Ad-hoc-Pflichten von VW, RWE & Co. Anleger spät und schlecht zu informieren, ist riskant

Aktionäre werden zunehmend unzureichend und verspätet über kursrelevante Entwicklungen informiert. Sie könnten sich wehren und Schadenersatz fordern. Unterschätzen Unternehmen wie VW oder RWE dieses Risiko?

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Nach Crash der VW-Aktien: Neben den Klagen der Autofahrer drohen Volkswagen Schadensersatzklagen der Aktionäre. Quelle: Marcel Stahn

Am Dienstag um 11:39 Uhr veröffentlichte die Volkswagen AG per Ad-hoc-Mitteilung eine Gewinnwarnung. Das Volkswagen-Management tat das, um anlässlich der Abgasaffäre seine kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten zu erfüllen. Allerdings ist der Erfolg dieser Maßnahme zumindest zweifelhaft - denn Zeitpunkt und Inhalt der Mitteilung werfen Fragen auf.

Das Gesetz ist eindeutig: Rechtliche Grundlage einer sogenannte "Ad-hoc-Mitteilung" ist § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes. Danach ist ein Inlandsemittent von Wertpapieren – in Deutschland wie in den meisten anderen Industriestaaten auch - zu unverzüglicher Veröffentlichung von Informationen verpflichtet, die das Potenzial haben, den Kurs des Wertpapiers erheblich zu beeinflussen.

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Diese einfache Vorschrift gilt als wesentliche Säule kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten. Sämtliche Kapitalanleger sollen chancengleich das Risiko einer Anlage bewerten und jeweils eine informierte Kauf- oder Verkaufsentscheidung treffen können – Insidergeschäfte sollen vermieden werden. Es ist also kein Zufall, wenn etwa der börsennotierte Bundesligist Borussia Dortmund den Transfer von Mario Götze zunächst dem Kapitalmarkt - via Ad-hoc Mitteilung - und erst anschließend den Lesern des Fachmagazins "kicker" mitteilt.

Hat sich Volkswagen in der Abgasaffäre nun zu viel Zeit mit einer kapitalmarktrechtlichen Information gelassen?

Gut möglich, dass dies vor Gericht zu entscheiden ist. Jedenfalls erfolgte die erste Ad-hoc-Mitteilung an Tag fünf nach Mitteilung der US-Umweltbehörde EPA vom vergangenen Freitag, die den Abgasskandal ins Rollen brachte. Inzwischen hatte der Konzern die Vorwürfe eingestanden und  am Montag einen Verkaufsstopp von Dieselwagen mit Vierzylinder-Motoren in den USA veranlasst. Es mag Gründe für Zeitpunkt und Inhalt der konkreten Ad-hoc-Mitteilung geben, aber am Kapitalmarkt sind fünf Tage eine Ewigkeit. Aus Sicht der VW-Aktionäre entsprechen diese fünf Tage einem Kursverlust im zweistelligen Milliardenbereich.

Enttäuschte Kapitalanleger könnten nun versuchen, auf Schadensersatz zu bestehen. Institutionelle Investoren wie etwa Investmentfonds dürften sogar gegenüber ihren Kapitalanlegern zu einer Anspruchsprüfun verpflichtet sein. Ganz in diesem Sinne sieht das Kapitalmarktrecht – mit § 37b des Wertpapierhandelsgesetzes – einen Ersatzanspruch bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unzureicheder oder verspäteter Ad-hoc-Publizität vor; entsprechende Ansprüche bestehen dann etwa in Höhe eines erlittenen Kursverlusts. 

Börse nimmt Autobauer in VW-Sippenhaft

In der Praxis stehen geschädigte Anleger dabei nicht allein: Sie können ihre Interessen in Musterverfahren nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz-KapMuG) bündeln. Derartige Verfahren sind in jüngster Vergangenheit in den Sachen Hypo Real Estate Holding AG weitgehend erfolgreich durchgeführt worden (OLG München, Musterentscheid vom 15.12.2014 – Kap 3/10). Die Anforderungen an die (prozessuale) Darlegungs- und Beweislast in einem solchen Verfahren sind allerdings hoch, und die Verfahren erstrecken sich – abhängig von der individuellen Komplexität – über mehrere Jahre.

Insiderkontrollverfahren wurden eingeleitet

Generell wird die Kursrelevanz von Manipulationen in Kerngeschäftsfeldern nur schwer zu widerlegen sein. Noch ist unklar, ob Volkswagen tatsächlich erst am Freitag vergangener Woche durch die Presse von den Ermittlungen der US-Behörde und den Manipulationen erfahren hat. Aber selbst dann stellt sich die Frage, ob die Mitteilung am darauffolgenden Dienstag nicht zu spät erfolgte. Das Interesse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist jedenfalls geweckt; ein Insiderkontrollverfahren ist eingeleitet.

Drastische Kurseinbrüche oder erhebliche Kurssteigerungen einer Aktie vor der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung sind generell auffällig. Auch, wenn eine Ad-hoc-Mitteilung - lange oder dauerhaft - ausbleibt, stellen sich Fragen. Dies gilt insbesondere, wenn man sich den aktuellen Kurseinbruch der RWE-Aktie vor Augen führt.

Seit dem 13. August 2015 – dem Tag der Veröffentlichung des Halbjahresfinanzberichtes seitens der RWE AG – hat die Aktie einen Verlust in Höhe von nahezu 50 Prozent erlitten - ganz ohne eine Ad-hoc-Mitteilung, insbesondere ohne eine Gewinnwarnung. Die BaFin ermittelt zwischenzeitlich, sowohl im Hinblick auf Insidergeschäfte als auch Kursmanipulationen.‎ Auch in diesem Fall sind Schadensersatzansprüche zugunsten ‎betroffener Kapitalanleger zu prüfen. So oder so: Das letzte Wort scheint auch in diesem Fall noch nicht gesprochen.

Nicht zuletzt ist ein Aspekt noch gar nicht in den Fokus der Beteiligten gerückt: Lässt sich im Einzelfall eine vorsätzliche Verletzung einer Ad-hoc-Pflicht nachweisen - und ist es in der Zwischenzeit zu einem nennenswerten Kursverfall ‎der Aktie gekommen -, stellt sich die Frage, ob nicht wiederum dieser Umstand, also die vorsätzliche Pflichtverletzung verbunden mit einer enorm hohen Schadensersatzpflicht, eigenständig und zusätzlich Ad-hoc-pflichtig ist.

Abseitig ist dies nicht, denn: Der Emittent muss, will er sich nun vollends pflichtgerecht verhalten, nahezu alles melden. Das aber käme mehr oder weniger einer Schuldanerkenntnis in Bezug auf seinen vergangenen Pflichtverstoß gleich. Will der Emittent dieses Schuldanerkenntnis vermeiden, begibt er sich - wieder und erneut - in die Gefahr, bei fortlaufend signifikantem Kursverfall auch für diesen haftbar zu sein.

Das Thema "vorsätzlich unzureichende Ad-hoc-Mitteilung" kann so eine nicht endende Spiralwirkung entwickeln – und hat eine derartige Sprengkraft, dass – bei anhaltenden Kursverlusten –allein dadurch weitere nennenswerte Kursverluste und ein Insolvenzrisiko des Emittenten nicht ausgeschlossen werden können.

Warum sich Emittenten dem Risiko unzureichender oder verspäteter Kapitalmarktinformation aussetzen, ist aus rechtlicher Sicht nur schwer nachzuvollziehen.

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