Wenn das Medikament, welches Ihnen Ihr Arzt verschreibt, nicht anschlägt, kann es sein, dass er es mit einer höheren Dosis probiert. Geht es Ihnen dann noch nicht besser, werden Sie keiner weiteren Erhöhung der Dosis zustimmen, sondern eine andere Therapie probieren. Und wenn das nichts bringt, den Arzt wechseln.
Eine Selbstverständlichkeit, werden Sie denken. Nur leider gilt diese Selbstverständlichkeit nicht in der Ökonomie. Seit sechs Jahren kämpfen die Notenbanken der westlichen Welt gegen die Folgen der Finanzkrise, die eigentlich eine Überschuldungskrise war und ist. Immer tiefer wurden die Zinsen getrieben, immer länger die Bilanzen der Notenbanken. Das Ergebnis? Kann sich sehen lassen, wenn man es als Erfolg feiert, dass wir keine große Depression wie in den Dreißiger Jahren erlebt haben. Stattdessen haben wir eine Depression in Zeitlupe.
Zum Autor
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erscheint sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Schulden werden mit mehr Schulden bekämpft
In Deutschland haben wir das Dank der enormen Exporterfolge, getragen von Globalisierung und schwächerem Euro, nicht so mitbekommen. Das Drama der Flüchtlingskrise mit eklatantem Politikversagen und medialer Dauerbeschallung tut ein weiteres, dass wir den Sturm, der sich in der Weltwirtschaft zusammenbraut, nicht wahrnehmen. Dabei haben wir die Probleme, die in die Krise geführt haben, nicht verkleinert, sondern eher vergrößert. Statt eine Bereinigung der faulen Schulden und der Überkapazitäten zuzulassen, wurde die Krise, die durch zu billiges Geld und zu viele Schulden ausgelöst wurde, durch noch billigeres Geld und noch mehr Schulden bekämpft. Schulden und Ungleichgewichte sind größer als je zuvor.
Doch unsere Ärzte ticken anders. Statt die Therapie zu ändern, erhöhen sie die Dosis immer mehr. Genügt der Kauf von Staatsanleihen nicht? Dann kaufen wir auch Unternehmensanleihen. Reicht das nicht aus, dann kaufen wir Aktien. Nullzins ist nicht tief genug? Na, dann machen wir die Zinsen negativ. Das genügt nicht? Dann machen wir sie noch negativer. Was, die Sparer wollen da nicht so einfach mitmachen? Kein Problem, dann machen wir Bargeldnutzung so unattraktiv wie möglich. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
So ist die Bank of Japan vergangene Woche ebenfalls in den Klub der Notenbanken mit Negativzins eingestiegen. Damit sollen die Banken einen größeren Anreiz bekommen, Kredite zu vergeben. Dabei ist das Problem in Japan doch ein ganz anderes: der Unternehmenssektor ist der größte Nettosparer. Die private Sparquote sinkt immer mehr, und der Staat macht dafür riesige Defizite. Noch tiefere Zinsen werden auf das Investitionsverhalten der japanischen Unternehmen dieselbe Wirkung haben, wie das Gelddrucken der vergangenen Monate: gar keine. Die einzige kurzfristige, sogleich verpuffende Wirkung war eine Schwächung des Yen, womit der globale Währungskrieg in die nächste Runde geht.
Wir sehen, dass zwar die Medizin nicht wirkt wie sie soll, die Nebenwirkungen an den Finanzmärkten hingegen immer offensichtlicher werden. Doch noch hoffen Politiker und Notenbanken auf ein Wunder. Irgendwie muss es doch wieder aufwärts gehen.