Auf fein liniertem Papier teilt Jonas Köller in feinster Druckschrift einer Richterin seine Sicht der Welt mit. In dieser Welt ist Köller, der mit seinem Freund Stephan Schäfer die Immobiliengruppe S&K gegründet hat, unschuldig. Ab Donnerstag wird der S&K-Anlageskandal vor dem Landgericht Frankfurt aufgearbeitet. Der Prozess dürfte einen tiefen Einblick in die teilweise bizarre Gedankenwelt zweier kleinbürgerlicher Materialisten geben, die ein gemeinsames Ziel einte: Milliardär zu werden.
Rund 240 Millionen Euro hatten Anleger Köller und Schäfer anvertraut, etwa über Fonds des Hamburger Anbieters United Investors. Doch allem Anschein nach haben die beiden Jungunternehmer mit dem Geld vor allem ihr Luxusleben finanziert. Beide wohnten in großzügigen Villen, der S&K-Fuhrpark war üppig, Jonas’ Party zum 30. Geburtstag gilt als legendär.
Im Februar 2013 wurden die Chefs von S&K und United Investors mitsamt einigen Helfern verhaftet. Für die Staatsanwaltschaft war S&K ein Schneeballsystem. In einem Schneeballsystem werden Auszahlungen an Anleger nicht erwirtschaftet, sondern aus immer neuen, frisch eingeworbenen Anlegergeldern gespeist.
Der Einsatz der Investoren dürfte zum Großteil verloren sein. Doch Köller fühlt sich dafür offenbar nicht verantwortlich: „Obgleich ein S&K im Namen des Fonds vorkommt“ (für Schäfer & Köller), habe er nicht an der Auflegung des Fonds oder der Erstellung des Prospekts mitgewirkt. Er sei „lediglich Geschäftspartner des Fonds“. Die Richterin hätte es einem geschädigten Anleger also nicht genehmigen dürfen, Köllers Vermögen pfänden zu lassen.
Köllers und Schäfers Verteidiger behaupteten ebenfalls, die Angeklagten hätten sich rechtmäßig verhalten. Im Fondsprospekt sei ja nicht genau festgelegt worden, wofür das Geld der Anleger zu verwenden sei. Dementsprechend seien auch Geldentnahmen für private Zwecke erlaubt gewesen.
Keine Einsicht, nirgends. Beschuldigte in Wirtschaftsstrafverfahren brechen in der Haft häufig zusammen und gestehen. Bei Schäfer sah es danach aus, als stehe er die Haft nicht durch. Während eines Gerichtstermins sprang er aus dem Fenster. Es drohte eine Querschnittslähmung. Mittlerweile ist er aber wieder hergestellt und soll auch psychisch relativ stabil sein. Köller soll sich ebenfalls im Knast akklimatisiert haben. Nur Ex-United-Investors-Chef Hauke Bruhn gab zu, von dem Schneeballsystem gewusst zu haben, machte später aber einen Rückzieher. Der Prozess soll Klarheit darüber bringen, wie das System S&K funktionierte – und was mit den Millionen passierte.
Mit Ebay fing alles an
Köller wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater war Krankenpfleger, die Mutter gelernte Krankenschwester. Die Familie wohnte in einem Haus in Großheubach bei Aschaffenburg.
Köller verlässt die Schule mit dem Fachabitur, verpasst sich später einen Doktortitel – hat aber nie studiert. Dennoch ist er der Intellektuelle im Unternehmen. Schäfer wird zwar eine schnelle Auffassungsgabe nachgesagt, doch verfügt er seinem Umfeld zufolge nur über eine recht spärliche Allgemeinbildung. Als „Proleten mit Rechtschreibschwäche“ bezeichnet ihn ein Bekannter. Er hatte eine schwierige Kindheit und litt unter der Trennung seiner Eltern. Gesprächspartner ließ er regelmäßig wissen, dass er sich immer habe durchboxen müssen. Sein erstes Geld verdient Schäfer, indem er Markenklamotten auf Ebay verkauft und in ein kleines Sonnenstudio investiert. In seiner Jugend lernt er Köller kennen. Nachdem der sich Geld von einem Unternehmer im Nachbarort leihen konnte, ersteigern beide ihre erste Wohnung, die sie kurz darauf mit Gewinn weiterverkaufen – die Geburt von S&K.
