Zunächst nicht. Derzeit nicht. Bisher nicht. Auf dieses Vokabular mit bewusst kurzer Halbwertszeit greifen viele Banker in diesen Tagen bei der Antwort auf die Frage zurück, ob sie Gebühren auf Guthaben ihrer Kunden verlangen. Es gibt aber mit der Commerzbank und den Zentralinstituten der Volks- und Raiffeisenbanken, DZ Bank und WGZ Bank, schon Kredithäuser, die das offen zugeben.
Die verkehrte Sparwelt ist Realität geworden, jedenfalls bei einem Teil der Banken und für einen Teil der Kundschaft. Betroffen seien nur Profi-Anleger wie Fondsgesellschaften oder Konzerne mit sehr hohen Einlagen, beteuern die Banken immer wieder. Mittelständler und Sparer blieben verschont. Zunächst. Derzeit. Bisher.
Negative Zinsen
Doch das Drohszenario negativer Zinsen beschleunigt bei den Unternehmen bereits die Entfremdung von ihren Banken. Die Rolle der Institute als vertrauenswürdige Geldbewahrer der deutschen Wirtschaft verliert an Bedeutung. Banken werden zu austauschbaren Dienstleistern, die Industrie koppelt sich mit innovativem Finanzmanagement und eigenen Banklizenzen immer stärker von der Bankenwelt ab.
Kassieren Banken bald auf breiter Front Guthabengebühren auch von Kleinsparern und Mittelstand? „Für Privatanleger erwarte ich Negativzinsen erst, wenn die EZB den Einlagenzinssatz noch weiter senkt, etwa auf minus 0,5 Prozent“, sagt Oliver Mihm, Chef der auf Retailbanking spezialisierten Beratung Investors Marketing in Frankfurt. Relevant wäre das in erster Linie für Kunden der Vermögensverwaltung mit Guthaben ab rund einer Million Euro.
Firmenkunden
Nach Einschätzung von Mihm wird es jedoch zuerst Firmenkunden treffen, weil bei diesen wegen der höheren Einlagen der Hebel für die Banken stärker sei. Über solche Vorstöße berichtete im September als erster Hornbach, eine Baumarktkette mit 3,4 Milliarden Euro Umsatz und hohen Kassenbeständen. Auch der Lufthansa wurden Strafzinsen angedroht, die Banken haben sie allerdings bisher noch nicht in die Tat umgesetzt. Der Energieriese E.On konnte drohende Strafzinsen vermeiden, indem er sein Geld in alternative Anlagen steckte und Bankverbindungen wechselte.
„Am Ende werden auch viele Mittelständler voraussichtlich einen Negativzins zahlen müssen“, erwartet Johannes Heckmann, Co-Chef des Oberpfälzer Chemikalienherstellers Nabaltec. Das Unternehmen mit 133 Millionen Euro Umsatz und mehr als 400 Mitarbeitern ist langjähriger Commerzbank-Kunde, wurde von dieser aber noch nicht auf das Thema Negativzins angesprochen. Falls es so weit käme, würde sich Heckmann nach anderen Banken umschauen, sagt er. Um Negativzinsen zu umgehen, wären auch Geldanlagen mit drei oder sechs Monaten Laufzeit denkbar.
Geld fließt in Fondsanlagen
„Das niedrige Zinsniveau bringt Unternehmen dazu, bei der Anlage ihrer Liquidität höhere Risiken einzugehen“, sagt Volker Wittberg, Professor an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Laut seinen jährlich abgefragten Daten verliert das sichere Bankkonto für Unternehmen an Bedeutung.
Stattdessen fließt zunehmend Geld etwa in Fondsanlagen, die höhere Rendite versprechen, aber auch mehr Risiken bergen. Unternehmen kaufen zudem verstärkt Anleihen anderer Unternehmen – mit höheren Renditen als Bankguthaben, allerdings ohne Einlagenschutz, wenn die Schuldner ausfallen. „Die Debatte über drohende Strafzinsen auf Bankeinlagen wird diesen Trend verstärken“, erwartet Wittberg.
Die neue Philosophie der Banken formuliert der Chef einer deutschen Großbank, ohne sich offen zitieren zu lassen: „Es gab auch Zeiten, in denen Zeichner von Bundesanleihen draufgezahlt haben. Das ist der Preis für die Sicherheit.“ Was der Top-Banker zum Prinzip erhebt, hat seine Wurzeln 2010, als die EZB im Kampf gegen die Euro-Krise mit einer extrem expansiven Geldpolitik startete. In den Jahren danach verbuchten Bankguthaben angesichts immer niedrigerer Verzinsung nach Abzug der Inflation negative Realrenditen.
Die Reaktion der Unternehmen: „Sie bauen seither ihre Prozesse und Systeme für Geldgeschäfte um und machen sich damit unabhängiger von den Banken und deren Zinspolitik“, sagt Frank Niedermeyer, Geschäftsführer bei der Beratung Accenture aus Kronberg im Taunus.
Guthaben umschichten
Dabei lenken Konzerne ihre Geldströme aus gut laufenden Bereichen schnell um in Regionen und Sparten, in denen Investitionen nötig sind, um hohe Bankguthaben zu minimieren. So wurde der Münchner Chiphersteller Infineon bereits mit Negativzinsen konfrontiert, schaffte es bisher aber immer, Guthaben zu Banken umzuschichten, die keine Gebühren berechnen.
Infineon hilft beim Abspecken seiner Liquiditätspolster auch ein Aktienrückkaufprogramm sowie die laufende Übernahme des US-Konkurrenten International Rectifier. Beim hessischen Industriezulieferer Norma Group beschränken Banken die kurzfristig bei ihnen geparkten Beträge.
Norma bündelt daher nun überschüssige Liquidität, um sie sinnvoll intern zu nutzen oder am Kapitalmarkt anzulegen. Von Negativzinsen sei Norma noch nicht betroffen. Beim Medienkonzern Bertelsmann heißt es, die Steuerung der Konzernliquidität habe unverändert das Ziel, „die Liquidität auf Konzernlevel zu zentrieren und Skalierungseffekte zu nutzen“. Eine Verschiebung der Liquidität zu Tochterfirmen würde das Zins-Problem lediglich verlagern.
Vor allem international tätige Unternehmen konsolidieren zudem ihre Bankverbindungen auf weniger Institute, beobachtet Berater Niedermeyer. Oder sie verschieben Geld in Länder mit höherem Zinsniveau wie Brasilien.
Ein weiterer Ausweg sind eigene Banken. So freut sich Airbus angesichts der unberechenbaren Zinspolitik über den kürzlichen Kauf einer Minibank in Österreich, die der Flugzeugriese nun zu einer konzerneigenen Bank ausbauen will. Auch Siemens verschafft sich mit einer Vollbanklizenz mehr Autonomie vom Finanzsektor.
Im Mittelstand ist Maschinenbauer Trumpf Vorreiter mit einer unternehmenseigenen Bank. Zum Thema Negativzins wollen sich die Schwaben derzeit trotzdem nicht äußern. In Ditzingen bei Stuttgart genießt man offenbar schweigend.