Der Ölpreis fällt und fällt und fällt. Zuletzt sank der Preis für Öl der Sorte Brent unter 62 Dollar pro Barrel – das niedrigste Niveau seit fünf Jahren. An der Börse in Dubai und anderen Handelsplätzen der Region führte das am Wochenende zu Panikverkäufen. Der Dubaier Index fiel so stark wie seit sechs Jahren nicht: um 7,6 Prozent. Das Börsenplus aus dem laufenden Jahr ist damit dahin. In Abu Dhabi betrug das Minus 3,6 Prozent und in Katar 5,9 Prozent.
Auslöser der Börsenpanik war eine Prognose Internationalen Energieagentur IEA, die für 2015 einen weiter fallenden Ölpreis voraus. Bereits zum fünften Mal in Folge fiel der monatliche Ausblick der Experten negativ aus Da die Staatshaushalte der Ölförderstaaten am Persischen Golf auf die Einnahmen aus dem Ölgeschäft angewiesen sind und diese nun mit sinkendem Ölpreis immer weiter zurückgehen, befürchten Unternehmen einen massiven Rückgang staatlicher Aufträge.
Dabei sind es die arabischen Länder selbst, die den Ölpreis drücken wollen. Denn um die aufstrebende Konkurrenz durch Fracking-Öl aus den USA im wahrsten Sinne des Wortes trockenzulegen, verzichtet die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) auf die sonst übliche Beschränkung des Ölangebots durch Begrenzung der Fördermenge. Im Gegenteil: Die OPEC rät ihren Mitgliedstaaten sogar dazu, die Förderkapazitäten weiter auszubauen, damit die Nachfrage – wenn sie denn in Zukunft wieder anzieht – auch problemlos bedient werden kann. Gegen den fallenden Ölpreis wollen der Vereinigten Arabischen Emirate erst dann vorgehen, wenn der Ölpreis auf 40 Dollar pro Barrel gefallen ist. Obwohl die Ölförderländer am Golf nach Schätzungen etwa 80 Dollar pro Barrel erzielen müssen, um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.
Im Gegenzug gibt es auf der Nachfrageseite keine Anzeichen für eine Erholung. China als wichtigster Importeur hat soeben seinen Wachstumsausblick gesenkt. Andere asiatische Staaten, die Erdöl importieren, leiden zudem unter dem gestiegenen Dollarkurs, was die Ölimporte verteuert. Sie reagieren daher teilweise mit Streichung von Subventionen und einer Verringerung der Importe. Das Ölangebot wächst, während die globale Nachfrage sinkt.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
Im laufenden Jahr ist der Preis für Brentöl um knapp 45 Prozent gefallen – und Experten sehen noch kein Ende der Talfahrt. Die Analysten der Bank of America Merrill Lynch etwa rechnen damit, dass der Ölpreis 2015 auf 50 Dollar fallen könnte.
Der lange positive Trend an den arabischen Börsen droht daher zu kippen. Die Börse in Katar ist seit September bereits um 23 Prozent gefallen, die Börse in Abu Dhabi steht unmittelbar vor dem Eintritt in einen Bärenmarkt. In Dubai sackte die Börse so schnell ins Minus wie seit 2008 nicht mehr. Auch in Oman, Kuwait und Saudi-Arabien verfinsterte sich der Börsenhimmel deutlich.
Wenn die erdöl-exportierenden Länder – zu denen in Europa auch Norwegen und Großbritannien gehören – weit geringere Erlöse aus dem Ölgeschäft erzielen, kann das auch andere Länder ausstrahlen und deren Wirtschaft belasten.
Erstens leiden all jene Unternehmen, die selbst Öl fördern oder Ölproduzenten mit Material und Dienstleistungen versorgen. Beispielsweise bringt der Ölpreisrutsch den norwegischen Noreco in Zahlungsnot. Ausstehende Anleihen sollen daher vollständig in Aktien umgewandelt werden, bevor dem Unternehmen zum Jahresende die Barmittel ausgehen. Die Noreco-Aktie brach um mehr als 40 Prozent ein. Das Unternehmen fördert Öl vor Großbritannien, Norwegen und Dänemark.
Zweitens sind die arabische Länder wichtige Investoren. Katar hält beispielsweise über seinen gigantischen Staatsfonds große Aktienpakete an Volkswagen und Daimler. Steigen die Öleinnahmen nicht mittelfristig wieder an, könnten die Golfstaaten als wichtige Investoren ausfallen. Im schlimmsten Fall müssten sich Staatsfonds wie der aus Katar sogar von Investments trennen. Das könnte die Börsenkurse auch hierzulande belasten.
Hinzu kommt, dass der fallende Ölpreis die Inflation drückt. Ein Rückgang des Ölpreises um zehn Dollar soll die weltweite Inflationsrate um 0,24 Prozent senken. Anders gesagt: Der Ölpreisrückgang in diesem Jahr drückt die weltweite Inflation um gut einen Prozentpunkt und schürt damit die Angst vor Deflation weiter. Dieses Umfeld bremst die Möglichkeiten von Unternehmen, ihre Preise zu erhöhen oder am Markt durchzusetzen.