Lebensversicherung Warum die Lebensversicherer im Abseits stehen

Niedrige Zinsen und ein teurer Vertrieb machen es den Lebensversicherern schwer, hohe Überschüsse für ihre Kunden zu erwirtschaften. Aber: Kein Kunde hat in der Finanzkrise Geld verloren. Ob das so bleiben wird und welche Renditen noch drin sind, diskutierten Top-Experten am runden Tisch der WirtschaftsWoche.

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lörper

Meine Herren, die Finanzkrise hat unsere Vorstellungen vom Anlegen kräftig erschüttert. Das Risiko, dass eine Großbank insolvent wird, war vor 2007 eher ein theoretisches. Heute rechnen wir damit, dass Banken und Länder pleitegehen. Warum profitiert die als langweilig und sicher eingeschätzte Lebensversicherung so wenig von dieser Entwicklung?

Jaeger: Die Unsicherheit hat zugenommen, also wollen sich Anleger weniger langfristig binden – nicht nur, weil die Finanzmärkte sich ständig verändern, sondern auch, weil die Arbeitswelt immer flexibler wird. Arbeitsplatz und Einkommen sind damit nicht mehr so sicher. Der Anleger will kurzfristig verfügbare Investments. Deshalb bekommen die Lebensversicherer ein Problem.

Lörper: Mit kurzfristigen Anlagen kann niemand sein Alter absichern.

Jaeger: Doch, er kann ja erneut anlegen.

Albers: Die jährliche Stornoquote der Lebensversicherer liegt bei rund fünf Prozent. 50 bis 70 Prozent der Lebensversicherungskunden halten ihren Vertrag nicht bis zum Ende durch. Viele Verbraucher, die zu mir in die Beratung kommen, sind verunsichert, weil die Renditen ihrer Policen seit Jahren zurückgehen. Sie brauchen viel flexiblere Produkte, die sie auch ohne großen Verlust vorzeitig verkaufen können.

Lörper: Das Bedauerliche ist, dass man nicht gleichzeitig eine hohe Rente und Flexibilität haben kann. Natürlich wäre es schön, unsere Produkte wären jederzeit auflösbar. Nur kann man mit solchen Produkten keinen Vertrieb finanzieren: Lebensversicherungen müssen aber mit einem hohen Beratungsaufwand aktiv verkauft werden, denn es geht ja um langfristige Vorsorge. Breite Kreise der Bevölkerung schaffen es nicht, über 20 Jahre ein paar Euro zurückzulegen. Daher ist letztendlich ein gewisser Sparzwang erforderlich.

Wie sind die Lebensversicherer denn nun durch die erste Phase der Finanzkrise gekommen?

Meisch: Kein Kunde hat Geld verloren. Versicherte haben von dem größten Finanzmarkt-Tsunami aller Zeiten nicht viel gemerkt.

Jaeger: Aber nur deswegen, weil die Banken und der Pfandbriefmarkt von Staaten und Zentralbanken gestützt wurden. Wäre dies nicht passiert, wären die Versicherungen genauso getroffen worden wie die Banken.

Weil Versicherungen zu stark in Papiere von Banken investiert haben?

Ockenga: Die mit Banken verbundenen Risiken der Branche haben deutlich zugenommen.

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Wie dramatisch ist das?

Ockenga: Momentan gehen wir nicht davon aus, dass Gesellschaften ausfallgefährdet sind - und als Ratingagentur bewertet, die einen Großteil der Branche bewertet, haben wir einen ziemlich guten Einblick. Die Versicherer versuchen jetzt, Klumpenrisiken zu reduzieren, das heißt, große Positionen gegenüber einzelnen Bankenabzubauen und stärker zu diversifizieren, vermehrt auch auf europäischer Ebene.

Meisch: 60 bis 70 Prozent der Kapitalanlagen sind derzeit Bankenrisiken. Die Krise hat verdeutlicht, dass die Quote zu hoch ist. Die Branche arbeitet daran, sie zu reduzieren.

 60 bis 70 Prozent bei Banken, die zum Großteil vom Staat gerettet wurden - haben die Versicherer zu riskant angelegt?

