Riedls Dax-Radar

Der Dax könnte bald seinen Zenit überschreiten

Im Dax droht eine große Top-Bildung. Risiken im Depot zu begrenzen und beweglich zu bleiben – das ist jetzt das Wichtigste für Anleger.

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Eine Hand mit Geldmünzen Quelle: gilles lougassi - Fotolia

Die Turbulenzen an den Aktienmärkten, die wirtschaftliche Schwäche in den Schwellenländern und der extrem niedrige Ölpreis haben die Europäische Notenbank bewogen, zunächst nichts an der Zinsfront zu unternehmen, jedoch für März mögliche Optionen vorzubereiten. Sollten sich die bisherigen Krisenfaktoren manifestieren, dann könnte es im Frühjahr eine kleine Zinssenkung durch die EZB inklusive weiterer Lockerungsmaßnahmen geben. Allein dass Draghi diese Möglichkeit angedacht hat, lässt die Kurse an den Aktienmärkten nach scharfer Talfahrt nach oben schnellen.   

Wieder einmal steht die Notenbank an einem – zunächst kurzfristigen – Wendepunkt des Marktes. Die Kurse haben nach der EZB-Sitzung so mächtig aufgedreht, weil Draghi deutlich signalisiert hat, dass er die Märkte nicht allein lässt. Das ist wieder der alte Nexus, auf den die Anlegergemeinde in der Hausse gebaut hat: Wenn es eng wird, haut uns die Notenbank raus. 

Alle Dax-Aktien im Check für 2016

Der aktuelle Anstieg ist umso bemerkenswerter, da er sicherlich in Übersee mit scharfen Augen beobachtet wurde. Die Fed dürfte sehr wohl bemerkt haben, dass zwar ihre erste kleine Zinserhöhung den Märkten nicht geschadet hat, dass aber die Ankündigung möglicher weiterer Schritte durchaus zu Irritationen führte. So gesehen wäre es möglich, dass die Fed beim nächsten Mal sogar der Linie der EZB wieder näher kommt und nicht einfach ihren Zinswendezyklus durchzieht – gerade weil es in den vergangenen Tagen auch die amerikanischen Märkte ziemlich schwer erwischt hat.

Der Euro ist stärker als sein Ruf

Interessant ist in diesem Zusammenhang die relative Stärke des Euro. Obwohl es in Europa mit dem Thema Migration und neue Eigenständigkeit in Ländern wie Polen und Ungarn wahrlich Belastungen gibt und auch die europäische Wirtschaft (bis auf die deutsche) keineswegs vor Kraft strotzt, ist der Euro erstaunlich stabil. Im Vergleich zu den wichtigsten Währungen der Industrieländer hat er sich in den vergangenen Monaten gut geschlagen, gegenüber den Schwellenländerwährungen hat er sogar mächtig gewonnen.

Was Analysten für das Anlagejahr 2016 erwarten
Deutsche Bank Quelle: REUTERS
Deka BankDie Fondsspezialisten der Sparkassen erwarten, dass der Goldpreis im kommenden Jahr deutlich unter die kritische Marke von 1000 Dollar fallen wird. S&P 500: 2000 Punkte Nikkei: 17000 Punkte Gold: 960 Dollar Öl: 57 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen 10 Jahre: 1 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,9 Prozent Quelle: dpa
PostbankIm Gegensatz zur Deka Bank ist die Postbank beim Goldpreis etwas optimistischer. Ein möglicher Impuls kommt von der Schmucknachfrage, da die Konjunktur in Indien zuletzt deutlich besser lief als erwartet. S&P 500: 2250 Punkte Nikkei: 21750 Punkte Gold: 1100 Dollar Öl: 57 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen Rendite 10 Jahre: 1,0 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,75 Prozent Quelle: dpa
Berenberg BankDeutschlands älteste Privatbank ist im Vergleich zur Konkurrenz vergleichsweise optimistisch, was den Euro angeht. S&P 500: 2200 Punkte Gold: 1150 Dollar Öl: 55 Dollar Euro/Dollar: 1,15 Dollar Bundesanleihen 10 Jahre Rendite: 1,1 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,8 Prozent Quelle: obs
SantanderS&P 500: 2250 Punkte Gold: 1050 Dollar Öl: 55 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen Rendite 10-jährige: 0,9 Prozent US-Treasury Rendite 10-jährige: 2,75 Prozent Quelle: AP
Credit Suisse Quelle: REUTERS
Commerzbank Quelle: dpa

