Insiderhandel, gekaufte Aufträge, unfaire Preise Die dunkle Seite der Börse

Profis nutzen vertrauliche Informationen und moderne Technologie für verbotene Börsendeals. Warum sie anderen Aktionären damit schaden, wie Anleger sich wehren.

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Insider-Handel an der Börse Quelle: Getty Images

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Aktie im Depot deren Kurs sinkt, ohne dass es dafür einen objektiven Grund gibt. Der Aktienmarkt insgesamt sieht gut aus. Die Branche, in der das Unternehmen sein Geld verdient, brummt. Seit Monaten kommen vom Management nur positive Nachrichten. Dennoch haben Sie Zweifel: Wissen andere mehr als ich?

Prophetische Kursbewegungen
Roth & Rau Quelle: Bloomberg
Schaltbau Quelle: Bloomberg
SAP Quelle: Bloomberg

Zuletzt haben illegale Insidergeschäfte stark zugenommen. So untersuchte die Finanzaufsicht BaFin 2013 42 neue Insiderfälle, gut 50 Prozent mehr als 2012. Auch 2014 sei die Zahl der Verdachtsfälle weiter angestiegen, so die BaFin.

Das aber sind nur offiziell bekannte Fälle. Tatsächlich läuft die Aufsicht den illegalen Geschäften der Insider hinterher. Längst haben kriminelle Spekulanten technisch aufgerüstet. Im computergestützten Handel reicht ein Informationsvorsprung von Sekunden, um Gewinne abzuschöpfen. Das fällt umso leichter, wenn die Deals über anonyme Handelsplattformen abgewickelt werden.

Dass eigentlich geheime Informationen immer wieder durchsickern, liegt nahe. Zu viele Mitwisser haben in Unternehmen Zugang zu Interna: Manager, Sekretärinnen, Banken, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, Vermögensverwalter und alle Privatpersonen, die Mitarbeitern im Unternehmen nahestehen.

Selbst Politiker können eine Quelle für Insider sein. So plauderte der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Günther Oettinger auf einem Neujahrsempfang im Januar 2009 aus, dass der Softwarekonzern SAP 3000 Stellen abbauen wolle. Eigentlich sollte diese Information erst auf einer Pressekonferenz am folgenden Tag bekannt gegeben werden. Gegen Oettinger wurde wegen des Verdachts auf Insiderhandel und Verstoß gegen Meldepflichten ermittelt. Laut Aufsichtsamt BaFin sei Oettingers Geplauder jedoch nicht potenziell aktienkursbewegend gewesen; das Verfahren wurde eingestellt.

Die DSW Kapitalvernichter 2015

Insiderdeals werden längst nicht mehr nur in weinseligen Männerrunden oder bei einer Partie auf dem Golfplatz eingetütet. Die dunkle Seite des Börsenhandels hat sich professionalisiert und automatisiert.

Für ihre Deals nutzen Insider zum Beispiel Dark Pools, Handelsplattformen von Banken, bei denen Käufer und Verkäufer von Wertpapieren anonym bleiben. So lässt sich nicht nachverfolgen, wer welche Deals kurz vor Veröffentlichung einer kursbewegenden Meldung durchgezogen hat. Beispiel: Der frühere US-Hedgefondsmanager Mathew Martoma handelte über einen Dark Pool mit zehn Millionen Aktien des US-Biotech-Unternehmens Elan Corp. Zuvor hatte ihm ein Insider Informationen über die Entwicklung eines Alzheimer-Medikaments zugesteckt. Der Fonds von Martomas damaligem Arbeitgeber SAC Capital Advisors soll mit dem Deal 276 Millionen Dollar verdient haben. Leidtragende waren alle Elan-Aktionäre, die diese Information nicht hatten und so gesehen zu billig an Martoma verkauften. Martoma selbst konnte sich nicht lange über den Deal freuen. Im vergangenen Jahr verurteilte ihn ein US-Gericht zu neun Jahren Haft wegen Insiderhandels.

