WirtschaftsWoche: Herr Halver, der Dax hat am Mittwoch mit 9734 Punkten auf neuer Rekordhöhe geschlossen. Die Börse nähert sich damit bereits in der dritten Januarwoche dem – auch von Ihnen – prognostizierten Jahresziel von bis zu 10.500 Punkten. Bereitet es Ihnen Sorge, dass plötzlich alles so schnell geht?
Robert Halver: Es geht sehr schnell, aber Sorgen macht mir das nicht. Wenn der Markt einmal läuft, läuft er. Und er hat ja auch gute Gründe dafür.
Zur Person
Robert Halver, Jahrgang 1963, ist seit 2008 Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Seine Laufbahn begann er nach dem BWL-Studium als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen, später war er Wertpapierstratege beim Bankhaus Delbrück und der Schweizer Bank Vontobel. Halver ist gefragter Experte und eins der bekannten Gesichter vom Frankfurter Börsenparkett.
Welche sind das?
Es sind drei Punkte, die die Märkte beflügeln. Erstens die anhaltende Liquidität durch die Geldpolitik der Notenbanken. Da stört es auch nicht, dass die US-Notenbank Fed mit dem Tapering begonnen hat, also mit dem schrittweisen Rückzug aus den milliardenschweren Anleihenkäufen. Die Investoren sind vor allem erleichtert, dass die Ungewissheit vorüber ist. Außerdem hat die Fed ja auch gesagt, dass bei erneuter Schwäche der Konjunktur auch ein Rückschwenk auf die Gegenfahrbahn möglich ist, also eine Ausdehnung der Anleihenkäufe. Überhaupt sorgen die Europäische Zentralbank und die japanische Notenbank für Ersatzbefriedigung. Auch die jüngst in den Vordergrund gerückte Angst vor einer Deflation hat eine dramaturgische Funktion, denn sie rechtfertigt weitere Liquiditätsspritzen durch die Notenbanken. Das alles hebt die Stimmung an den Märkten. Historisch betrachtet enden Liquiditätshaussen erst bei Zinserhöhungen. Aber die Notenbanken werden an den niedrigen Zins noch sehr lange nicht rütteln.
Aber nur durch das viele Zentralbankgeld lässt sich der Kursanstieg nicht erklären. Schließlich pumpen die Notenbanken nicht erst seit gestern Geld in die Märkte.
Da komme ich zu Punkt zwei: Insgesamt wird die bisherige Liquiditätshausse oder nennen wir es Hoffnungsrally immer mehr durch positive, harte Fundamentaldaten der Konjunktur und Unternehmen unterlegt. Die Konjunkturaussichten sind so gut wie lange nicht. Und das sagt nicht nur die Weltbank, sondern eine ganze Vielzahl von Konjunkturindikatoren vom ifo-Index bis zu den Arbeitsmarktdaten aus den USA. Die vielen positiven Indikatoren können nicht alle lügen. Damit werden die Unternehmen auch Umsatzzuwächse erzielen. Apropos Unternehmen, sie verfügen über viel Liquidität. Was werden sie damit wohl tun? Sie werden ihre Dividenden erhöhen, ihre Aktien zurückkaufen, andere Unternehmen übernehmen oder generell investieren. Alles zusammen ist gut für Aktien.
Was ist der dritte Punkt, der die Märkte antreibt?
Es ist die stärkere Rotation von Anleihen in Aktien. Wer Anleihen 1981 gekauft hat, profitierte von ihnen bis ins letzte Jahr hinein, ohne einen Handschlag tun zu müssen. Doch mittlerweile haben sie ihre beste Zeit hinter sich. Wirkliche Renditeanstiege wird die schnelle Eingreiftruppe der Notenbanken verhindern. Aber schon der geringste Zinsanstieg sorgt für Kursverluste von Staatspapieren und Unternehmensanleihen. Die Rotation wird den Aktienmarkt weiter antreiben.
Verbessertes Investitionsklima
Halten Sie das aktuelle Bewertungsniveau am Aktienmarkt für fair?
Die Bewertungen sind derzeit durchaus sportlich. Das wird sich aber entspannen, wenn die Unternehmen mit verbesserten Umsatzdaten auch höhere Gewinne ausweisen. In punkto Bewertung sollten wir übrigens nicht mit zweierlei Maß messen. Wenn eine Anlageklasse überbewertet ist, dann Staatsanleihen.
Können wir die Krise denn allmählich abhaken?
