Die Meldung las sich gut. Zu gut, um wahr zu sein. Doch das erfuhr Daniel Fiebig, 40, erst zwei Jahre später. Über 400 Prozent Umsatzplus vermeldeten die Comroad AG und ihr Vorstand Bodo Schnabel am 6. April 2000. Comroad verdiente sein Geld angeblich mit Telematik – grob gesagt: mit Geschäften rund um Ortung und Navigation. In der Spitze war der Neue-Markt-Überflieger an der Börse über 1,2 Milliarden Euro wert.
Wenige Tage nach der Meldung steckte Fiebig, der heute als Lehrer an einer Gesamtschule in Braunschweig arbeitet, 48.814 Euro in die Aktie, für ihn durchaus ein „wesentliches Investment“.
Vorgezogene Umsätze
Als Comroad zwei Jahre später den wohl größten Skandal des Neuen Markts hinlegte, waren Fiebigs Aktien wertlos. Die Comroad-Umsätze waren vor allem über Scheinrechnungen eines Unternehmens in Hongkong kreiert worden. Bis zu 97 Prozent der Umsätze seien nur vorgetäuscht worden, stellten Gerichte später fest. Schnabel wurde vom Landgericht München I im November 2002 wegen Kursbetrugs und Insiderhandels verurteilt. Er habe niemanden betrügen wollen, gab Schnabel noch zum Prozessende zu Protokoll. All die Luftbuchungen seien doch nur „vorgezogene Umsätze“ gewesen. Es half nichts: Sieben Jahre Haft bekam er aufgebrummt. Nach der Hälfte der Zeit kam er auf freien Fuß.
Anleger Fiebig spürt ihm seither nach. „Wenn ich das Geld verzockt hätte, würde ich nicht jemand anderen verantwortlich machen“, sagt Fiebig. „Aber bei Comroad wurden Bilanzen gefälscht. Für mich war das unvorstellbar.“
Fiebigs Erfahrungen zeigen, wie schwer Anleger es bei Betrug haben, ihr Geld zurückzubekommen. Dabei hatte Fiebig anfangs Glück: Comroad ließ sich auf einen Vergleich ein. Fiebig bekam gut 20.000 Euro. Andere Anleger haben auch den früheren Comroad-Wirtschaftsprüfer KPMG belangt, der von den Luftbuchungen lange nichts mitbekommen hatte. Auch KPMG schloss Vergleiche.
Sportlicher Ehrgeiz
Seit 2012 hat Fiebig ein vollstreckbares Urteil gegen Schnabel und dessen Ex-Frau, die 2002 wegen Beihilfe verurteilt worden war. Inklusive Zinsen stehen ihm rund 60.000 Euro zu. Doch Geld hat ihm das Urteil bislang nicht gebracht. Obwohl Fiebig kreativ ist: „Ich gehe der Sache mit sportlichem Ehrgeiz nach.“ In Schulpausen telefoniert er mit Grundbuchämtern, dem Handelsregister oder Gerichtsvollziehern.
Finger weg von Finanzprodukten, wenn...
Renditen von über acht Prozent pro Jahr versprochen werden, gleichzeitig aber ein Drittel der eingeworbenen Summe für Kosten wie Werbung oder Vertrieb draufgeht
der Initiator bislang noch keine erfolgreichen Finanzprodukte aufgelegt hat
der Initiator nicht nachweisen kann, dass er die versprochenen Renditen im Kerngeschäft erwirtschaftet oder mit Vorgängerprodukten bereits erzielt hat
das Objekt, in das investiert werden soll, noch nicht feststeht oder das Anlegergeld als Kredit an andere Gesellschaften weitergereicht wird, der Anleger sich also nicht direkt an einer Immobilie oder einem Schiff beteiligt
Anleger Geld nachschießen müssen, falls das Unternehmen zum Sanierungsfall wird
Bei Schnabels Ex-Frau hat er eine Taschenpfändung durchgesetzt, doch die brachte keinen müden Cent. Er hat auch ihre Kontoverbindungen in Erfahrung gebracht und das Guthaben eines Kontos pfänden lassen. Wie viel auf dem Konto liegt, konnte er vorab nicht wissen: 12,63 Euro. „Etwa das Doppelte war als Gebühr fällig“, sagt Fiebig, „meine Freundin habe ich abends trotzdem zum Essen eingeladen.“ Mittlerweile hat Schnabels Ex-Frau Privatinsolvenz angemeldet, bei ihr ist nichts mehr zu holen.