Ockenga: Sie brauchen den Finanzsektor. Die gesamte deutsche Versicherungsbranche investiert 1,3 Billionen Euro - wo wollen Sie dieses Geld anlegen? Natürlich auch in Staatsanleihen, aber nicht nur. Unternehmensanleihen sind zum Teil hochspekulativ, auch Industrieunternehmen können als Schuldner ausfallen.

Lörper: Wir haben bei uns im Haus einmal rechnen lassen, was passiert wäre, wenn der staat den Banken nicht geholfen hätte. Selbstverständlich hätte uns das getroffen. Aber wir sind so gut diversifiziert, dass wir auch in einem solchen Fall unsere Leistungsversprechenhätten erfüllen können. Diese Diversifizierung kann der einzelne Anleger so nicht erreichen.

Meisch: Letztendlich kaufen Sie sich als Versicherungskundeeine spezielle Vermögensverwaltung, ein großes Portfolio, das reguliert und abgesichert ist. Sie bekommen das Know-how von leuten, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als dieses Geld zu vermehren - und die in der Lage sind, immer wieder zu reagieren.

Lörper: Natürlich knipsen die Krisen auch bei uns kleine Leuchten an und erinnern uns an Dinge - dass Wetten zum Beispiel nur schön sind, wenn man sie gewinnt. Und nur wer wettet, wird große Gewinne einfahren. aber was ist, wenn nicht? Es ist ein Qualitätskriterium unseres Produkts, dass wir systematisch nicht wetten.

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Die Lebensversicherung als solide Vermögensverwaltung für Normalanleger, die sich nicht groß um Geld kümmern wollen. Herr Albers, kann so etwas funktionieren?

Albers: Versicherte haben in der Krise kein Geld verloren, das ist korrekt. Aber ich würde mich gegen die Aussage stellen, dass die Kapitallebensversicherung sich als Anlageprodukt für die Altersvorsorge bewährt hat. Anleger sollten trennen zwischen Sparen und der Absicherung von Risiken. Letzteres kann nur die Lebensversicherung übernehmen, zugegeben. Zum Sparen aber gibt es rentablere Alternativen, weil die Kosten dieser schönen Vermögensverwaltung einfach zu hoch sind.

Lörper: Natürlich entstehen bei der Beratung Kosten, wie bei anderen Finanzprodukten auch. Beratung ist aber notwendig, weil Altersvorsorge erstens komplex und zweitens für den Einzelnen wichtig ist. Natürlich birgt auch die Kapitalanlage, die wir für unsere Kunden durchführen, Risiken. Wir haben aber das Instrumentarium, diese Risiken professionell zu managen.

Meisch: Der sehr gut informierte Kunde könnte sich sein Portfolio vielleicht selbst bauen. Aber das sind nur die wenigsten. Und über die letzten 20 Jahre haben die Renditen der deutschen Lebensversicherer sogar den Dax geschlagen.

Wer bei der falschen Versicherung landet, lebt mit mageren Zinsen. Einige Versicherer hatten vor dem Jahr 2000 opportunistisch viel zu stark in Aktien investiert. Ihre Reserven und damit die Renditen der Kunden schrumpften drastisch.

Jaeger: Die Mannheimer Versicherung ging sogar pleite...

Lörper: ...wurde aber von unserer Branchensicherung Protektor  aufgefangen. Kein Kunde verlor Geld. Im Übrigen sind diese Verluste Vergangenheit. Wer jetzt neu anfängt, profitiert von den Kapitalanlagen der kommenden 30 Jahre – und nicht von denen der letzten 20.

Aber Sie können doch nicht ausschließen, dass sich das Aktiendebakel bei anderen Papieren wiederholt?

Lörper: Sicher, höhere Renditen als die für Bundesanleihen bekommt man nicht risikofrei, sondern nur, wenn man Risiko nimmt. Es werden immer irgendwelche Papiere aus-fallen. Und diese Papiere werden auch im Depot von Lebensversicherern liegen, wenn wir einen attraktiven Aufschlag gegenüber anderen Papieren bekommen. Aber wir kaufen eben nur so wenig, dass wir auch in einem schlechten Jahr unsere Kunden gut bedienen können.