Im Gegensatz zum gern verbreiteten Euro-Bashing ist der Euro bei Investoren keineswegs unten durch, sondern – natürlich zusammen mit dem Dollar – die wichtigste internationale Ankerwährung. Sogar der Schweizer Franken hat nach der Freigabe vor genau einem Jahr seine Stärke nicht mehr ausgebaut, sondern gegenüber dem Euro Boden verloren.

Die relative Stärke des Euro könnte auch damit zusammenhängen, dass die Märkte mittlerweile nicht mehr mit einer substanziellen Zinserhöhung in den Vereinigten Staaten rechnen, sondern eher damit, dass der bisherige Zinsvorteil in etwa bestehen bleibt. Das wäre sowohl wichtig für die US-Wirtschaft, die angesichts der Schwellenländerkrise unbedingt im Tritt bleiben muss – und mit einem stabilen Dollar-Euro-Verhältnis können natürlich auch die Europäer leben.

Dass derzeit der Renminbi im Zuge der chinesischen Wirtschaftsprobleme an Glanz verliert, kommt den Währungen der Industrieländer zugute, vor allem Dollar, Euro und Pfund. Und langfristig ist das auch für die anderen in Dollar und Euro notierten Assets kein Nachteil, also für deutsche sowie amerikanische Anleihen und Aktien.

Im Ölpreis könnte es langsam eine Stabilisierung geben

Vor einer Woche wurde hier an dieser Stelle beschrieben, dass knapp unter 30 Dollar je Fass für den Ölpreis eine theoretische Zielzone der Baisse liegt. Nun haben die Brentnotierungen, nachdem sie dreimal den Boden bei 28 Dollar getestet haben, einen kleinen Sprung nach oben vollzogen. Damit ist natürlich der scharfe Abwärtstrend, der seit Mitte 2014 läuft, nicht einfach beendet. Dennoch sollte man diese Kursbewegung gut im Auge behalten, weil sie mitten in einem Umfeld stattfindet, in dem viele Preisprognosen jetzt schon fest von 20 Dollar und weniger ausgehen.

Noch ist das Überangebot auf dem Ölmarkt enorm. Und durch die Entspannung mit dem Iran dürfte weiteres Öl auf den Markt kommen. Dass Saudi Arabien mittlerweile immer mehr in Bedrängnis kommt, dürfte dem großen Rivalen Iran nicht verborgen bleiben. Die Aussicht auf iranisches Öl ist ein Hauptgrund dafür, dass der Ölpreis mittel- bis langfristig nicht mehr so schnell auf seine alten Höhen vordringt.

Auf der anderen Seite dürfte es in den nächsten Wochen zunehmend Signale dafür geben, dass die Produktion nachlässt. In der amerikanischen Ölindustrie herrscht mittlerweile schwere Krisenstimmung. Investitionskürzungen, Entlassungen und der Verzicht auf neue Erschließungen werden sich früher oder später auch an den Märkten niederschlagen.

Diesen Öl-Konzernen laufen die Anleger weg

So, wie es erst mit langer Zeitverzögerung nach dem Förderboom aus Schiefergestein zum Preisverfall kam, wird es früher oder später zumindest eine Teilerholung geben. Sollte der Ölpreis wiederum in klassischer Weise 38 Prozent seiner vorangegangenen Bewegung (also der Baisse von 115 auf 28, gleich 87 Dollar) aufholen, so ergäbe dies theoretisch einen Anstieg um 33 Dollar auf 61 Dollar. Dann wäre der Ölpreis übrigens gar nicht so weit von dem Durchschnitt entfernt, den die EZB bisher in ihren Rechnungen angenommen hat: 52 Dollar.