Jetzt bleibt Fiebig nur noch einer: Schnabel selbst. Während Fiebig in Braunschweig nach einer bezahlbaren Bleibe für sich und seine Freundin sucht, lebt Schnabel anscheinend wieder auf großem Fuß. Er ist Geschäftsführer eines Unternehmens in Hongkong, Nanomatic, das ähnliche Produkte wie früher Comroad anbietet, etwa eine App fürs Smartphone, mit der sich Kinder, Haustiere oder Hausboote orten lassen.
"Luxuriöser Lebensstil liegt mir nicht"
Privat hat Schnabel sich zumindest zeitweise auf den Bahamas niedergelassen, in der elitären Wohnanlage Sandyport. Er lebe dort seit über fünf Jahren, gab Schnabel im vergangenen Jahr bei Wahlen der Eigentümerverwaltung an. Aktuell ist die von ihm bewohnte Villa – schneeweißes Dach, eigener Bootssteg und etwa 350 Quadratmeter Wohnfläche – laut Makleranzeigen für 1,25 Millionen Dollar zu haben. Es handle sich aber nur um ein Ferienhaus, in dem er „einige Wochen pro Jahr“ verbringe, sagt Schnabel. Eigentümer sei „ein Freundeskreis“. Ob und zu welchem Anteil auch er Eigentümer ist, will Schnabel nicht sagen. Fotos im Internet zeigen ihn bei einem Autorennen mit einer Dodge Viper, einem Sportwagen, oder beim Hochseefischen mit Motoryacht. Die Yacht ist laut Schnabel aber nur gechartert, der Sportwagen nicht mehr in seinem Besitz. Unter seinen Facebook-Kontakten tummeln sich Models und Barfrauen aus Nachtclubs. Natürlich gehe er gerne mit Freunden in Restaurants und Bars, sagt Schnabel dazu. Aber: „Ein luxuriöser Lebensstil liegt mir nicht.“
Im Internet hat Fiebig Schnabels Telefonnummer aufgespürt. Er war überrascht, als Schnabel sich wirklich meldete. „Schnabel sagt, dass er kein Geld hat“, sagt Fiebig. Er glaubt das nicht. Im Februar dann bekam er per E-Mail ein Vergleichsangebot: Weniger als 2500 Euro, fünf Prozent von Fiebigs Investment, will Schnabel zahlen. Er bedaure „die entstandenen Probleme bei der Comroad AG“. Das Strafurteil gegen ihn sei aber rechtswidrig gewesen, behauptet Schnabel. Da sich die Schadensersatzklagen auf dieses Urteil stützten, seien Forderungen „streitig und außerhalb Deutschlands auf keinen Fall durchsetzbar“. Fiebig hält die Argumente für „reine Nebelkerzen“, das Angebot sei inakzeptabel. Doch solange Schnabel im Ausland wohnt, kommt er nicht an sein Geld. „Auf den Bahamas vollstrecken zu wollen ist utopisch“, sagt Bernd Jochem, Partner der Kanzlei Rotter, die Hunderte Comroad-Anleger vertreten hat.
Gläubiger tummeln sich
Fiebig versucht sein Glück deshalb auch in Deutschland. Ein Einfamilienhaus, zwischen München und Ingolstadt gelegen, hat er aufgespürt, für das Schnabel als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Mittlerweile hat Fiebig für sich als Gläubiger eine Hypothek eintragen lassen. Allerdings steht er dort nur an Position 19.
Vor ihm tummeln sich andere Gläubiger, darunter der Freistaat Bayern. Der stand Comroad-Aktionären von Anfang an eher im Weg als zur Seite. So ordneten die Richter bei Schnabels Verurteilung 2002 den Verfall des beschlagnahmten Vermögens an. Rund 20 Millionen Euro sollten so an den Staat fallen. Die Regel soll sicherstellen, dass Straftäter aus ihrer Tat keinen Vorteil ziehen. Doch sie sieht eine Ausnahme vor: Gibt es Geschädigte, denen Schadensersatzansprüche zustehen, ist der Verfall nicht nötig. Schließlich bekommen in diesem Fall die Geschädigten ihr Geld zurück; der Täter hat keinen Vorteil. Die Comroad-Aktionäre wurden aber nicht als Geschädigte angesehen. Die Verfolgung von Insiderhandel und Kursbetrug diene dem Schutz des Wertpapierhandels, nicht dem von Aktionären. In Fiebigs Ohren klingt das wie Hohn. Erst 2010 führte ein Beschluss des Bundesgerichtshofs dazu, dass auch Aktionäre in solchen Fällen als Geschädigte angesehen werden. Rückwirkend gilt das nicht.