Albers: Der Einzelne könnte ein Problem haben, wenn er sich nur auf eine Versicherung verlässt.

Lörper: Aber kein existenzielles. Denn wir haben Protektor.

Albers: Also fünf Mal die Mannheimer – ich denke nicht, dass Protektor das ausgestanden hätte. Auch die Einlagensicherung der deutschen Banken kam nach dem Lehman-Crash an ihre Grenzen.

Lörper: Die Lehman-Papiere waren in der Regel nicht besichert, unsere Papiere aber schon.

Albers: Wäre es nicht eine Strategie, wenn ich schon in Lebensversicherungen investiere, dies bei mehreren Anbietern zu tun?

Jaeger: Das lohnt sich nicht für Kleinsparer.

Herr Meisch, Sie verlassen sich vor allem auf Streuung. In der Krise aber sind nahezu alle -Anlagen parallel gefallen. Gibt es überhaupt noch sichere Anlagen?

Meisch: Nach wie vor ist Diversifikation das Richtige – auch wenn sie zeitweise nicht funktioniert hat. Heute stehen wenige sehr große Finanzinstitute im Zentrum der globalen Märkte. Das sind die großen Top-Broker, JP Morgan, die Deutsche Bank, solche Adressen. Sie sind vernetzt, durch gegenseitige Derivate-Geschäfte, Absicherungstransaktionen, wie immer man das nennen will. Als dieses Zentrum in Gefahr geriet, als das Risiko bestand, dass das Herz der Finanzbranche aufhört zu schlagen, flüchteten Investoren aus allen Anlagen. Nur Staatsanleihen profitierten von der Flucht in Qualität.

Selbst diese Qualität ist heute nicht mehr uneingeschränkt vorhanden. Wir reden vom Ende der Euro-Zone und von drohenden Staatspleiten. -Bereitet Ihnen das keine Bauchschmerzen?

Lörper: Dass wir über Länderrisiken nachdenken müssen, ist in der Tat neu. Früher galt, dass man, wenn man nicht gerade argentinische Staatsanleihen kaufte, kein Problem hatte. Aber wir sehen, dass Dinge sich neu entwickeln, und reagieren darauf.

Ockenga: 2009 haben Versicherer verstärkt in europäische Staatsanleihen investiert. Dieser Anteil an den Kapitalanlagen dürfte sich im Jahresvergleich circa verdoppelt haben. Der Anteil von Portugal, Irland und Griechenland dürfte bei den Versicherern pro Land aber immer noch jeweils unter einem Prozent der Kapitalanlagen liegen – ist also durchaus sehr gering. Die Positionen gegenüber Spanien und Großbritannien sind allerdings höher.

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Herr Meisch – griechische Staatsanleihen: ja oder nein?

Meisch: Wir haben für Griechenland ein sehr niedriges Limit, doch das haben wir in den -letzten sechs Wochen voll ausgeschöpft und halten jetzt ganze 0,5 Prozent unserer Anlagen in griechischen Staatsanleihen. Wir gehen also davon aus, dass die Euro-Zone intakt bleibt und dass es Hilfsmaßnahmen geben wird. Um sieben Prozent für Staatsanleihen zu bekommen, müssen Sie ansonsten in Entwicklungsländer in Asien oder Afrika gehen. Da bleibe ich lieber in Griechenland, wo es den Euro gibt.

Jaeger: Das läuft wie 2008 bei den Banken. Länderrisiken sind systemische Risiken. Es wird alles versucht werden, den gefährdeten Ländern zu helfen. Dafür brechen Regierungen auch den Währungsunion-Vertrag von Maastricht, der Hilfeleistungen verbietet.

Meisch: Davon ist auszugehen.

Jaeger: Der Fall Griechenland signalisiert, dass der Vertrag nicht eingehalten wird. Andere Mitgliedstaaten werden jetzt weiter versuchen, ohne Schuldenabbau durchzukommen.