Fondsmanager ausgebremst

Auch in Deutschland bremst der Handel über Dark Pools andere Anleger aus. Bei einem Frankfurter Fondsmanager sitzt der Frust tief. Anfang November vergangenen Jahres sieht er die Chance, günstig Aktien des Autovermieters Sixt einzusammeln. An der Börse bekommt er weit weniger, als er will. Über Wochen muss er zu weiter steigenden Preisen nachkaufen. Hinterher habe er erfahren, dass sich andere Profis schneller und günstiger über einen Dark Pool eingedeckt haben. Wahrscheinlich wussten sie mehr, denn am 22. November meldete Sixt positive Zahlen fürs dritte Quartal, die Aktie stieg.

Dank leistungsfähiger Computer reichen heute schon Sekunden, um mit Insiderwissen Gewinne abzuschöpfen.

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Als der Softwarekonzern SAP am 12. Januar um 16.06 Uhr verbreitete, dass das Geschäft mit externen Speichern für große Datenmengen in Europa besser lief als erwartet, waren die Zahlen bereits sechs Minuten vorher in den USA durchgesickert. Ein findiger Anleger hatte sich um 16.05 Uhr an der Frankfurter Börse mit mehreren Tausend SAP-Aktien eingedeckt und sie kurz nach der Meldung wieder gewinnbringend verkauft.

Bei den Walldorfern besteht nicht zum ersten Mal der Verdacht, dass Insider illegal Gewinne gemacht haben. Bereits Ende der Neunzigerjahre untersuchte die Finanzaufsicht verdächtige Transaktionen mit SAP-Aktien. 1998 stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Geldauflage ein Verfahren gegen mehrere SAP-Manager ein.

Von Hackern ausgetrickst

Mitunter ist gar kein Insider mehr nötig, um kriminellen Spekulanten Informationen zu verschaffen.

n So deckte die US-Börsenaufsicht SEC auf, dass ein ukrainischer Hacker beim IT-Dienstleister IMS Health geheime Informationen abgeschöpft hatte. Dessen interne Zahlen waren schlechter als die öffentlich bekannten. Kurz nachdem er an die Daten gekommen war, wettete der Hacker auf einen Kurseinbruch von IMS Health. Die Aktie brach am nächsten Tag um 28 Prozent ein, und der kriminelle Spekulant verdiente 580 000 Dollar.

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n Auf eine wahre Goldmine stießen Spekulanten aus Estland, die in das Computersystem von Business Wire eindrangen. Das zu Warren Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway gehörende US-Unternehmen verteilt kursrelevante Mitteilungen börsennotierter Unternehmen, etwa zur Gewinnentwicklung oder geplanten Übernahmen. Durch den Hackerangriff kamen die beiden Esten an die Informationen, bevor sie öffentlich wurden.

n Nach einer Studie des US-Sicherheitssoftwareherstellers FireEye soll eine Hackergruppe seit 2013 systematisch E-Mail-Konten von Führungskräften börsennotierter US-Pharmaunternehmen ausgespäht haben. Dabei soll es sich auch um Informationen über geplante Firmenübernahmen oder laufende Rechtsstreitigkeiten gehandelt haben. FireEye glaubt, dass die Täter gezielt nach Daten gesucht haben, die sich für illegale Insidergeschäfte an der Börse nutzen lassen.

Viel zu häufig kommen Insider ungeschoren davon. Entweder weil sie ihre Spuren zu gut verwischt haben oder weil Finanzaufsicht und Justiz vor den komplexen Verfahren zurückschrecken. Maximal in jedem dritten Verfahren, in dem deutsche Staatsanwaltschaften wegen Insiderhandels ermittelten, kam es zu einer strafrechtlichen Verurteilung, in der Regel wird eingestellt, häufig gegen eine Geldbuße.

Diese Aktien erschüttern die Börse

Selbst wenn es handfeste Indizien gibt, bleibt es oft nur bei einem Verdacht. Beispiel: Eine Mitarbeiterin des Softwareunternehmens IDS Scheer wusste wenige Tage vorher von der bevorstehenden Übernahme des Unternehmens durch die Software AG. Ihr Lebensgefährte kaufte bis zur Bekanntgabe der Übernahme im Schnitt für elf Euro IDS-Aktien. Weil Software AG 15 Euro je Aktie bot, konnte er die Aktien mit hohem Gewinn losschlagen. Einen Beweis, dass er sich das Insiderwissen seiner Partnerin zunutze gemacht hat, gab es nicht. Die beiden wurden in einem Gerichtsverfahren freigesprochen.

