WirtschaftsWoche: Herr Watzke, als Ihr Team gerade 0:2 gegen Mönchengladbach verloren hatte, büßte die BVB-Aktie daraufhin 1,8 Prozent ein. Folgt der Kurs von Fußballaktien nur den sportlichen Ergebnissen?
Watzke: Kurzfristig mag das so sein; auf Dauer spiegelt die Börse aber unsere längerfristige wirtschaftliche Entwicklung wider. Es sind nicht mehr viele Anleger, die wegen einer Niederlage gleich verkaufen. 2009 notierte die BVB-Aktie zeitweise unter einem Euro, heute ist sie Richtung vier Euro unterwegs. Seitdem haben wir den Umsatz fast verdreifacht, unser Eigenkapital stieg in acht Jahren von 24,6 auf 140,6 Millionen Euro, und wir haben deutlich mehr als 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten abgebaut. Ich halte das für eine sehr positive Geschichte und habe ehrlich gesagt das Gefühl: Da bin ich nicht ganz alleine.
Anleger, die von Anfang an dabei waren, sitzen dennoch auf 65 Prozent Verlust. Wann erreichen Sie die elf Euro wieder, die Sie beim Börsengang verlangt haben?
Wir haben zwei Kapitalerhöhungen zu niedrigeren Kursen durchgeführt, sodass der durchschnittliche Kaufkurs weit unter den elf Euro vom ersten Börsengang liegt. Und unsere Anteilseignerschaft hat sich stark verändert. 90 Prozent unserer Aktionäre sind inzwischen im Plus.
Zur Person
Hans-Joachim Watzke, 54, ist seit 2005 Chef der Borussia Dortmund KGaA, des einzigen deutschen Fußballclubs, der an der Börse notiert ist. Der Diplom-Kaufmann leitete davor den von ihm gegründeten Feuerwehr- und Schutzbekleidungshersteller Watex.
Woher nehmen Sie denn diese Weisheit?
Wir kennen zwar nicht jeden Streubesitzanleger, wissen aber, zu welchen Kursen die großen Pakete den Besitzer wechselten, die der Investmentbank Morgan Stanley oder des Fonds Blue Bay etwa, die damals fast 30 Prozent unserer Aktien hielten. Oder die des Ex-Investors Florian Homm.
Bei genauer Betrachtung Ihrer Zahlen fällt auf, dass von 305 Millionen Euro Umsatz nur zwölf Millionen Euro Liquidität übrig blieben. Das scheint etwas dürftig; das viel zitierte Festgeldkonto Ihres Rivalen FC Bayern ist 13-mal so dick.
Das liegt zum Teil an Buchungsfristen, die 37 Millionen Euro etwa aus dem Transfer von Mario Götze gingen einen Tag nach Bilanzstichtag ein. Dann haben wir dieses Jahr mit dem Dauerkartenverkauf zwei Wochen später begonnen. Sie brauchen sich in der Bilanz nur unsere hohen Forderungen anzuschauen, da steckt ein Gutteil dieses Geldes drin. Wenn wir die Liquidität optimieren wollten, könnten wir leicht mehr rausholen. Stichtagsbezogene Liquidität ist aber kein Selbstzweck, zumal wir keine neuen Kredite aufnehmen müssen.
Trotzdem entsteht der Eindruck, dass viel Geld sofort wieder abfließt.
Wohin soll es denn abfließen?
In Prämien zum Beispiel. Ihr Gehaltsetat stieg von 75 Millionen Euro 2011/12 auf 99 Millionen Euro 2012/13. Ihr eigenes Gehalt wuchs dank Ihres Bonus, der an den Vorsteuergewinn (Ebit) gekoppelt ist, ebenfalls erheblich. Wie erklären Sie das den Aktionären?
Die Aktionäre bekommen ja auch ihr Stück vom Kuchen. Die Dividende wird voraussichtlich von 6 auf 10 Cent je Aktie steigen; das ist die Hälfte unseres freien Cash-Flows und ergibt beim jetzigen Kurs fast drei Prozent Rendite. Zum Ebit haben wir immer offen gesagt, dass wir nicht jedes Jahr 65 Millionen Euro schaffen. Selbst der FC Bayern hat, bei wesentlich mehr Umsatz, ja noch nie so viel Gewinn geschrieben wie wir. Das hohe Ebit lag zum Teil an außergewöhnlich hohen Transfereinnahmen, die wir sicher nicht in jedem Jahr generieren können, übrigens auch gar nicht wollen. Es ist außerdem bereits heute absehbar, dass wir in den kommenden Jahren wieder ab und an höhere Abschreibungen haben werden, die diese Ziffer drücken. Insofern ist das hohe Ebit ganz klar eine Ausnahme.