Meisch: Problematisch wird es, wenn das gleiche Spielchen mit Spanien oder Großbritannien läuft. Das sind die zwei wirklich dicken Brocken. Großbritannien gehört zwar nicht zur Euro-Zone, aber genießt irgendwie doch Europa-Schutz. Griechenland, das muss man nüchtern sehen, ist ein geringeres Problem als die Hypo Real Estate. Wenn ein großes Land zahlungsunfähig würde, könnte es zu einem Test kommen, von dem ich nicht weiß, wie der ausgeht. Deshalb investieren wir in diese Länder auch nur in ganz geringem Maße.

Angesichts so gravierender Unsicherheit verwundert es doch nicht, dass viele Kunden sich deshalb nicht mehr auf 20, 30 Jahre mit einer Lebensversicherung festlegen wollen.

Lörper: Unsicherheit kann doch auch ein Grund sein, uns als professionelle Vermögensverwalter zu beauftragen. Es kommt auf das Produkt an. Die Leute kaufen zum Beispiel gerne Riester-Verträge, die nun wirklich langfristig angelegt sind. Die klassischen Policen, bei denen laufend Beiträge gezahlt werden, laufen zurzeit schwach, das stimmt. Aber das wird wieder kommen.

Albers: Das Grundübel der Planung von Altersvorsorge ist mangelndes Wissen. Für viele ist schon Zinseszinsrechnung ein Fremdwort. Und viele vergessen: Von der Kaufkraft her sind 100 000 Euro in 30 Jahren nur noch die Hälfte wert. Doch wer sein Geld verwalten lässt, egal, ob durch die Versicherung oder die Bank, zahlt immer hohe Kosten.

Wie lassen sich die vermeiden?

Albers: Eine Alternative zu Fonds oder Versicherungen wäre eine Bundesanleihe. Zum Beispiel mit 24 Jahren Restlaufzeit. Da bekomme ich vor Steuern 3,87 Prozent Rendite – fest, wohlgemerkt. Und nach Steuern 2,82 Prozent.

Lörper: Eine 24-jährige Bundesanleihe ist ein sehr spekulatives Produkt.

Meisch: Wenn die Inflation kommt, und die Zinsen steigen auf sechs Prozent, dann fällt der Kurs des Papiers garantiert unter 90 Prozent.

Jaeger: Inflation ist kein Argument, die kommt nicht über Nacht. Krisen auch nicht.

Meisch: Die Zinsen können auch steigen, ohne dass die Inflationsrate markant anzieht. Alle Staaten haben gigantische Haushaltsdefizite zu finanzieren. Investoren werden das nicht ewig zu drei Prozent Zins für sie übernehmen, sondern sie werden mehr fordern.

Ockenga: Die alleinige Investition in eine 24-jährige Bundesanleihe ist eine extreme Wette auf auch zukünftig niedrige Zinsen und damit ziemlich spekulativ. Lebensversicherer haben im Kapitalanlagemanagement Expertise und streuen ihre Kapitalanlagen. 2009 verdienten die Versicherer trotz des Niedrigzinsumfelds im Branchenschnitt 4,2 Prozent mit ihren Kapitalanlagen. Das entspricht exakt der aktuellen Überschussbeteiligung.

Meisch: Und wir bieten ein abgesichertes Produkt mit jährlicher Garantieverzinsung. 

Albers: Na ja, Sie wissen aber auch, dass Ihre Kunden – bezogen auf die Garantieverzinsung – in der Regel 92 Jahre alt werden müssen, bevor sich eine private Rentenversicherung lohnt, dass sie also erst mit 92 mehr herausbekommen, als sie eingezahlt haben.

Lörper: Die 92 Jahre stimmen aber nur dann, wenn Sie mit 65 eine feste Summe in eine Rentenpolice einzahlen. Wenn Sie aber mit 30 anfangen zu sparen, stimmen 92 überhaupt nicht.

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Herr Ockenga, wie beurteilen Sie die Fähigkeit der Versicherer, künftig hohe Renditen zu zahlen?

