Finanzaufsicht BaFin Anlegerschutz ohne Samthandschuhe

Ein neues Gesetz verpflichtet die Finanzaufsicht BaFin zu mehr Anlegerschutz. Jetzt zeigt sich: Die Beamten nehmen ihre Aufgabe ernst. Aber können die Aufseher ihren strengen Kurs in der Praxis wirklich durchziehen?

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Felix Hufeld Quelle: dpa

Elisabeth Roegele ist eine Freundin klarer Worte. Das macht sie Ende Juli deutlich: Bonitätsanleihen gehörten „nicht in die Hände von Privatkunden“, sagte die seit Mai 2015 für die Wertpapieraufsicht zuständige Direktorin der Finanzaufsicht BaFin. Weil die Bonitätsanleihen kompliziert sind, habe sie „erhebliche Bedenken“ – zumal der Name „Anleihe“ in die Irre führe, schließlich seien die Produkte deutlich riskanter als klassische Zinspapiere.

Streng genommen gehören sie in die Kategorie der Zertifikate, bei denen Sparer ihr Geld nicht wiedersehen, wenn der Emittent pleitegeht – das bekamen viele deutsche Anleger erstmals nach der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 zu spüren. Darüber hinaus besteht bei Bonitätsanleihen gleich ein doppeltes Insolvenzrisiko: Die Rückzahlung hängt von der Finanzkraft eines oder mehrerer „Referenzunternehmen“ ab: Können sie Kredite nicht mehr bedienen, droht Anlegern ein Totalverlust.

Wie hoch dieses Risiko ist – und ob dafür ein angemessener Zins gezahlt wird –, könnten Privatanleger aber in der Regel nicht bewerten, meint die BaFin. Zudem habe die Analyse von Beratungsprotokollen gezeigt, dass Banken ihre Kunden meist „nicht adäquat“ über die Risiken dieser Anlageprodukte aufklären.

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Roegele will deshalb den Verkauf verbieten. Für die Banken wäre es ein harter Einschnitt: Sie bringen fleißig Bonitätsanleihen in Umlauf; aktuell summiert sich deren Volumen auf fast 6,4 Milliarden Euro – rund zehn Prozent des Zertifikatemarktes. Besonders aktiv sind die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mit einem Marktanteil von 45 Prozent und die DekaBank (32 Prozent).

Doch der Vorstoß der BaFin ist weit mehr als nur ein Angriff auf Bonitätsanleihen – das Vorhaben markiert nicht weniger als eine Zeitenwende. Denn erstmals setzt die BaFin das schärfste jener neuen Instrumente ein, die ihr seit Inkrafttreten des Kleinanlegerschutzgesetzes im Juli 2015 zur Verfügung stehen.

Wer sich in der Finanzbranche, aber auch auf den Fluren an den BaFin-Dienstsitzen in Bonn und Frankfurt umhört, der merkt: Das dürfte nur der Anfang sein.

Wenn es nach der Finanzaufsicht Bafin geht, können Bonitätsanleihen zukünftig nicht mehr an Privatkunden verkauft werden. Der milliardenschwere Markt für die Derivate würde dadurch zum Erliegen kommen.

Das Kalkül der Bundesregierung, die Finanzaufseher nach Skandalen wie um den Windparkbetreiber Prokon und das Finanzkonglomerat Infinus zu bissigen Anlegerschützern zu machen, scheint damit aufzugehen. Aus den Verbraucherzentralen gab es dafür Lob. Anderen gehen Verbote zu weit. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zum Beispiel befürchtet, dass Anlegern der Zugang zu renditeträchtigen Produkten versperrt werden könnte. Die Finanzbranche selbst ist zunehmend verstimmt, scheut sich aber, auf die Barrikaden zu gehen: Besonders heftige Kritik an der BaFin könnte schnell nach hinten losgehen. Mit einem Aufseher, der im Zweifel auch aktiv eingreift, will sich keiner der Produktanbieter anlegen. Bis 2. September sollten sich die Anbieter schriftlich äußern; nun will die BaFin endgültig entscheiden. Doch selbst wenn Bonitätsanleihen am Ende nicht verboten werden, würde ihnen wohl dauerhaft ein Makel anhaften.

Schießen die Aufseher übers Ziel hinaus?

Lange waren die BaFin-Beamten alles andere als bissig. Zum Wohl der Anleger wurden sie nur in eindeutigen Fällen aktiv – etwa bei Aktienkursmanipulationen oder Sparofferten dubioser Anbieter ohne Banklizenz. Vielfach schauten sie jedoch zu, wie der Fall der Dresdner Infinus zeigt, die bis 2013 bei rund 41.000 Anlegern mehr als eine Milliarde Euro einsammelte.

