Aufruhr im Riesenreich China verspricht Wohlstand - aber keine Freiheit

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Stolz auf die Weltmacht

In sein drei Quadratmeter großes Kabuff hat Chen Tingyao, ein Veteran der Volksbefreiungsarmee, einen Bürostuhl, einen kleinen Schreibtisch, seine Teekanne, Computer und Telefon hineingezwängt. Die Wohnanlage, deren Einfahrt der 70-Jährige bewacht, besteht aus mehreren denkmalgeschützten Gebäuden im ehemals französisch kontrollierten Teil von Shanghai – prächtige, etwas heruntergekommene Häuser im Art-déco-Stil, in denen heute reiche Chinesen und Ausländer wohnen.

Nach Shanghai kam Chen vor sechs Jahren. „Ich muss Geld verdienen“, sagt der dünne, gut gelaunte Mann. 16 Jahre war er alt, als er sich zur Armee gemeldet hat. Später arbeitete er in einer Ziegelfabrik. Auf dem Land erhält er eine Rente in Höhe von umgerechnet acht Euro. Hier bekommt er umgerechnet 200 Euro als Parkwächter.

Deutsche sehen China als Bedrohung
Wirtschaftsmacht37 Prozent der befragten Deutschen assoziieren mit China vor allem eine starke Wirtschaftsmacht. Faszination und Angst polarisieren hierzulande die Bevölkerung im Bezug auf Chinas ökonomische Stärke. Das Land wird als Schlüsselrolle für die eigene und internationale Entwicklung gesehen und 57 Prozent der Befragten beurteilen die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sogar als wichtiger als die zu den USA. Gleichzeitig geht mit dem Wirtschaftsboom Chinas aber auch die Angst einher, chinesische Unternehmen könnten deutsche Firmen von den internationalen Märkten verdrängen. 59 Prozent der Deutschen empfinden Chinas starke Wirtschaft daher als Bedrohung. Quelle: dpa/dpaweb
BevölkerungswachstumBabyboom und Bevölkerungswachstum, daran denken 20 Prozent der Deutschen, wenn sie das Stichwort China hören. Derzeit leben 1,35 Milliarden Menschen in China, die Bevölkerungsdichte beträgt 143 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch die Bevölkerung wird noch weiter wachsen, um 0,6 Prozent pro Jahr. Für 2032 rechnen Statistiken mit 1,467 Milliarden Menschen in China, bei einer gleichbleibenden Fertilitätsrate von 1,7 Kindern pro Frau. Viele Deutsche sehen das auch als Bedrohung an. Quelle: REUTERS
Kommunismus15 Prozent fällt spontan der Kommunismus ein, wenn sie an China denken. Während China im ökonomischen Bereich erfolgreich in den internationalen Handel eingebettet wurde und sich für ausländische Investoren geöffnet hat, ist das Land politisch in den Augen der Deutschen weiterhin ein diktatorisches Ein-Parteien-System unter Führung der Kommunistischen Partei. Die ist mit etwa 78 Millionen Mitglieder nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt, sondern auch die mitgliederstärkste Partei allgemein. Deutsche verbinden mit ihr ein vornehmlich negatives Bild. Quelle: REUTERS
Chinesische MauerMan kennt sie aus Reiseprospekten und gefühlt jedes zweite China-Restaurant ist nach ihr benannt. Nicht weiter verwunderlich also, dass 15 Prozent der Befragten mit China die Chinesische Mauer assoziieren. Sie gilt als Weltkulturerbe und erstreckt sich über 21.196 Kilometer. Früher sollte die Mauer vor allem zum Schutz vor Völkern aus dem Norden dienen, heute ist sie eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Chinas und lockt Reisende aus aller Welt an. 36 Prozent der Befragten haben daher sehr großes oder großes Interesse an China als Reiseland. Quelle: dpa
Chinesisches EssenPeking-Ente, Reis süß-sauer - und das alles mit Stäbchen: 14 Prozent der befragten Deutschen denken beim Stichwort China an chinesisches Essen. Was Viele aber nicht wissen: Chinesisches Essen ist nicht gleich chinesisches Essen. Die meisten der 23 Provinzen Chinas haben ihre eigene Regionalküche. Zu den populärsten gehört die würzige Küche aus Sichuan, die gerne Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln verwendet, die scharfe Xiang-Küche aus Hunan und die kantonesische Yue-Küche, die vor allem durch die Verwendung ungewöhnlicher Zutaten wie Hundefleisch bekannt geworden ist. Übrigens: Die Peking-Ente ist das berühmteste Gericht der chinesischen Küche. Quelle: REUTERS
MenschenrechtsmissachtungEbenfalls 14 Prozent fallen zu China Menschenrechtsverletzungen ein. Auf die Frage, wo sie das Land gegenwärtig und in 15 Jahren beim Schutz der Menschenrechte sehen, ordneten 60 Prozent der Befragten die Volksrepublik in die Schlussgruppe ein, nur 1 Prozent sieht China als Spitzengruppe in Bezug auf Menschenrechte. Auch das Bild Chinas als ein Rechtsstaat stößt auf wenig Zustimmung bei den Deutschen. 49 Prozent stimmten der Aussagen gar nicht zur, nur 1 Prozent sieht China als Rechtsstaat an. 80 Prozent der befragten Bevölkerung geht außerdem davon aus, dass in China kaum oder keine Debatten über politische Themen geführt werden. Quelle: dpa
Diebstahl von Ideen12 Prozent denken, China spioniere deutsche Unternehmen aus und verkaufe die Ideen aus dem Westen als eigene. Nachgebaute Ware aus China, oft zum Spottpreis, macht deutschen Unternehmen das Leben schwer. Auch das Markenimage chinesischer Produkte ist bei den befragten Deutschen schlecht. So assoziieren viele Konsumenten in Deutschland chinesische Produkte mit einfache, technisch wenig anspruchsvolle Billigware. Quelle: dpa