Ockenga: Man muss unterscheiden zwischen der Erwirtschaftung der Garantien und der Überschussbeteiligung. Lebensversicherer strukturieren ihre Kapitalanlagen zunächst immer so, dass der Garantiezins sicher erwirtschaftet werden kann – das ist auch aufsichtsrechtlich vorgegeben. Auf längere Sicht dürfte die Branche durchaus den durchschnittlichen Garantiezins von 3,4 Prozent erwirtschaften können. Das hängt damit zusammen, dass die Versicherer nicht nur die von ihren Kunden aktuell eingezahlten Beiträge anlegen können, sondern auch noch Reserven und Pufferpositionen haben, die Zinsen bringen.

Albers: Trotzdem kommen Versicherer doch aktuell von zwei Seiten unter Druck. Zum einen wollen Kunden sich immer weniger langfristig binden, zum anderen haben Sie Probleme, hohe Renditen zu liefern und langfristig die versprochene Verzinsung zu verdienen.

Lörper: Nun ja, die Garantieverzinsung im Neugeschäft liegt derzeit bei 2,25 Prozent. Die zu schaffen ist wirklich kein großes Problem.

Jaeger: 2,25 Prozent sind auch nicht gerade attraktiv. Hinzu kommt, dass diese Quote sich nicht auf alle vom Kunden eingezahlten Beiträge bezieht, sondern nur auf die Beiträge minus Kosten – es sind also 2,25 Prozent brutto, nicht netto.

Albers: Stimmt genau. Die Lebensversicherung verzinst nur den Sparanteil an den Beiträgen, der liegt bei rund 80 Prozent. Netto liegt der Garantiezins damit im Schnitt bei nur noch 1,8 Prozent. Da wird es für den Verbraucher sehr dünn.

Jaeger: Wenn Sie die Rendite nach zehn Jahren ausrechnen, sieht der Kunde ganz dumm aus.

Aber Versicherer zahlen ja mehr als die Garantie...

Albers: Gehen wir von der aktuell gezahlten Überschussbeteiligung  aus, landen wir bei rund 3,5 Prozent – netto, auf die eingezahlten Beiträge bezogen, aber vor Steuern. Die Frage ist legitim: Gibt es andere Kapitalanlagen, mit denen ich mich nicht so lange binde und die ähnlich viel abwerfen? Bei einer zehnjährigen Bundesanleihe kommen wir in diese Größenordnung.

Lörper: Mit der profitieren Sie dann aber nicht mehr von steigenden Zinsen – es sei denn, Sie schichten um. Und im Übrigen ist doch klar, dass unsere Policen keine Produkte für nur zehn Jahre sind.

Jaeger: Langfristig, also über 30 Jahre, haben auch Aktien immer gut abgeschnitten.

Ockenga: Sie dürfen aber auch nicht das aktuell niedrige Zinsniveau für die gesamten Kapitalanlagen heranziehen. Bei den Papieren der von uns analysierten Lebensversicherer liegt der durchschnittliche Zinskupon derzeit bei 4,5 Prozent. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass diese Versicherer noch viele ältere, höher verzinsliche Papiere haben. 2009 kauften die Gesellschaften darüber hinaus zum Beispiel Pfandbriefe, die Anfang des Jahres noch eine deutlich höhere Verzinsung hatten.

Albers: Das wird bei Neuanlagen aber nicht mehr funktionieren – es sei denn, Versicherer nehmen volles Risiko.

Ockenga: Nun, mit risikoreicheren Anlagen, wie zum Beispiel Aktien, halten sich die Versicherer derzeit deutlich zurück. Nur vereinzelt sehen wir hier Investitionen. Der Zinskupon für Neuanlagen der Lebensversicherer lag 2009 nach unseren Schätzungen im Schnitt immer noch bei 4,3 Prozent – also deutlich über dem, was Sie allein aus Bundesanleihen erwirtschaften können. 2009 wurden noch höher verzinsliche Staatsanleihen aus dem EU-Raum und Unternehmensanleihen beigemischt. Dadurch hat sich natürlich die Kreditqualität der festverzinslichen Papiere im Gesamtbe-stand leicht verschlechtert. Klar ist aber, dass das Zinsniveau in den Kapitalanlagen insgesamt rückläufig ist.