Obwohl die Aufseher bereits 2010 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten hatten, wie sich im Zuge der Insolvenz herausstellte, konnten Infinus-Firmen ihre riskanten „Genussrechte“ und „Orderschuldverschreibungen“ unbehelligt weiter verkaufen. Sie hätten eben alle formalen Vorgaben eingehalten, rechtfertigte sich die BaFin. Und da das Gesetz keine „inhaltliche Prüfung der Produkte und der Seriosität“ vorsehe, habe sie gar nicht eingreifen dürfen.

Jetzt aber darf sie: Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz hat die schwarz-rote Koalition das juristische Korsett der BaFin gesprengt. Die Aufseher sind nun neben der Stabilität des Finanzsystems ausdrücklich auch für „kollektiven Verbraucherschutz“ zuständig – und dürfen deshalb früher und härter eingreifen, wie bei den Bonitätsanleihen.

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EZB Quelle: dpa
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Spanien, Negativzinsen Quelle: REUTERS

Schießen die Kontrolleure dabei über das Ziel hinaus? Die Zertifikatebranche selbst sieht das so. „Die Entscheidung ist für uns nur schwer nachvollziehbar, denn die Aufsichtsbehörde nimmt eine lange etablierte Anlageklasse ins Visier“, sagt Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbands (DDV). „Selbst wenn es in einigen Fällen Missverständnisse in der Beratung gegeben haben sollte, ist es überzogen, deshalb gleich den gesamten Vertrieb eines Produkts zu verbieten.“

Zudem verweist er darauf, dass Anleger „Produktinformationsblätter“ erhalten, die „die spezifischen Risiken verständlich beschreiben“. Schwieriger sei das allerdings bei Bonitätsanleihen, die sich nicht nur auf ein, sondern auf mehrere Unternehmen beziehen. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit eines „Kreditereignisses“, das Anlegern Verluste beschert. Statt eines Verbotes „sollte zunächst darüber diskutiert werden, in welcher Weise Produkte und Beratung verbessert werden können“, fordert Brandau – und signalisiert Gesprächsbereitschaft.

Zertifikate, mit denen Anleger auf die Bonität von Unternehmen setzen können, sind der Aufsichtsbehörde ein Dorn im Auge. Ihre Vermarktung an Privatanleger soll verboten werden. Aber das ist übertrieben.

Dafür gibt es wohl gute Gründe. Branchenvertreter treibt die Sorge um, dass die BaFin weitere Zertifikate ins Visier nimmt. Schließlich haben die Anbieter mit großer Kreativität immer neue, teils sehr komplexe Spielarten konstruiert – und Direktorin Roegele weiß sehr genau, wo Anbieter hohe Margen erzielen und welche Risiken schwer erkennbar oder gar verschleiert sind.

Denn die heute 48-Jährige ist eine Insiderin: Zwischen 2000 und 2004 saß sie im Vorstand der Börse Stuttgart und war dort für den Handel mit Derivaten, also auch Zertifikaten, zuständig. Diese Nähe zur Branche scheint sie jedoch nicht zur Nachsicht zu verleiten. Gerade weil „Ruf und Glaubwürdigkeit“ des Zertifikatemarktes „von zentraler Bedeutung“ seien, müsse man „bei einzelnen Produkten intervenieren“, sagt Roegele.

Die Finanzbranche kritisiert Verbotspläne der Aufsicht BaFin für sogenannte Bonitätsanleihen.

Von Aktienanleihen bis Zitronen

Besonders aufmerksam dürften Emittenten die Kritik am Begriff „Bonitätsanleihen“ registriert haben. Denn sie lässt sich auf die noch beliebteren „Aktienanleihen“ übertragen, die laut DDV-Marktstatistik 14 Prozent des Zertifikatevolumens ausmachen – was rund neun Milliarden Euro entspricht. Sie sind ebenfalls weitaus riskanter als klassische Anleihen, weil Emittenten am Laufzeitende statt des Nominalbetrags eine festgelegte Anzahl Aktien auszahlen dürfen. Das sorgt für hohe Kursrisiken.

Zertifikate sind aber keineswegs der einzige Bereich, den die BaFin unter die Lupe nimmt. Ein Rückblick auf die letzten Monate zeigt: Die frisch gekürten Anlegerschützer nehmen auch den grauen Kapitalmarkt ins Visier, also jenen Bereich schillernder Investments von Ölbohrungen bis hin zu Schiffscontainern, der von kleinen Anbietern geprägt wird und lange weitgehend unbeaufsichtigt vor sich hin brodelte.

Schulterschluss mit Verbraucherschützern

Zwar hat die BaFin hier bislang noch keine pauschalen Produktverbote verhängt, aber andere Instrumente des Kleinanlegerschutzgesetzes genutzt: Die Aufseher haben den Vertrieb einzelner Investments gestoppt, die Öffentlichkeit vor dubiosen Offerten gewarnt und Finanzdienstleister ermahnt, weniger aggressiv zu werben.