Nein, die Krise ist nicht vorbei. Die Wachstumsraten für die Euro-Peripherie sind zu schwach, weil dort auf Neuverschuldung mit geldpolitischer Rückendeckung der EZB ohne klare Reformpolitik gesetzt wird. Selbsttragende, robuste Wirtschaftsaufschwünge sind damit nicht zu erzielen. Ein markanter Ansatz zur Verbesserung der Standortqualität sind Steuersenkungen. Neben der Agenda 2010-Politik haben gerade die deutlichen Unternehmenssteuersenkungen ab 1999 den Wirtschaftsstandort Deutschland maßgeblich verbessert und damit Arbeitsplätze geschaffen. Wenn also schon neue Schulden in den angeschlagenen Euro-Staaten gemacht werden, warum sollten die nicht auch zur Finanzierung von Steuersenkungen verwendet werden?
Dann werden die Euro-Länder aber ihre hohen Schulden nicht los, was doch Voraussetzung dafür ist, dass die Staaten sich wieder günstiger am Markt für Staatsanleihen refinanzieren können.
Im europäischen Vergleich liegen die Unternehmenssteuern in Frankreich und Italien an der Spitze. Senkungen auf ein wettbewerbsfähiges Niveau, wie etwa in Deutschland, würden endlich einen Ruck auslösen, ein verbessertes Investitionsklima schaffen, den Arbeitsmarkt beleben und – siehe da – zu vermehrten Steuereinnahmen führen. Anschließend kann man dann die Neuverschuldung reduzieren. Genau das sollte die Akzeptanz der wählenden Bevölkerung für diese angebotsorientierte Politik erhöhen. Nicht umsonst hat Irland seine Krise auch wegen geringer Steuern in den Griff bekommen. Es ist zu hoffen, dass der französische Staatspräsident Hollande seinen kürzlichen Steuersenkungsplänen bald Fakten folgen lässt. In der Zwischenzeit muss die EZB dafür Sorge tragen, dass die erhöhte Staatsverschuldung nicht zu Problemen an den Finanzmärkten führt. Aus dieser geldpolitischen Nummer kommen wir so schnell nicht heraus.
Comeback-Chancen für Finanztitel
Für die börsennotierten Unternehmen hat die Bilanzsaison begonnen. Welche Aktien werden denn in den kommenden Monaten besonders von der Börsenrally profitieren?
Vor allem von den Zyklikern erwarte ich verbesserte Aussichten. Profitieren werden dabei die konjunkturabhängigen Konsumwerte, die Industrieaktien und auch die Ausrüster. Denn die Investitionen der Unternehmen werden wegen verbesserter Konjunktureinschätzungen und Kriseneindämmung steigen. Vergessen sollte man aber definitiv auch die Dividendenwerte nicht, die uns einen Ersatz für fehlende Renditen im Zinsvermögen bieten. Überhaupt, während sich eine robuste Gewinnentwicklung von US-Aktienwerten aufgrund des konjunkturellen Vorsprungs der USA bereits eingestellt hat, fängt dieser Prozess für die Breite der Aktienunternehmen der Euro-Länder nach Beruhigung der Krisensymptome erst an. Die Euro-Konjunkturerholung steht im Vergleich zur US-amerikanischen erst noch am Anfang, was höhere Wachstumsraten bei Unternehmensgewinnen verspricht.
Sehen Sie auch ein Comeback der Finanztitel, die allen Skandalen zum Trotz mittlerweile mehrheitlich wieder gut im Geschäft sind?
Ein Comeback halt ich in der zweiten Jahreshälfte für möglich. Dann wird das politische Spiel „Haut den Banker“ wohl aufhören, der Stresstest für Banken durch Europäische Bankenaufsicht und EZB ist ohne große Reibungsverluste beendet und die EZB wird Liquiditätsproblemerkennung und Liquiditätsproblemlösung mit großer Fürsorge durchführen. Es wäre ja auch verrückt, wenn wir es nochmal zuließen, dass Banken derart krisengefährdet wären wie bei Ausbruch der Finanzkrise. Die Banken werden das Notwendige tun, um die Anforderungen zu erfüllen – oder haben es bereits getan.
Nachdem die Prognosen für den Dax vom vergangenen Herbst schon fast erfüllt sind: Welches Potenzial sehen sie für den deutschen Aktienmarkt noch?
In so einer Marktphase können die Analysten ständig die Prognosen anheben. Ich glaube, der Dax steigt zum Jahresende bis auf 10.500 Punkte. In der Spitze können es auch bis 11.000 Punkte werden. Aber die Anfälligkeit für Kursschwankungen wird definitiv größer als 2013 sein.
Sie rechnen also auch mit einer Korrektur?
Mit massiven Korrekturen bis zu zehn Prozent müssen Anleger rechnen – und das müssen sie aushalten. Dennoch: 2014 wird insgesamt ein guter Aktienjahrgang. Die Frage ist nicht, warum sollten Aktien steigen, sondern warum nicht.