Um ihre Geschäfte im großen Stil durchziehen zu können, sammeln sie Geld bei Privatanlegern, etwa über geschlossene Fonds wie den „Deutsche S&K Sachwerte Nr. 2“ ein. Der lockte Investoren mit stolzen zwölf Prozent Zinsen pro Jahr. Lukrative Immobiliendeals sollten die traumhafte Rendite ermöglichen. Untermauert wurde die Story mit einem in Leder eingefassten Katalog, der den wertvollen Immobilienbestand zeigte und einer Bestätigung vom TÜV Süd, der die Werthaltigkeit vermeintlich testierte.
Dass der S&K-Gutachter den Immobilien unrealistische Werte zuschrieb und der TÜV sich allein auf diese Gutachten stützte, ahnten wohl weder die Anleger noch die Fondsverkäufer. Ein Vertriebsmitarbeiter investierte selbst das Ersparte seiner Eltern in einen S&K-Fonds. „Die waren so transparent, zeigten uns Grundbuchauszüge und interne Unterlagen“, sagt ein Verkäufer. Zudem hätte Schäfer doch immer davon geträumt, der größte Immobilienunternehmer des Landes zu werden. „Das kann doch nicht alles gelogen gewesen sein.“
Verdacht weckte nur der protzige Lebensstil: die Autos, die Bodyguards, der Dobermann namens „Cash“, der durch den ersten Stock im Büro rannte, die Servicekraft mit dem viel zu kurzen Rock, die Schokolade mit goldenem S&K-Logo servierte.
Schäfer, heute 34 Jahre, und Köller, heute 36 Jahre alt, waren beseelt davon, Milliardäre zu werden. Köller hatte das schriftlich als sein „Endziel“ festgehalten. Schäfer druckte als tägliche Motivation einen Scheck über eine Milliarde aus. Er träumte von Villen in São Paulo und Miami, von mehreren Helikoptern in Schwarz mit weißem Leder und von einem eigenen Learjet. Eine Affäre mit Sängerin Shakira und bis Mitte Januar 2017 eine bildschöne Milliardärin als Ehefrau stand ebenfalls auf seiner To-do-Liste. Nun muss erst mal Freundin Nina – immerhin ein Fotomodel – als Gattin reichen. Schäfer hat ihr kürzlich im Gefängnis einen Heiratsantrag gemacht. Eine Verlobung hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass Nina nicht gegen ihn aussagen müsste.
Schäfer setzte auf Disziplin. Er ging täglich joggen oder zum Krafttraining, hielt sich an einen strengen Ernährungsplan (abends nur noch Putenfleisch oder Hüttenkäse).
Der 500er unter den 5ern
Mit etwa Mitte 20 besucht er ein Seminar des Motivationstrainers Bodo Schäfer. Schäfer war durch sein Buch „Der Weg zur finanziellen Freiheit – in sieben Jahren die erste Million“ bekannt geworden. Der Trainer wirft zwei 500-Euro- und viele 5-Euro-Scheine in die Luft, die unsortiert auf dem Boden landen. Damit will er zeigen, dass die wesentlichen Ziele (die 500-Euro-Scheine) oft durch den alltäglichen Kleinkram (die 5-Euro-Scheine) verdeckt und deshalb vernachlässigt werden. Stephan Schäfer ist beeindruckt.
Mit Ratgebern zum Erfolg
Anschließend lassen sich die beiden Schäfers zusammen fotografieren. Auf dem Bild hat Stephan Schäfer die großen Scheine in der Hand. Der S&K-Gründer habe ihn später als Coach verpflichten wollen, berichtet Bodo Schäfer. „Als ich nach dem Grund fragte, schickte Stephan Schäfer mir ein Foto. Er stand breitbeinig auf den Dächern zweier Ferraris und hielt Fächer aus Geld in der Hand. Ich habe daraufhin abgelehnt.“ Ganz voneinander los kamen die beiden aber nicht. Sie trafen sich später noch mehrfach.