Im März bekam die Lignum Sachwert Edelholz AG, ein Anbieter von Waldinvestments aus Berlin, die härtere Gangart zu spüren. Die Aufseher stoppten den Vertrieb von Investments in bulgarische Edelholzplantagen. Lignum meldete wenige Wochen später Insolvenz an und warf der BaFin vor, sie habe die Firma „zerstört“ und „Kollateralschäden“ für rund 5000 Anleger in Kauf genommen.

Lignum sei infolge des Kleinanlegerschutzgesetzes verpflichtet gewesen, für ihre Angebote Prospekte zur Prüfung vorzulegen, teilte die BaFin auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit. Diese hätten die gesetzlichen Bestimmungen jedoch nicht erfüllt. Man habe aber keinesfalls ein generelles Vertriebsverbot verhängt. „Mit einem gebilligten Verkaufsprospekt hätte Lignum den Vertrieb jederzeit wieder aufnehmen können.“ Dazu war Lignum aber offenbar nicht in der Lage.

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Die BaFin darf nicht nur einschreiten, wenn sie Prospekte geprüft hat – sie darf auch vor dubiosen Offerten warnen, damit sich ein Fall à la Infinus nicht wiederholt. So teilte die Behörde im April zum Beispiel mit, dass die „Nerver2hot – Bio-Farm-Investment Co. Ltd., Thailand“ offenbar „öffentlich Vermögensanlagen ohne Verkaufsprospekt“ anbiete. Nerver2hot versprach „bis zu 9 % Zinsen“ mit Zitronen und anderen biologisch angebauten Produkten.

Die Finanzaufsicht stoße bei der „Marktüberwachung“ immer wieder auf Vermögensanlagen, für die kein Prospekt eingereicht wurde, sagt BaFin-Sprecherin Anja Schuchhardt. „Bevor wir ein Angebot untersagen können, sind aber mehrere Verfahrensschritte erforderlich.“ Zum Verfahren gehöre „mindestens eine Anhörung mit entsprechender Frist. Kontaktaufnahme und Korrespondenz mit Unternehmen, die ihren Sitz im (außereuropäischen) Ausland haben, sind dabei naturgemäß schwieriger.“

Um früh von dubiosen Offerten zu erfahren, arbeitet die Behörde eng mit Verbraucherschützern zusammen. Die „Marktwächter“, ein Zusammenschluss der Verbraucherzentralen, haben seit dem Startschuss im März 2015 rund 6800 „auffällige Meldungen von Verbrauchern“ ausgewertet, teilten sie vergangene Woche mit – unter anderem zu „Graumarktprodukten“ und Lebensversicherungen. Bei besonders verdächtigen Offerten schalten sie die BaFin ein.

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Der Grünen-Finanzpolitikerin Nicole Maisch reicht das nicht – sie will BaFin und Marktwächter auch formal verzahnen, damit Warnungen nicht „ungehört verhallen“. Dies scheint allerdings bislang nicht der Fall zu sein. Christian Ahlers, zuständiger Projektleiter bei den Verbraucherzentralen, lobte im Mai den „offenen und vertrauensvollen Umgang“ mit der BaFin.

Dass die Koalition funktioniert, zeigte sich zuletzt vor zwei Wochen: Nach einem Hinweis der Marktwächter ordnete die BaFin Mitte August die Abwicklung der SPS Bank an. Das Geldhaus hatte Sofortkredite angeboten, ohne dafür eine Lizenz zu besitzen. Kunden sollten Vorabgebühren von 450 Euro auf ein niederländisches Konto überweisen.

Darüber hinaus informieren die Marktwächter die BaFin, wenn Anbieter aggressiv für Geldanlagen werben. Dies ist laut einer aktuellen Studie der Verbraucherzentrale Hessen (VZH) besonders auf dem grauen Kapitalmarkt weit verbreitet: 77 von 91 überprüften Print- und Onlineanzeigen hätten die Chancen der jeweiligen Geldanlagen „einseitig hervorgehoben“, sagt Wolf Brandes von der VZH. „Risiken werden häufig zwar erwähnt, aber nicht angemessen dargestellt.“

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Auch in solchen Fällen kann die BaFin neuerdings eingreifen. Denn mit dem Kleinanlegerschutzgesetz haben die schwarz-roten Koalitionäre zugleich strengere Vorgaben für die Werbung im Finanzbereich erlassen – und den Aufsehern erlaubt, allzu plakative Slogans zu verbieten.

Das war bislang noch nicht nötig. Es habe stets gereicht, „die betroffenen Anbieter auf den Verstoß aufmerksam zu machen“, so BaFin-Sprecherin Schuchhardt. Sie hätten die bemängelte Werbung dann freiwillig geändert.

Wenn es gut läuft, muss die BaFin ihre Waffen also gar nicht zücken, damit die Anbieter Mindestkriterien in Sachen Anlegerschutz einhalten. Es reicht, dass ihr ein entsprechendes Arsenal zur Verfügung steht.

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