So oder so: Die Anzeichen mehren sich, dass der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau nicht mehr widerstandlos nach unten durchrutscht. Dynamische Erholungen sind Kennzeichen einer typischen Bodenbildung. Das durchschnittliche Niveau der Ölnotierungen indes wird auf Monate hinaus ziemlich niedrig bleiben.

Paradigmenwechsel an der Börse?

Im Dax kam es, als vor einer Woche der Kampf um die Zone um 9800 Punkte verloren ging, zu einer schnellen Abwärtsbewegung bis 9256. Seit der EZB-Sitzung und mit der Stabilisierung der Ölpreise läuft eine Gegenbewegung, die bisher an das Niveau um 9800 gekommen ist. Hier dürfte die nächste Entscheidung bevorstehen: Kommt der Dax wieder nachhaltig über die Zone um 9800 (also am besten gleich über 10.000), wäre die akute Gefahr eines schnellen Durchrutschens erst einmal gebannt.

Immerhin: Geht es nach der durchschnittlichen zeitlichen Ausprägung der kurzfristigen Marktbewegungen, wäre sogar eine mehrwöchige Erholung nicht abwegig: August und September zwei Monate Rückschlag, Oktober und November zwei Monate Anstieg, Dezember und Januar zwei Monate Rückschlag.  

Das Problem dabei ist allerdings, dass der Abschwung durch die schwachen vergangenen Wochen an Breite zugenommen hat. Als Superinvestor Warren Buffett vor gut einem Jahr frühzeitig seine große Position in Exxon räumte, zeigte er wieder mal feinsinniges Gespür. Allerdings kaufte er mit dem Geld IBM-Aktien – und die sind seitdem ebenfalls kräftig gesunken, zuletzt sogar noch stärker als Exxon. Wenn Buffett schon solche Rückschläge hinnehmen muss, wie traurig sieht es dann erst in den Depots ganz normaler Privatanleger aus?

Trotz der jüngsten kurzen Erholung verlaufen bei 77 Prozent der Dax-Werte und 80 Prozent der Dow-Aktien die aktuellen Notierungen unterhalb der 200-Tage-Linie. Selbst wenn die Erholung im Index noch etwas weiter geht, zeigt der breite Markttrend mittlerweile ziemlich hartnäckig nach unten. Die Gefahr ist groß, dass die jüngsten Kursrückschläge nicht einfach wie in den vergangenen Jahren eine Korrektur im langen Aufwärtstrend sind, sondern dass sie womöglich eine längere Baisse einleiten könnten.

Bis zum 17. Dezember 2015 war der Dax Radar an dieser Stelle von einem positiven Grundton getragen. Diese positive Grundeinschätzung ging über den Jahreswechsel verloren: Am 8. Januar wurde auf die drohende Gefahr hingewiesen („ganz knapp für den Dax“), am 15. Januar vor Baisse und weiteren Kursrückschlägen gewarnt.

Noch ist die große Baisse nicht Fakt. Im Dow Jones sieht das Kursbild seit Mitte 2013 zwar schon sehr nach einer klassischen Distributionsphase aus, nach einem Rounding Top, einer Kopf-Schulter-Formation oder wie immer man solche Kursbilder auch bezeichnen mag. Doch selbst wenn es wirklich auf eine große obere Wende hinauslaufen sollte, kann es noch Monate dauern, bis diese Wende endgültig komplettiert wird.

Es gibt dabei auch nicht einfach eine bestimmte Kursmarke, ab der eine solche weitreichende Entscheidung gefallen ist. Gerade der Dow Jones und der amerikanische Aktienmarkt sind bekannt dafür, dass plötzlich massive Käufe (wer immer solche konzertierte Aktionen auch anzetteln mag) schwer angeschlagene Märkte am Ende einer Sitzung oder einer Woche wieder nach oben ziehen. Diese Käufe sind eine Art Spiegelbild zur geldpolitischen Schützenhilfe der Notenbanken.

