Der aktuelle Höhenflug beim Ölpreis kennt kein Ende. Am Mittwoche verteuert sich ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zeitweise um mehr als 50 Cent auf 61,50 Dollar und kostet damit so viel wie seit zwei Jahren nicht mehr. Es scheint, als kann die Industrie dem Abschwung der vergangenen Jahre endgültig entkommen.
Den jüngsten Schub lieferten Zahlen aus den USA. Laut dem Öl-Branchenverband API haben sich die Öllager in der vergangenen Woche um fünf Millionen Barrel entleert. Die offizielle Schätzung der Energiestatistikbehörde EIA rechnet zwar nur mit knapp der Hälfte – der positiven Grundstimmung am Markt konnte dies aber nur einen kurzen Dämpfer verpassen.
Seit Wochen steigt der Preis für Öl. Allein im Oktober ging es um knapp sieben Prozent nach oben. Zugeschrieben wird das nicht zuletzt der Förderkürzung der Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) gemeinsam mit zehn Nicht-Opec-Staaten wie Russland. Bei dem seit Beginn des Jahres laufenden Abkommen haben sich die Produzenten abgesprochen, dem Markt täglich 1,8 Millionen Barrel Öl weniger zu liefern als im Oktober 2016.
Fakten zum Rohölpreis
Die Fachleute unterscheiden zwischen Reserven und Ressourcen. Reserven sind Rohstoffe, die mit heutigen Mitteln wirtschaftlich gefördert werden können, also zum Verbrauch zur Verfügung stehen. Ressourcen sind weitere Vorkommen eines Rohstoffs in der Erdkruste, die aber noch nicht zugänglich sind. Die Ölreserven betragen, je nach Quelle, ungefähr 220 bis 240 Milliarden Tonnen, davon etwa ein Fünftel aus unkonventionellen Quellen wie Schieferöl und Ölsände. Den bisherigen Verbrauch seit Beginn des Ölzeitalters beziffert die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) auf 175 Milliarden Tonnen.
Bei heutigem Verbrauch noch mehr als 50 Jahre. Die Nachfrage und der Verbrauch werden jedoch in den nächsten Jahrzehnten zunehmen. Öl ist mit einem Anteil von einem Drittel der wichtigste Energieträger. Damit hat es zwar relativ an Bedeutung verloren; vor 40 Jahren hat Öl noch fast die Hälfte des weltweiten Energieverbrauchs abgedeckt. Aber der Energieverbrauch steigt weltweit weiter an und damit auch der Ölverbrauch. Nach der Prognose von BP erhöht er sich bis 2035 von heute 90 auf 109 Millionen Barrel pro Tag. Andere Prognosen sind niedriger, die Internationale Energie-Agentur (IEA) rechnet mit 104 Millionen Barrel bis 2040.
Da streiten die Gelehrten. Es gibt zwei Denkschulen. Die Anhänger der Peak-Oil-Theorie gehen davon aus, dass bei konventionellem Öl bereits das Fördermaximum erreicht ist und nur mit teuren unkonventionellen Methoden wie Fracking von Ölschiefer und Förderung von Ölsänden noch Produktionssteigerungen möglich sind. „Nur Nordamerika trug in den Jahren seit 2005 überhaupt zu einer Steigerung der globalen Ölförderung bei. Ohne Berücksichtigung der USA und Kanada ist die Welt bereits seit neun Jahren auf dem Ölfördergipfel“, heißt es auf einer Internet-Seite der Peak-Oil-Fraktion. Sie sieht stark steigende Ölpreise bereits vor 2020 voraus.
Die Peak-Oil-Theorie hat eher an Zustimmung verloren; auch weil ihre Befürworter den Zeitpunkt für den Ölgipfel schon mehrfach verschieben mussten. „Die Dinge stehen nicht still in der Energieindustrie“, sagt Daniel Yergin, einer der weltweit führenden Ölexperten. Durch technische Innovation könnten immer neue Ressourcen entwickelt und zu förderbaren Reserven werden. Für jedes geförderte Fass Öl würden so 1,5 neue Fässer den Reserven hinzugefügt. Yergin erwartet, dass sich die Ölförderung gegen Mitte des Jahrhunderts auf einem Plateau befindet, ehe dann die Förderung und die Nachfrage langsam nachgeben.
Der Wissenschaftler Leonardo Maugeri hat bereits 2012 eine Ölschwemme und fallende Preise ab 2015 vorhergesagt, weil die Kapazitäten zur Ölförderung auf der Angebotsseite erheblich ausgeweitet würden. „Der Schiefergas-Ölboom in den USA ist keine Blase, sondern die wichtigste Revolution im Ölsektor seit Jahrzehnten“, schrieb er in einer Studie. Es gebe enorme Mengen von konventionellem und unkonventionellem Öl, das zum Teil noch gar nicht entdeckt sei. Ein Fördergipfel, ein Peak-Oil, sei nicht in Sicht. So ist es gekommen. Es gibt Öl im Überfluss und die Preise sind verfallen. Das Förderkartell Opec hat sich vorläufig selbst aus dem Spiel genommen und will den Ölhahn nicht mehr zudrehen. Sondern ganz marktwirtschaftlich versuchen, seine Kostenvorteile bei der Förderung auszuspielen.