100-facher Gewinn
Schnabels Aktivitäten bei Nanomatic in Hongkong wecken derweil ungute Erinnerungen. Laut Handelsregister hat Nanomatic neun Aktionäre – kein Vergleich zum Massengeschäft früher. Doch einige Aktionäre fühlen sich getäuscht – mal wieder. So wurden zwei Schweizer Nanomatic-Aktionäre 2009 nach eigenen Aussagen mit rosigen Aussichten geködert. „Nanomatic stand angeblich kurz vor dem Börsengang. Mir wurde der 100-fache Gewinn in Aussicht gestellt“, sagt einer. Ein Businessplan der Nanomatic von Ende 2006 – da war Schnabel erst seit gut einem Jahr wieder auf freiem Fuß – stellte für 2008 einen Verkauf des Unternehmens für 840 Millionen Euro in Aussicht. Die beiden Schweizer investierten 1,3 Millionen Euro. Dafür bekamen sie kleine Aktienpakete – daran gemessen müsste Nanomatic mehrere Hundert Millionen Euro wert gewesen sein.
Von Schnabels Vergangenheit wussten die beiden nichts. Sie waren von einem mehrfach vorbestraften Deutschen in Nanomatic gelockt worden. 2001 war der Ex-Vorstand der Skandalfirma Wabag zu acht Jahren Haft wegen Betrugs verurteilt worden. Wabag-Anleger hatten über 100 Millionen Euro in Recyclinganlagen und Biokraftwerke investiert, die nie gebaut wurden. Auch Max Strauß, Sohn der CSU-Legende Franz Josef Strauß, mischte als Jurist im Skandal mit.
Leicht veränderte Version von Comroad
Aus den Plänen der Nanomatic ist jedenfalls nichts geworden, Aktionäre fürchten den Totalverlust. Die letzte Bilanz, die sie bekamen, ist verheerend: Bei 54 000 Euro Umsatz entstanden 2013 knapp 930.000 Euro operativer Verlust. Der über die Jahre aufgelaufene Gesamtverlust beträgt knapp 3,2 Millionen Euro. Schon im Juli 2011 schrieb ein Nanomatic-Manager in einer E-Mail: „Wenn ein Produkt seit Jahren auf dem Markt ist und nicht wächst, spricht das für sich.“ Im Juni 2010 hatte derselbe Manager über Nanomatic geschrieben: „Offen gesagt, sind Produkt und Geschäftsmodell mehr oder weniger eine leicht veränderte Version von Comroad!!“ Schnabel weist das zurück. Nanomatic habe gute Produkte entwickelt, „die jedoch bisher nicht die erwartete Marktakzeptanz erreicht haben“.
Was Schnabel bei Nanomatic verdient, ist unklar. Laut Protokoll der Hauptversammlung vom 8. Mai 2015 sollten die Geschäftsführer ihre Entlohnung selbst festlegen. Schnabel sagt, das sei nur „üblicher Formalismus“. Da Nanomatic keinen Gewinn mache, bekämen die Chefs kein Gehalt.
Hauptgesellschafter von Nanomatic ist eine auf den Britischen Jungferninseln in der Karibik angesiedelte Finanzgesellschaft. Wer dahinter steht, bleibt offen. Im Handelsregister steht nur eine Treuhandgesellschaft. Ein Nanomatic-Manager wunderte sich 2010 in einer Mail, wer hinter der Finanzgesellschaft stecke, die Nanomatic finanziere.
Dazu befragt, weicht Schnabel aus: Es handle sich um „eine Partnerschaft aus mehreren Personen“. Ob er dazu zähle, will er nicht sagen. Auf der Nanomatic-Hauptversammlung wurde die Finanzgesellschaft jedenfalls gut vertreten: von Schnabel persönlich.