Jaeger: Wenn Sie über 30 Jahre gehen, ist das schön und gut, aber über die Hälfte der Verträge wird nicht bis zum Ende bedient.

Albers: Die Branche aber verlagert die Überschussbeteiligung immer mehr auf den erst am Ende der Laufzeit fälligen Schlussüberschuss . Da verlieren die meisten Kunden. Eine hohe Überschussbeteiligung nützt ihnen wenig, wenn sie eh nicht bis zum Ende durchhalten.

Jaeger: Deshalb lese ich bei den Versicherern auch nie über die Rendite bei einer Kündigung nach 5 oder 15 Jahren. Das wäre eine ehrliche Information für den Verbraucher. Er muss wissen, welche Renditen er bekommt, damit er vergleichen kann. Hier fehlt es an Transparenz.

Mit welcher Überschussbeteiligung können Kunden in Zukunft überhaupt noch rechnen?

Ockenga: Der Trend geht weiter klar nach unten. Einige Versicherer haben höhere Verluste eingefahren als ihre Wettbewerber und in der Krise Risikokapital verloren. Insofern wiederholt sich derzeit die Situation wie nach der letzten Aktienkrise 2002/03. Diese finanzschwächeren Gesellschaften müssen ihre Überschussbeteiligung voraussichtlich stärker senken als andere – und verlieren dementsprechend gegenüber kapitalstarken Versicherern an Boden.

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Herr Meisch, dann brauchen Sie irgendwann schon wieder höhere Zinsen, oder?

Meisch: Wunderschön wäre ein ganz geordneter, leichter Zinsanstieg, so auf 4,2 bis 4,8 Prozent. Dort könnten die Zinsen dann bleiben.

Lörper: Gefahr birgt ein kurzfristiger und drastischer Zinsanstieg. Wenn Pfandbriefe morgen acht Prozent bringen, liegt unsere Überschussbeteiligung eben immer noch bei gut 4,5 Prozent.

Albers: Dann dürften Sie nur schwerlich neue Kunden gewinnen.

Lörper: Mag sein. Aber die Bestandskunden sind in der dann vergangenen Niedrigzinsphase gut bedient worden. Im Moment haben wir unsere Kapitalanlagen im Schnitt auf sechs bis sieben Jahre angelegt, grob gesprochen wird unser Portfolio im Laufe von sechs, sieben Jahren komplett umgestellt. Wenn die Zinsen zu schnell steigen, kommen wir so schnell nicht hinterher. Aber das ist ja auch das Geschäftsmodell: die Glättung von Schwankungen. Ein kurzfristig orientierter Kunde kauft uns dann eine Lebensversicherung nicht mehr ab.

Jaeger: Das passiert doch jetzt schon. Die Bevölkerung schrumpft. Für die Branche bedeutet das doch, dass sie selbst bei gleichem Anlegerverhalten in Zukunft weniger Neugeschäft machen.

Albers: Wenn man die Policen herausrechnet, bei denen Anleger nur Einmalbeiträge einzahlen, schrumpfen die Beitragseinnahmen der Branche. Das Geschäft mit den klassischen Policen, bei denen Versicherte monatlich oder jährlich Beiträge einzahlen, ist regelrecht eingebrochen. Und wenn die Kapitalmarktzinsen wieder steigen sollten, fällt auch das Neugeschäft mit den Einmalbeiträgen weg.

Die Finanzaufsicht BaFin befürchtet, dass Sie das Geschäft mit neuen Kunden, die einmalig hohe Beträge zu attraktiven Zinsen bei Ihnen anlegen, auf Kosten Ihrer Altkunden subventionieren.

Meisch: Unsere Kunden wollen ihr Geld im Moment nicht langfristig anlegen. Sollen wir die jetzt zu den Banken schicken? Es kann uns doch niemand verübeln, dass wir als Branche das Geld erst mal reinholen, um es dann, später, in traditionelle Produkte zu überführen.