Schäfer schmökert fast täglich in Ratgebern. Das Buch „Power – die 48 Gesetze der Macht“ hatte bei S&K den Status einer Bibel. „Hüten Sie sich vor Freunden. Sie werden von ihnen schneller verraten, als Ihnen lieb ist. Denn der Neid nagt an ihnen und sie werden zu Spielverderbern, wenn nicht zu Tyrannen“ – diese Passage hat Schäfer unterstrichen. Dazu passt, dass er jedem misstraute und Bindungen scheute. Selbst die Beziehung zu Köller war nicht immer intakt. Hinter dem Rücken des Geschäftspartners hatte Schäfer eine eigene Gesellschaft gegründet und Geld aus dem S&K-Topf dorthin überwiesen. Als Köller dahinterkam, musste Schäfer ihn an der Firma beteiligen.
Die beiden S&Kler steckten viel Energie in ihr Unternehmen. Doch statt um Immobilien, kümmerten sie sich nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft vor allem darum, immer neues Kapital ranzuschaffen. So floss das Geld der Anleger zu einem bedeutenden Teil etwa in den Aufbau einer Verkäufertruppe.
Schäfer hatte permanent Termine mit Vertrieben, bei denen er sich einkaufen wollte. Nach einem Treffen mit einer Führungskraft der Postbank Vermögensberatung, bildete er sich gar ein, den Postbank-Vertrieb übernehmen zu können.
Trotz der Bemühungen floss phasenweise das Geld schneller aus der Gruppe raus als rein. Allein die Gehälter sollen von 100 000 Euro monatlich Ende 2010 auf 500 000 Euro monatlich im Sommer 2011 gestiegen sein, wovon ein bedeutender Teil auf die Löhne der beiden Chefs entfallen sein soll. Hinzu kamen die Kosten für den Fuhrpark, der bestückt war mit den Edelmarken Porsche, Lamborghini oder Ferrari. Urlaube, Partys, Geschenke – was ansatzweise geschäftlich aussah, wurde über die Firma abgerechnet. Hinzu kamen Darlehen an die Gründer. „Geld läuft dir hinterher. Je mehr du ausgibst, desto mehr verdienst du“, soll Stephan Schäfer einmal gesagt haben.
"Auf Risiken wurde hingewiesen"
Nach der Verhaftung hat die Staatsanwaltschaft neben Immobilien auch Luxusartikel wie Kugelschreiber von Montblanc oder Taschen von Louis Vuitton gesichert. Auch die von Schäfer und Köller beschenkten Damen mussten ihre Autos und Uhren wieder abgeben. Das reicht allerdings nicht, um alle Anleger zu entschädigen.
Köller schiebt die Schuld auf United Investors, die Verteidiger meinen, dass Entnahmen für private Zwecke legal gewesen seien, und sagen, dass in den Prospekten auf das Risiko eines Totalverlusts hingewiesen worden sei. Angehörige eines Angeklagten glauben auch immer noch, dass die Männer nichts Unrechtes getan hätten. Säßen Jonas und Stephan nicht in Haft, wären sie heute noch erfolgreich. Dem stehen Aussagen von ehemaligen ranghohen S&K-Mitarbeitern entgegen. Ebenso hatte der Beschuldigte Bruhn zwischenzeitlich eingeräumt, dass ihm zumindest ab Anfang 2011 klar war, dass es sich bei S&K um ein Schneeballsystem handelte. Sein Kompagnon Thomas Gloy will ebenfalls irgendwann bemerkt haben, dass das Geschäftsmodell nicht funktionieren kann.
Es bleibt die Frage, wo das ganze Geld geblieben ist. 240 Millionen Euro lassen sich nicht einfach verprassen. Ehemaligen Mitarbeitern zufolge sollen die beiden immer wieder angedeutet haben, dass sie je eine Million Euro in Form von Bargeld und Goldmünzen gebunkert hätten. Die zu erwartende Haftstrafe von circa acht Jahren könnten Schäfer und Köller deshalb ganz entspannt absitzen, unken Exmitarbeiter.
Die Staatsanwaltschaft hatte Hinweise darauf, dass Schäfer 18 Millionen Euro auf Konten in Spanien, der Ukraine und der Schweiz transferiert hat. Wirtschaftsprüfer durchleuchteten 2000 Konten bei 170 Banken, fanden aber keinen Beleg für derartige Transfers. Die Polizei ließ sogar den Garten von Köllers Villa umgraben, fand aber weder Geld noch Gold.
Köller selbst hatte einmal geschrieben, dass sein Vermögen dereinst safe in verschiedenen Ländern liegen soll. Ob er vor seiner Verhaftung noch entsprechende Vorkehrungen getroffen hat, bleibt vorerst wohl sein Geheimnis.