Eine andere anzutreffende Variante sehe ich im Modellverhalten: „Diktatur und Rechthaberei“ - der Patriarch, der allen anderen in der Familie überlegen ist. Der Senior mit dem Durchblick. Ungefragt, ob sie es hören wollen oder nicht, zwingt er der nachfolgenden Generation seine Sicht der Dinge auf. Eisern und einsam lässt er keinen an das Zentrum seines Wirkens heran. Nach den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder wird nicht gefragt. Auf den individuellen Zuschnitt der Stärken und Schwächen der Nachfahren wird nicht eingegangen. Unmissverständlich lässt man sie spüren, wie wenig man ihnen letzten Endes zutraut. Bei Einweihungs- oder Jubiläumsfeiern im mittelständischen Sektor ist es ein gewohntes Bild. Voller Stolz führt der Erfolgsunternehmer coram publicum das Wort, während sein Sohn und seine Tochter schweigend und betroffen im Hintergrund stehen. Mit der Faust in der Tasche vermitteln sie ein klares Bild: „Sobald der Alte hier weg ist, wird das Ganze endlich verkauft!“
Die vererbende Generation trägt eine große Verantwortung. Zur Übergabe größerer Ersparnisse und Kapitalien gehört eben auch, die Dinge so zu richten, dass das gut gemeinte Vererben auch schlussendlich Gutes bewirkt. Wie soll eine junge Krankenhausärztin damit zurechtkommen, wenn sie unvermittelt nach dem Studium erfährt, dass sie das Dreifache ihres Monatslohns ohne Arbeit erhält - dank jährlicher Ausschüttungen? Wo soll das Stehvermögen in schwierigen Berufssituationen herkommen, wenn der Erbe gar nicht auf sein Arbeitseinkommen angewiesen ist? Hier geht es ja nicht um die Frage des Überlebens, sondern um den sinnvollen Aufbau eines eigenbestimmten Lebensweges.
Der Sorge der älteren Generation, wie ein zu leichtfertiger Umgang mit dem Ererbten verhindert werden kann, steht ein anderes Phänomen gegenüber. Viele Erben wachsen mit einem schlechten Gewissen auf, dass sie erheblich privilegiert sind. Sie können es psychologisch nicht verarbeiten, dass ihnen so viel quasi vom Zufallsschicksal „geschenkt“ wird. Ein Leben lang hadern sie im tiefsten Inneren damit und leben in der ständigen Furcht, das Erbe zu verlieren. Sie sind auf ein Parkett geführt worden, auf dem sie sich nicht wohl fühlen, geschweige denn, es beherrschen. Sie sind nicht stolz auf ihre noch so schöne Existenz.
Verfügung erst im Alter von 60 Jahren
In der Not greifen viele Erblasser zu radikalen Maßnahmen. Ein Bekannter von mir erbte von seinem kinderlosen Großonkel, zu dem er zu Lebzeiten kein gutes Verhältnis hatte, ein Millionenvermögen. Der Haken? Da der Onkel umgekehrt auch von seinem Neffen nicht viel hielt, stellte er das Erbe sozusagen unter Testamentsvollstrecker-Verschluss. Erst im Alter von 60 Jahren darf mein Bekannter über das Ererbte verfügen. Bis dahin muss er zuschauen, wie ein Anwalt in „seinem“ Depot rumhantiert. In anderen Fällen werden so steuereffiziente Erbkonstruktionen erstellt, dass die nachfolgende Generation kaum noch außerhalb Deutschlands leben und arbeiten kann. Die steuerlichen Folgen eines Auslandswohnsitzes wären verheerend.
Aus meiner langjährigen Erfahrung lohnt es sich, den Stier bei den Hörnern zu packen. Entwickeln sie eine klare Familienphilosophie, behandeln Sie alle Kinder gleich und legen ihre Angst vor schwierigen Gesprächen ab. Wie die Auswahl einer Schule, das Ergreifen einer Ausbildung, das Erlernen eines Sports, so gehört auch das Heranführen an das Thema „Geld und Kapital“ zur Erziehung der nachfolgenden Generation. In welcher Art und Weise Sie die Aufgabe angehen, hängt von ihnen ab. Fangen Sie früh mit ihren Überlegungen an. Das Ganze will wohl überlegt sein. Falls Sie es sich selbst nicht zutrauen oder die Familienverhältnisse zu emotional geladen sind, dann holen Sie sich eben professionelle Hilfe. Ganz gleich wie, in jedem Fall schieben Sie das Thema nicht auf die lange Bank. Sie werden unter Umständen überrascht sein. Vielleicht sind Ihre Kinder ja vernünftiger als Sie denken und haben selber sehr klare Vorstellungen.