Albers: Ja, aber das geht zulasten der Kunden, die Sie schon lange im Bestand haben. Die Zinsen aus Kapitalanlagen, die diese mit ihren Beiträgen über Jahre aufgebaut haben, finanzieren die Lockvogelangebote für Neukunden.

Meisch: Nein, das ist bei uns nicht der Fall, da es sich im Grunde um eine Rentenversicherung handelt. Und außerdem: Derartige Einstiegsangebote machen Banken doch auch. Dort bekommen Sie am Anfang auch mehr Zinsen und später weniger. Wir haben unser sogenanntes Parkkonto seit vielen Jahren. Der Zins war nie besonders attraktiv. Anfang 2009 fielen die kurzfristigen Zinsen infolge der Finanzkrise– und das Produkt wurde plötzlich interessant. Wir konnten so neue Kunden gewinnen. Die Branche hat die Chance, mit diesem Geld zu arbeiten, im Wettbewerb mit Banken oder Fondsgesellschaften.

Jaeger: Sie machen Bankgeschäfte. Wenn sich das ausweitet, wird das Bankgeschäft der Versicherer immer größer. Und dann müssten Sie doch in die ganze Diskussion um Absicherung vor Bankencrashs und die Einlagensicherung mit einbezogen werden. Aber dagegen wehren sich die Versicherer immer und sagen: Wir sind keine Banken. Da müssen Sie sich entscheiden.

Herr Lörper, finanzieren die treuen Kunden die Zinsjäger – oder nicht?

Lörper: Bei Ergo haben wir für das Geschäft mit Einmalbeiträgen einen eigenen Topf, damit überhaupt gar nichts mit dem anderen Geschäft vermischt werden kann.

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Wenn die Zinsen insgesamt nach oben drehen, werden Sie diese Gelder nicht mehr bekommen.

Lörper: Dann machen wir kein neues Geschäft mehr, aber die Altkunden sind treu und bleiben. Viele Kunden reagieren auf Zinsbewegungen mit einer gewissen Trägheit, darauf setzen übrigens auch die Banken.

Aber Sie können doch nicht ernsthaft auf die Trägheit der Kunden setzen.

Meisch: Wir haben bei der Gothaer die Zinsen für 2010 deutlich gesenkt, aber die Kunden ziehen das Geld trotzdem nicht ab. Wenn der Kunde drei Jahre bleibt, hat sich das Geschäft für uns gelohnt.

Zurzeit boomen die Börsen, die Versicherer aber sehen mit minimalen Aktienbeständen nur zu. Ärgert Sie das?

Meisch: Vor knapp zehn Jahren haben viele Versicherer mit Aktien verloren. Daraufhin hat der Gesetzgeber reagiert und Stresstests eingeführt. So vermeiden wir Schwankungen.

Lörper: Unser Grundmaterial, in das wir investieren, sind festverzinsliche Wertpapiere. Seit die nicht mehr so hoch rentieren, können wir aus der Rendite dieser Papiere nicht mehr so viel Reserven, also Puffer aufbauen, um mögliche Verluste mit Risikopapieren abfangen zu können. Deshalb können wir nur noch wenig Aktien kaufen. Wenn ich nur eine Rendite von 4,2 Prozent habe und durchschnittlich 3,5 Prozent Garantieverzinsung zahlen muss, habe ich kaum noch Spielraum für Aktien.

Also werden die deutschen Lebensversicherer erst wieder massiv an der Börse einsteigen, wenn sichere Anleihen sechs oder sieben Prozent abwerfen?

Meisch: Vermutlich selbst dann nicht. Auf unsere Branche und andere Kapitalsammelstellen kommen neue Regeln zu – ob 2013 oder erst 2015 ist noch nicht klar –, die es uns in Zukunft unmöglich machen, Aktien zu kaufen.

Weil Sie für sie so viel Eigenkapital hinterlegen müssen?

Meisch: Genau. Das wird ein echtes Problem für unsere Volkswirtschaft. Eine der bisher größten Investorengruppen wird von der Börse und von der Finanzierung von Unternehmen ferngehalten. 

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