Timing suboptimal

Zumindest rätselhaft bleibt der Fall des Verkehrstechnikherstellers Schaltbau. Am 20. November vergangenen Jahres, einem Donnerstag, gab das Unternehmen bekannt, Aktien zurückkaufen zu wollen (siehe Grafik Seite 85). Der Kurs stieg. Erst am folgenden Samstag, als die Börsen geschlossen waren, erreichte die Anleger eine Gewinnwarnung von Schaltbau, am nächsten Börsentag brach der Kurs ein. Früher hätten die neuen Zahlen nicht vorgelegen, so Schaltbau. Das Timing war suboptimal. Wer schon am 20. November alles wusste, hätte Gewinne mitnehmen können. Die BaFin fand jedoch keine Hinweise auf illegale Deals.

Wohnungen durchsucht

Weiter kamen die Ermittler im Fall des Maschinenbauers Roth & Rau und der Schweizer Bank Credit Suisse. 150 Polizisten und 20 BaFin-Beamte durchsuchten Wohnungen und Büros in Deutschland — unter anderem die Deutschland-Zentrale von Credit Suisse. Vorwurf: Ein Bankmitarbeiter und weitere Beschuldigte sollen im Zusammenhang mit der Übernahme von Roth & Rau durch den Schweizer Konzern Meyer Burger 2011 Insiderhandel betrieben haben. Credit Suisse hatte Roth & Rau damals beraten. Bereits vor dem Übernahmeangebot durch Meyer Burger am 11. April 2011 war die Aktie von Roth & Rau um 50 Prozent gestiegen. Insider, die von der geplanten Übernahme Wind bekommen hatten, sollen vor dem 11. April große Aktienpakete gekauft haben.

Die Folgen eines „Grexits“
Das Nationalgetränk der Griechen droht für einen normalen Arbeiter zum unbezahlbaren Luxusgut zu werden: Ein Frappé, also eine Nescafé mit Milch, Eiswürfeln und einem Strohhalm kostete kurz vor der Einführung des Euro etwa 100 Drachmen. Das entsprach damals rund 30 Euro-Cent. Als die Griechenland-Krise ausbrach, vor etwa sieben Jahren, kostete ein Frappé bereits zwischen 2,50 und drei Euro. Quelle: dpa
Noch im Laufe des Aprils muss Griechenland zwei Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Mai werden weitere 2,8 Milliarden Euro fällig, von Juni bis August muss Athen noch einmal mehr als zwölf Milliarden Euro an Schulden zurückzahlen. Woher das Geld kommen soll, ist völlig unklar. Quelle: dpa
Die sozialen Probleme sind groß, die Renten wurden gekürzt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Regierung Tsipras plant deshalb Steuererleichterungen und die Wiedereinstellung von Beamten. Allein diese Maßnahmen werden im laufenden Jahr nach Berechnungen der griechischen Regierung mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich kosten. Quelle: dpa
Schon seit Wochen ist von einem „Grexit“ die Rede, dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, vielleicht sogar verbunden mit einem drastischen Schuldenschnitt. Hinter der öffentlichen Spekulation könnte Absicht stecken. Quelle: ap
Würde eine neu eingeführte Drachme gegenüber dem Euro abwerten, könnte sich die griechische Regierung nach und nach leichter entschulden. Ein Austritt der Griechen aus dem Euro böte auch noch andere Vorteile: So würde die griechische Export-Wirtschaft von einer Abwertung der Landeswährung profitieren. Quelle: dpa
Besonders teuer würde ein „Grexit“ für Menschen mit geringem Einkommen und den Mittelstand mit Sparguthaben auf  griechischen Bankkonten, während das Geld reicher Griechen im Ausland unangetastet bliebe. Quelle: dpa
Die Gläubiger werden so oder so auf Reformen beharren. Für Tsipras kommt es deshalb eigentlich nur darauf an, seinen eigenen Wählern gegenüber eine möglichst gute Figur in den Verhandlungen abzugeben. Das gilt allerdings auch für seine europäischen Partner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Für alle Beteiligten ist es wichtig, dass eine Lösung der griechischen Haushaltsprobleme möglichst wenige Kollateralschaden verursacht. Quelle: dpa

Derzeit würden die Ergebnisse der Durchsuchungen noch ausgewertet, so die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Mit einer schnellen Entscheidung, ob Anklage erhoben wird, sei aber nicht zu rechnen.

