Solarbranche Der Strippenzieher von Solar Millennium

Der Gründer von Solar Millennium ist offiziell nur Aufsichtsrat, zieht aber bei dem Unternehmen die Fäden. Ex-Vorstandschef Utz Claassen wollte sich damit wohl nicht abfinden – und ging.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hannes Kuhn: Der Aufsichtsrat und Gründer von Solar Millennium übt eine

Die Besucher des Erlanger Kongresszentrums müssen sich an düstere Klänge gewöhnen. Am Dienstag geben die Stuttgarter Philharmoniker dem Publikum Mahlers 3. Sinfonie in d-Moll. Zwei Tage später könnte es an gleicher Stelle auf der Hauptversammlung von Solar Millennium zu Misstönen kommen. Unzufriedene Anleger wollen gegen eine Aufstockung der Aufsichtsratsbezüge stimmen. Das Solarthermieunternehmen will die feste Vergütung der Räte von 15.000 auf 40.000 Euro jährlich anheben, dazu kommen je Sitzung noch 2000 Euro. Alle drei bislang vorliegenden Gegenanträge greifen die Pläne an. Angesichts der „verfehlten Personal- und Kommunikationspolitik der vergangenen Monate, die vom derzeitigen Aufsichtsrat der Solar Millennium AG zu verantworten sind, entbehrt eine Erhöhung der festen Vergütung in dieser Höhe jeglicher Grundlage“, schreibt ein Aktionär in seinem Gegenantrag.

Für wenig Begeisterung bei diesen Aktionären dürfte auch sorgen, dass Solar-Millennium-Gründer und Aufsichtsrat Hannes Kuhn in der Vergangenheit üppige Beraterhonorare kassiert hat. Für das Geschäftsjahr 2009 bescherten umfangreiche Beratungsmandate dem Steuerberater zusätzliche Honorare über 300.000 Euro, die Kuhn aber erst einmal zurückgezahlt haben will.

Kuhns Balance AG kassierte 800.000 Euro

Zwischen November 2004 und Oktober 2007 hatte Solar Millennium insgesamt über 800.000 Euro für Beratungs- und Buchhaltungsdienste an die von Kuhn geführte Balance AG Steuerberatungsgesellschaft (heute: PCH AG) und deren Tochterunternehmen gezahlt. Das belegen ein Anleiheprospekt, interne Unterlagen und Abrechnungen, die der WirtschaftsWoche vorliegen. Sie erlauben erstmals umfassende Einblicke in Kuhns dominante Rolle. Über seine Funktion als Aufsichtsrat hinaus hat Kuhn demnach Managementaufgaben bei Solar Millennium übernommen. Kuhn soll angeblich noch über 15 Prozent der Solar-Millennium-Aktien kontrollieren, wollte dazu gegenüber der WirtschaftsWoche aber „keine Angaben“ machen.

Experten für gute Unternehmensführung (Corporate Governance) bewerten es kritisch, wenn Aufsichtsräte jenseits ihrer Kontrollaufgaben beauftragt werden.

„Vor allem wenn Beratungshonorare in einem so krassen Missverhältnis zu der Vergütung als Aufsichtsrat stehen, ist das problematisch“, sagt Hans-Joachim Böcking, Professor für Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance an der Uni Frankfurt. Laut Aktiengesetz soll der Aufsichtsrat die Geschäftsführung „überwachen“. Ein Aufsichtsrat könne aber nur schwerlich ein Unternehmen wirksam kontrollieren, wenn er gleichzeitig die Unternehmensstrategie maßgeblich beeinflusse, sagt Böcking. In den vergangenen Jahren habe der Bundesgerichtshof zudem in einigen Fällen Beratungsverträge mit Aufsichtsräten für unwirksam erklärt, da die Hauptversammlung diesen nicht zugestimmt hatte.

Im Aktiengesetz steht weiter: „Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden.“ In einer Stellungnahme schreibt Solar Millennium, dass „sämtliche existierende Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrats der Gesellschaft und der Gesellschaft sowie mit der Gesellschaft verbundenen Unternehmen“ intensiv geprüft worden seien und „in vollem Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften und den anwendbaren Vorgaben der Rechtsprechung“ stünden.

Vertragsprüfung

Ganz sicher, dass in Sachen Beraterverträge immer alles mit rechten Dingen zugegangen ist, scheinen sich Kuhn und Solar Millennium dann aber doch nicht zu sein. Kuhn teilte der WirtschaftsWoche mit, dass sich „vor einigen Wochen“ die Notwendigkeit ergeben habe, das „Vertragswerk rechtlich zu überprüfen“. Deshalb habe er „bis zur endgültigen Klärung und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die bereits erhaltenen Beträge zurückgezahlt“.

