann muss man in allem, was man tut – Studium wie Beruf –, richtig gut sein, es mit Leidenschaft betreiben. Eine gewisse Freude am Umgang mit Zahlen gehört natürlich auch dazu."

Sich durchbeißen zahlt sich aus

Bernd Reichart, Geschäftsführer des Fernsehsenders Vox, hat Sportwissenschaften und Englisch auf Lehramt studiert. "Mir hat auf jeden Fall sehr geholfen, dass mir damals die Position in der Finanzkommunikation zugetraut wurde, obwohl ich kein klassischer BWLer war", sagt er. "Bewiesen zu haben, mich auch weit abseits meiner ursprünglich erlernten Kompetenzen zu wagen, bereit zu sein schnell dazuzulernen und in der Lage sein, einen guten Job auf neuem Terrain zu machen, hat mir mit Sicherheit auch bei meiner weiteren Karriere geholfen." Anpassungsfähigkeit - Phrase des Jahres 2016 - ist eben auch eine wichtige Führungsqualität.

Zugegeben - ein Verlagshaus oder ein Fernsehsender sind etwas anderes als ein Maschinenbauer. In der Medienbranche wird einiges weniger streng und traditionell gehandhabt. Wer in der Führungsriege eines Autoteilezulieferers sitzt, darf ruhig Ingenieur sein. Oder KfZ-Mechaniker. Fachkenntnis schadet nie.

Wie miese Chefs ihre Mitarbeiter vergraulen
Keine Verantwortung übernehmen oder abgeben Quelle: Fotolia
Fehlende soziale Kompetenz, mangelnde Motivationsfähigkeit Quelle: Fotolia
Mann steht am Bahnsteig und schaut auf seine Armbanduhr Quelle: Fotolia
Fehler des Chefs: Sich zurückziehen, kein Feedback geben Quelle: Fotolia
Ein schlechtes Arbeitsklima ist Kündigungsgrund Nummer eins Quelle: Fotolia
Sind Mitarbeiter nur Marionetten? Quelle: Fotolia
Vielen Chefs fehlt es an der Fähigkeit, Ziele nicht nur für die oberen Etagen, sondern auch für die Mitarbeiter zu definieren Quelle: Fotolia

Doch ohne Leidenschaft funktioniert trotz aller Fachkenntnis nichts. Das ist auch Kernthese in Tim Leberechts Buch „Business-Romantiker - Warum Leidenschaft die beste Qualifikation für Manager ist". Im Interview mit der WirtschaftsWoche sagte er, es sei Zeit, das Bild des abgebrühten, pragmatischen Managers infrage zu stellen. Natürlich gehe es immer auch um Profit, aber erfolgreiche Unternehmen wie Tesla oder auch Virgin würde es ohne die Leidenschaft der CEOs und Gründer niemals geben. Er plädiert für mehr Leidenschaft, Sehnsucht, Abenteuerlust und Verspieltheit in der Wirtschaft. Ohne diese Eigenschaften werde nur der Status quo erhalten, echte Fortschritte gebe es so nicht.

Schon klar: Sorgfalt, Genauigkeit, Rationalität und Besonnenheit - quasi die deutschen Ingenieurstugenden - beißen sich manchmal mit der Leidenschaft. Und ein leidenschaftlicher Kopf sieht vielleicht nicht immer ein, dass er sich mit einer geliebten Idee verrannt hat. Siehe Amazon-Chef Jeff Bezos und sein geflopptes Fire Phone. Ohne seinen Mut und seine Leidenschaft hätte es jedoch auch ganz viele andere Produkte wie den EBook-Reader Kindle nie gegeben.

Die großen Unternehmer und Gründer der jetzigen Zeit - Zuckerberg, Musk, Page, Bezos - zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie an ihre Ideen geglaubt und diese umgesetzt haben. Nicht dadurch, dass sie einen klassischen Karriereweg eingeschlagen haben.

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