2005 bis 2008 mussten Sie, um zu überleben, künftige Einnahmen aus Dauerkarten, TV-Geldern, Sponsoring und sogar Versicherungsprämien verpfänden. Vom Rechte-Vermittler Sport Five bekamen Sie 2008 auf einen Schlag 50 Millionen Euro; dafür geht ein Teil der Einnahmen aus dem Sponsoring noch bis 2020 an die Agentur. Gibt es noch mehr solcher Altlasten, die Einnahmen abzweigen?
Nein. Nur noch den Sportfive-Vertrag. Das Geld daraus haben wir eins zu eins in den Rückkauf des Stadions gesteckt, der uns wegen der entfallenden Miete entlastet.
Drastisch gestiegene Gehälter
Wie viel Geld aus dem Sponsoring geht Ihnen dadurch bis 2020 noch flöten? Man hört von 20 Prozent der Einnahmen.
Die genaue Zahl nenne ich nicht, aber gehen Sie bitte von deutlich weniger aus.
Und die drastisch gestiegenen Gehälter?
Die ergeben, auch nach zwei deutschen Meistertiteln in drei Jahren und dem Einzug in das Champions-League-Finale, noch immer nur den vierthöchsten Spieler-Etat der Liga. Vor drei Jahren wurden wir noch mit dem achthöchsten Etat deutscher Meister; derzeit machen wir nach Bayern den größten Umsatz der Liga und schreiben am meisten Gewinn, wir geben aber nicht mehr Geld aus als Schalke oder Wolfsburg. Natürlich unterliegen auch wir den Branchenmechanismen und bezahlen inzwischen ganz ordentlich. Aber bei uns haben die Spieler im Durchschnitt nur 65 Prozent Fixgehalt, 35 Prozent sind variabel, also an den sportlichen Erfolg gekoppelt. Sollte der also mal ausbleiben, würden wir trotzdem schwarze Zahlen schreiben, weil die Ausgabenseite erheblich kleiner ausfiele.
Das ist angesichts früherer BVB-Verluste schwer zu glauben.
Für frühere Verluste können Sie doch nicht die aktuelle Geschäftsführung verantwortlich machen. Ihr Misstrauen ist angesichts der nachhaltig positiven Entwicklung seit der Beinahe-Insolvenz über inzwischen acht Jahre unbegründet. Die Planung unserer Fixgehälter etwa beinhaltet noch nicht einmal das Weiterkommen in der Champions League über die Gruppenphase hinaus – als Vorjahres-Finalist; das dürfte europaweit relativ einmalig konservativ sein. Auch ein Jahr ohne neue Champions-League-Qualifikation würden wir noch ohne Verlust abschließen. Danach müssten wir allerdings darauf reagieren.
Also Spieler verkaufen?
Nicht unbedingt, das Budget würden wir, der Situation angemessen, runterfahren.
Welche Ziele sind realistisch?
Wir wollen die zweite Kraft im deutschen Fußball werden, sportlich und wirtschaftlich.
Das sind Sie doch schon.
Uns geht es um die Verstetigung des Erfolges, da müssen wir weiter klug investieren und mehr strampeln als Konkurrenten, die Geld von außen bekommen.
Von Konzernen wie VW oder von Scheichs und Oligarchen.
Genau. Anders als diese Clubs muss Borussia Dortmund alles, was sie ausgibt, selber mit Fußball verdienen.
Wie lauten die wirtschaftlichen Ziele?
Der Umsatz sollte mittelfristig – ohne große Spielerverkäufe – jedes Jahr 250 Millionen Euro plus x erreichen. So wie wir wirtschaften, dürfte das auch schwarze Zahlen bedeuten. Und diese Ziele müssen weiterhin erreicht werden, ohne dass ein Euro neue Nettoschulden dazukommt.
Sie kündigen damit de facto einen Umsatz- und Gewinnrückgang an. Das dürfte den Aktionären nicht schmecken.
Sie unterschätzen unsere Aktionäre, die sind ja nicht dumm. Sie wissen, dass die guten Zahlen hohen Transfereinnahmen geschuldet waren und dem Erreichen des Champions-League-Finales; beides kann nicht jedes Jahr gelingen. Außerdem wissen unsere Aktionäre, dass sie in einen Fußballclub investieren und wir auch andere Ziele haben, nicht nur die Maximierung des Shareholder-Value.
Der Verein muss investieren um erfolgreich zu sein
Ihre Aktionäre sind also Romantiker?