Kurzfristig ist der Ölpreis einer Vielzahl von verschiedenen Einflüssen ausgesetzt, von Kriegen oder Krisen über Handelsembargos und Finanzspekulation bis hin zu Naturkatastrophen und Wetterverhältnissen. Diese kurzfristigen Preisschwankungen kann niemand vorhersehen. Mittelfristig erwarten die meisten Experten eine Periode mit eher gemäßigten Preisen und gut versorgten Märkten für mehrere Jahre. Es gibt allerdings auch Gegenstimmen, die bereits jetzt Rohöl für deutlich unterbewertet halten und vor einem Preisanstieg warnen, etwas bei den Bankanalysten. Die BGR vertritt einen mittleren Kurs. Erdöl, so die Behörde, sei der einzige Energierohstoff, bei dem sich eine Limitierung abzeichnet.
Gelang es dem Kartell in der Vergangenheit kaum, derartige Vereinbarungen umzusetzen, funktioniert es heute gut. Laut einer Reuters-Umfrage stieg die Umsetzungsquote im Oktober auf 92 Prozent. Vor allem der Irak, der drittgrößte Opec-Produzent und bis dato bedeutendste Nachzügler, was die Umsetzung angeht, konnte deutlich zulegen. Die Analysten der Commerzbank schreiben dies jedoch den Lieferunterbrechungen aufgrund des Kurdenkonflikts im Norden des Landes zu. „Dies dürfte aber kaum von Dauer sein“, schreiben die Commerzbank-Experten in einem Kommentar.
Trotzdem glauben auch sie: „Die selektive Wahrnehmung der Marktteilnehmer dürfte die Ölpreise zunächst weiter steigen lassen.“ Zuletzt gab es eine schiere Flut an ölpreistreibenden Nachrichten: Neben den zuletzt wöchentlich fallenden Lagerbeständen in den USA sind das immer wieder Erfolgsbotschaften der Förderkürzung. Vor wenigen Tagen betonte Opec-Generalsekretär Mohammed Barkindo, dass die Nicht-Opec-Staaten ihren Zusagen gänzlich nachkämen.
Nun steht offenbar einer Verlängerung der im März 2018 auslaufenden Förderkürzung kaum noch etwas im Wege. Nach Russland zeigte sich nun auch Saudi-Arabien offen dafür. Den zwei größten Ölproduzenten der Welt, die gemeinsam für etwa ein Fünftel der Förderung stehen, geben ihren Allianzpartnern damit einen klaren Weg vor. Am 30. November treffen sie sich in Wien, um das weitere Vorgehen zu beschließen.
Investitionen in Volumen von einer Billion Dollar gestrichen
Werden Öl und die daraus verarbeiteten Produkte wie Heizöl, Benzin oder Diesel damit teurer und teurer? Einen unaufhaltsamen Ausbruch nach oben müssen Verbraucher offenbar nicht befürchten. Analysten wie Jan Edelmann von der HSH Nordbank glauben, dass eine Verlängerung der Förderkürzungen bereits eingepreist sind. Mit seiner Einschätzung steht er nicht allein da.
Das Gros der von Bloomberg erfassten Analysten rechnet für Ende dieses Jahres mit einem Preis von 54 Dollar je Barrel – also deutlich weniger als heute. Im kommenden Jahr droht aufgrund neu an den Markt kommender Großprojekte und Schieferölquellen erneut ein Überangebot, das den Preisauftrieb im Zaum halten sollte.
Statt sich über die zuletzt gestiegenen Ölpreise zu sehr zu ärgern, können sich Verbraucher mit einem Ausblick trösten: Möglicherweise entgehen sie so einem Preisschock nach 2020. Denn auf absehbare Zeit wird die Nachfrage weiter steigen. Nach dem Preiseinbruch nach 2014 haben Ölkonzerne aber kaum noch in neue Projekte investiert.
Laut einer Analyse der Energieberatungsfirma Wood Mackenzie haben sie Investitionen in Höhe von einer Billion Dollar gestrichen. Schon seit längerem mahnt Internationale Energieagentur deshalb vor einer Ölknappheit in Zukunft.
Nötig sind nicht nur neue Felder. Auch ein Teil der aktuellen Förderung muss ständig erneuert werden. Je leerer ein großes Ölfeld wird, desto geringer wird auch der Druck. Und mit ihm fällt die Produktion. Diese sogenannte „Decline Rate“ – also die Rückgangsrate – liegt bei rund fünf Prozent. Jährlich müssen bei der derzeitigen Produktion von knapp 97 Millionen Barrel also allein vier bis fünf Millionen Barrel ersetzt werden.
Der Ölpreisanstieg hat insofern auch sein Gutes für Verbraucher: In diesem Jahr rechnen die Experten erstmals seit dem Preiseinbruch nach 2014 wieder mit einem steigenden Investitionen in neue Ölförderprojekte. Ein Preisschock in den kommenden Jahren lässt sich noch vermeiden.