Fazit: Die Situation ist so brisant, dass derzeit die Begrenzung der Risiken absoluten Vorrang hat. Es geht jetzt nicht um „Schnäppchen“ oder „billige“ Aktien, sondern darum, Vermögen möglichst zu erhalten und gleichzeitig beweglich zu bleiben. Denn wenn der Markt wirklich in eine Baisse kippt, ist das nicht einfach mit ein paar Wochen Kursrückgang abgehakt. Und dass der Markt in seiner desolaten Verfassung einfach wie in den Jahren 2009 bis 2015 immer wieder neue Höhen markiert, ist bis auf weiteres wenig wahrscheinlich.  

Gefährliche Spekulation gegen den Strom

Zu den größten Gewinnern im Dax gehörten in den vergangenen Tagen RWE-Aktien. Mutige Spekulanten vertrauen offensichtlich darauf, dass RWE seine Kraftwerke in den nächsten Jahren weiter betreiben kann, zudem gibt es neue Hoffnung durch den angekündigten Börsengang der Sparte erneuerbare Energien. Gerade in kritischen Börsenzeiten wie diesen, in denen Aktien reihenweise nach unten kippen, stoßen Aktien, die schon tief gefallen sind, auf großes Interesse.

Ob RWE allerdings auch nach den bisher hohen Verlusten wirklich schon unten sind, ist eine offene Frage. Operative Fortschritte sind nicht zu erkennen. Wenn man den Gewinn des vergangenen Jahres um besondere Verkaufserlöse bereinigt, dürfte deutlich weniger übrig geblieben sein als im schon schwachen Jahr 2014.

Obwohl es natürlich gut klingt, über das Wachstum erneuerbarer Energien zu schwadronieren, kommt der Löwenanteil der Stromproduktion aus klassischen Kraftwerken, also aus Atom, Kohle und Gas. Angesichts niedriger Öl- und Gaspreise gibt es allerdings wenig Hoffnung, dass der langjährige Strompreisverfall sein Ende findet. Immer mehr Kraftwerke sind unrentabel – dazu kommen die Belastungen des Rückbaus.

Rund 400 Millionen Euro hat RWE im vergangenen Jahr operativ im Geschäft mit erneuerbaren Energien verdient. Das ist, gemessen am Umsatz, ein durchaus achtbarer Wert. Den Weg hier entschlossen weiter zu gehen, ist sicherlich nicht falsch, wahrscheinlich sogar die einzige Überlebensmöglichkeit für RWE.

Nur, ob sich das gleich lohnend in RWE-Aktien niederschlägt, ist wenig wahrscheinlich. Wenn das Geschäft mit erneuerbaren Energien weiter wächst und noch etwas dazugekauft wird, könnten im nächsten Jahr vielleicht 500 Millionen Euro operativer Gewinn zusammenkommen. An der Börse könnte dann eine fünf- bis sechsfache Ebitda-Bewertung durchaus bis zu drei Milliarden Euro Marktkapitalisierung ergeben. Da RWE aber nur zehn Prozent davon verkauft, wären das 300 Millionen Euro Erlös. Das ist wenig für einen Konzern, der früher einmal an die 50 Milliarden Euro Umsatz machte. Es wahrscheinlich nicht einmal für eine Dividendenzahlung in mittlerer Höhe.

RWE-Aktien mögen zwischendurch immer wieder einmal hochgepusht werden, weil sechs oder sieben Milliarden Euro Börsenwert für so ein riesiges Unternehmen natürlich nicht viel sind. Doch riesig sind eben auch die Probleme: Von den Altlasten für Kraftwerke über 26 Milliarden Euro Schulden bis hin zu den kommunalen Aktionären, deren Wunsch nach dicker Dividende so gar nicht zur notorischen Kapitalknappheit von RWE passt.

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