Insidergeschäfte sind in der EU verboten. Wer sich schuldig macht, muss schlimmstenfalls mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe rechnen. Meist jedoch kommen die Verdächtigen mit einer Geldauflage davon. Das heißt, sie sind nicht vorbestraft.

So stellte die Staatsanwaltschaft Köln im August 2013 das Verfahren gegen einen Manager des Immobilienunternehmens Vivacon ein. Er musste lediglich 320 000 Euro als Geldauflage zahlen. Den Betrag konnte er verschmerzen. Schließlich hatte er über eine Beteiligungsgesellschaft, die ihm gehörte, kurz vor einer Gewinnwarnung rund 350 000 Vivacon-Aktien verkauft. Der Deal hatte ihm Verluste in sechsstelliger Höhe erspart.

Gefängnisstrafen oder Geldbußen treffen zwar die Insider. Anleger, die durch Insidergeschäfte geschädigt wurden, etwa zu billig verkauft oder zu teuer gekauft haben, bekommen jedoch nicht ihr Geld zurück. Schadensersatz gibt es in der Regel nur, wenn der Anleger nachweisen kann, dass er von den Insidern vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde. Da Insider in der Regel nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind, ist es nahezu unmöglich, eine solche Absicht nachzuweisen.

Der Analyst Martin Armstrong wagt mit Computermodellen präzise Aussagen über Börsencrashs. Im Dokumentarfilm „The Forecaster“ wird sein Leben gezeigt. Armstrong rechnet derweil den Termin des nächsten Crashs aus.

Schweigen kann teuer werden

Anders ist es, wenn das Unternehmen die Aktionäre nicht rechtzeitig über eine möglicherweise kursbewegende Nachricht informiert hat. Beispiel: Der Autokonzern Daimler meldete im Juli 2005, dass der damalige Vorstandschef Jürgen Schrempp abgelöst wird. Daraufhin machte die Daimler-Aktie einen Satz nach oben. Später kam raus, dass Schrempp bereits zwei Monate vorher dem Aufsichtsrat signalisiert hatte, dass er gehen wolle. Dieses Wissen hätten Insider nutzen können. Anleger Markus Geltl, der seine Daimler-Aktien vor dem vom Schrempp-Rücktritt ausgelösten Kurssprung verkauft hatte, klagte gegen den Autobauer auf Schadensersatz.

Was ihm helfen dürfte: Sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass Unternehmen ihre Aktionäre nicht nur über vollendete Tatsachen, sondern auch über Zwischenschritte informieren müssen. Demnach hätte Daimler die Aktionäre bereits im Mai 2005 und nicht erst im Juli über Schrempps Abgang aufklären müssen.

Derzeit liegt der Fall wieder beim Oberlandesgericht Stuttgart. Eine Entscheidung soll frühestens im Herbst fallen.

Schadensersatz wegen einer zu spät veröffentlichten kursrelevanten Meldung ist laut Gesetz möglich, wenn ein Unternehmen kursbewegende Meldungen zu spät veröffentlicht und der Anleger deswegen zu teuer gekauft oder zu billig verkauft hat. „Wie viel die Aktionäre in solchen Fällen anSchadensersatz erhalten, liegt auch im Ermessen des Richters“, sagt Kai König, geschäftsführender Gesellschafter der Kanzlei Dornbach in München.

Ob die Daimler-Aktionäre entschädigt werden oder nicht, ist deshalb noch ungewiss. Noch argumentiert Daimler, dass der Konzern gar nicht verpflichtet gewesen sei, die Personalie Schrempp bereits im Mai 2005 zu melden.

Vorbildlich ist das nicht: Solange kursrelevante Informationen monatelang im Unternehmen ihre Kreise ziehen dürfen, wird es immer Insider geben, die das ausnutzen und auf die dunkle Seite der Börse wechseln.

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