Realisten. Sie wissen, dass ein Verein investieren muss, um auch künftig sportliche Erfolge zu feiern, und mit denen kommen ja dann auch wieder die Einnahmen. Das ist sinnvoll, weil nachhaltig.
Und die Anleger akzeptieren das?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auf der letzten Hauptversammlung verlangte jemand eine Dividendenerhöhung. Obwohl sie davon ja direkt profitiert hätten, haben das 99,8 Prozent der Aktionäre abgelehnt.
Der Interessenkonflikt zwischen Sport und Kapital bleibt trotzdem. Seit dem letzten Spiel haben Sie zwei weitere Verletzte im dünn besetzten zentralen Mittelfeld. Zugleich haben Sie eine Dividendenerhöhung von sechs auf zehn Cent je Aktie angekündigt. Hätten Sie nicht mehr Geld in den Kader investieren müssen?
Wir haben knapp 50 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Es ist keine Planstelle unbesetzt, die Spieler sind hochkarätig, auch die Eigengewächse. Wir können aber nicht zur Absicherung aller Eventualitäten jeden Kaderplatz dreifach besetzen.
Immer mehr Milliardäre legen sich einen Fußballclub zu und stecken Hunderte Millionen Euro hinein. Gefährdet das Ihren Erfolg, weil diese Clubs die guten Spieler aufkaufen? Schließlich müssen Sie international halbwegs mithalten können, wenn Sie Ihre Umsatzziele erreichen wollen; das große Geld wird in der K.-o.-Runde der Champions League verdient...
Es ist für uns nichts Neues, dass andere mehr Geld ausgeben können. Aber ich gebe Ihnen recht, dass hier teilweise die Relationen verloren gegangen sind. Das ist aber nicht nur uns aufgefallen, sondern auch dem europäischen Verband, der UEFA. Diese wird bald die Regeln für Mäzenen-Vereine drastisch verschärfen. Im Rahmen des Financial Fair Play (FFP) dürfen Clubs, die an ihren internationalen Wettbewerben teilnehmen, über einen Zeitraum von drei Jahren nicht mehr Geld ausgeben, als sie in drei Jahren eingenommen haben.
Die Einführung von FFP war schon für die Saison 2013/14 geplant. Sie wurde auf 2015 verschoben, auch auf Druck einiger Großclubs und deren Mäzene. Haben die zu viel Einfluss auf die UEFA, und können sie die Regeln nicht einfach unterlaufen?
Technisch sind die Regeln nicht schwer zu kontrollieren, alles, was Sie dazu brauchen, sind eine testierte Bilanz und ein paar Sachbearbeiter. Wie stringent sie eingehalten werden, kommt auf die Willensstärke der UEFA an. Und da gehe ich persönlich davon aus, dass sie ernst machen wird. UEFA-Chef Michel Platini hat seinen eigenen Namen zu eng mit dem Projekt FFP verknüpft, als dass er sich einen Rückzieher erlauben könnte. Klar werden einige Leute mit sehr viel Geld versuchen, Druck auf die UEFA aufzubauen. Vergessen Sie aber auch nicht, dass die ganz großen Traditionsclubs, wie der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United und der FC Bayern, kein Interesse an noch mehr neureicher Konkurrenz haben; auch sie werden ihren Einfluss bei der UEFA geltend machen. Ich gehe jedenfalls persönlich davon aus, dass FFP im Kern greifen wird.
Im Ticketing, Merchandising und Sponsoring hinken Sie den internationalen Branchengrößen noch weit hinterher, trotz zehn Millionen Fans. Warum nutzen Sie dieses Potenzial nicht besser?
Alle diese Umsatzbereiche sind 2012/13 zwischen 20 und 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Gerade in den letzten Monaten haben wir viele internationale Sponsoring-Partner neu gewonnen. Im Ticketing ist bei uns ein Deckel drauf, das haben wir immer klar gesagt. Wir wollen unsere 25 000 Stehplätze erhalten, die Teil unserer Kultur sind. Dafür nehmen wir auch weniger Spieltags-Umsatz als vergleichbare Konkurrenten in Kauf.
Der Erfolg der letzten Jahre ist eindeutig auch Ihrem Trainerteam um Jürgen Klopp zuzuschreiben. Was machen Sie, wenn diese Leute eines Tages dem Ruf des ganz großen Geldes erliegen?
Jürgen Klopp hat noch einen Vertrag bis 2016. Ich würde nicht ausschließen, dass er noch länger bleibt. Aber klar: Eines fernen Tages wird der BVB ohne ihn auskommen müssen. Bis dahin wollen wir sportlich und wirtschaftlich so gefestigt sein, dass uns das nicht mehr aus der Bahn wirft. Wir sind da auf einem guten Weg.