Laut Solar Millennium ist in einem Einzelfall „höchst vorsorglich eine einvernehmliche Anpassung einer Vertragsbeziehung zu Gunsten der Gesellschaft vorgenommen“ worden. Unklar bleibt, ob es sich bei diesem Einzelfall um Kuhns Vertrag handelt.

Interne Unterlagen: Kuhn bekam umfassende Beratungsaufgaben übertragen - zu Tagessätzen von 200

Möglicherweise gibt es auch eine Verbindung zwischen Rückzahlung und „Anpassung“ des Vertrags einerseits und dem Rücktritt von Utz Claassen als Solar-Millennium-Chef andererseits. Der frühere EnBW-Vorstandsvorsitzende Claassen hatte sein Amt bei Solar Millennium Mitte März wegen Differenzen zu „Kultur und Corporate Governance des Unternehmens“ überraschend niedergelegt. Claassen und das Unternehmen wollten sich dazu nicht äußern.

470.000 Euro der bis Oktober 2007 insgesamt gezahlten 800.000 Euro Honorare kassierte ein Dubaier Tochterunternehmen der von Kuhn geführten Balance für die angebliche Vermittlung von Investoren. Rund 330.000 Euro flossen an Ba-lance selbst für Beratung, aber auch für die Erstellung von Jahresabschlüssen.

Das im vergangenen Jahr zunächst ausgezahlte und dann vorläufig zurückgezahlte Geld gab es vor allem für die „Neuausrichtung in den USA“. Mit dieser Neuausrichtung hatte der Vorstand von Solar Millennium Kuhn laut einem „Nachtrag zum Entsendevertrag“ vom 24. September 2009 schon im Oktober 2008 beauftragt. Der Aufsichtsrat stimmte diesem Nachtrag – bei Enthaltung Kuhns – einstimmig zu.

Wichtiger US-Markt

Für Solar Millennium ist der US-Markt enorm wichtig, hier will das Unternehmen noch bis Jahresende mit dem Bau eines Solarthermiekraftwerks starten. Die Zeit drängt, da umfassende Kapitalspritzen aus dem amerikanischen Konjunkturprogramm voraussichtlich nur gewährt werden, wenn der Bau noch in diesem Jahr startet. Mit mehr als einer Milliarde Dollar Auftragswert sind die US-Projekte um ein Vielfaches größer als die bislang vom Unternehmen realisierten spanischen Kraftwerke.

Umso erstaunlicher ist es, dass nicht der Vorstand, sondern ein Aufsichtsrat die Strategie für den so wichtigen US-Markt entwickeln sollte. Zumal Kuhns „Tätigkeitsnachweis“ – eine Liste der Termine und Aktivitäten, die er dem Unternehmen am 30. September 2009 in Rechnung gestellt hat – zeigt, dass seine Aufgaben umfassend waren. Zwar enthält die Liste teilweise nur spärliche Angaben („Besprechung Essen“, „diverse Telefonate“), führt aber auch reihenweise Managementaufgaben an.

So traf sich Kuhn Dutzende Male mit leitenden Mitarbeitern des Kooperationspartners Ferrostaal, um die gemeinsamen Aktivitäten zu planen. Er besprach sich teilweise mehrmals wöchentlich mit dem späteren USA-Geschäftsführer Uwe Schmidt („US“), strukturierte den geplanten Auftritt in den Vereinigten Staaten und entwickelte die Anteilseignerstruktur beim spanischen Kraftwerk Andasol 3 („Konsortialstruktur Andasol 3“). Auch „Vertragsverhandlungen“ und „Verhandlungen“ weist die Liste aus.

Ein ehemaliger Mitarbeiter, der in leitender Position an Projekten von Solar Millennium beteiligt war, berichtet, dass Kuhn seit Jahren „die graue Eminenz“ bei Solar Millennium sei.

Bankenprofessor als Aushängeschild

Auch die Idee, über eine neue Gesellschaft, Solar Millennium Invest, Geld für weitere Solarthermiekraftwerke einzusammeln, soll von ihm stammen. Er selbst sagt dazu nur: „Der Erfolg hat viele Väter.“ Der TV-bekannte Bankenprofessor Wolfgang Gerke hält 45 Prozent der neuen Gesellschaft und ist deren Aushängeschild.

Kuhn und Gerke kennen sich seit Jahren. Die von Kuhn geführte Balance AG Steuerberatungsgesellschaft beriet früher Gerkes Beteiligungsgesellschaft Audire. Audire investierte ursprünglich in das Sprachtechnologieunternehmen Castel-Care. Kurz vor der Marktreife suchte Gerke weitere Investoren und bat Balance um Hilfe. Doch es fanden sich keine weiteren Geldgeber. Castel-Care rutschte 2004 in die Insolvenz. Nun wollen Gerke und Kuhn mit  Solar Millennium Invest ihren Geschäftsbeziehungen offensichtlich ein erfreulicheres Kapitel hinzufügen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%