Eine junge Frau fährt mit einem neuen BMW in die Einfahrt. Chen weist der Dame einen Parkplatz zu und setzt sich wieder. Neid auf den Reichtum der jungen Städter kennt er nicht: „Bei mir bekommt jeder einen Parkplatz – egal, welches Auto er fährt!“

Wenn es um sein Heimatland geht, blitzen die alten Soldatenaugen. „China ist auf dem Weg zur Weltmacht, das macht mich stolz“, sagt Chen und hebt den Zeigefinger. „Allerdings neiden viele Nachbarländer uns diesen Erfolg!“

Welt profitierte von Chinas Wachstum

Bisher verlief Chinas Aufstieg friedlich. Vom Wachstum des Landes profitierte die ganze Welt. Die Amerikaner kauften billige Produkte und bezahlten sie mit amerikanischen Staatsanleihen. Die wechselseitige Abhängigkeit war auch friedenssichernd. Deutsche und Japaner verkauften Millionen von Autos und Maschinen nach China, und als 2008 die Finanzkrise die westliche Welt erschütterte, trug das gigantische chinesische Konjunkturpaket zur globalen Stabilisierung bei.

Aber das war gestern. Unter Xi Jinping dehnt China seine Einflusssphäre aus. Peking beansprucht mit völkerrechtlich zweifelhaften Argumenten Inseln im Südchinesischen Meer und rüstet auf. Die Militärausgaben steigen Jahr für Jahr zwischen 10 und 20 Prozent.

Der alte Soldat Chen freut sich über so etwas. Für ihn sind endlich die Jahre der Demütigung Chinas vorbei. Jeden Tag liest er die „Renmin Ribao“, die Volkszeitung. Im scharfen nationalistischen Ton berichtet das Parteiorgan über die Konflikte mit den Nachbarn: Vietnam, die Philippinen, und immer wieder Japan.

Der siegreiche Kampf gegen die japanischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg gehört zur Heldengeschichte der chinesischen KP. Jedes chinesische Schulkind hört von den Gräueltaten der japanischen Invasoren vor 1945. Da wird der Streit mit Tokio um die bis auf ein paar Ziegen unbewohnten Diaoyu-Inseln zum Anlass für die chinesische Führung, ihre wachsende Stärke nach außen und innen zu demonstrieren, mit der Entsendung von Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen, aber auch mit Drohungen gegen japanische Unternehmen in China.

Worauf Chinesen im Urlaub Wert legen
Eine Studie der internationalen Strategieberatung OC&C Strategy Consultants hat das Reise- und Konsumverhalten chinesischer Touristen und Geschäftsreisender untersucht. Dafür wurden 2.750 kürzlich ins Ausland gereiste Chinesen über ihre Reiseplanung, das Kaufverhalten während der Reise sowie ihre Hauptreiseziele befragt. Es zeigt sich, dass Chinesen zunehmend individuell planen und reisen – und gerne auf Reisen shoppen, sowohl für sich als auch für andere. Quelle: AP
Das ist besonders für den Handel in Europa interessant, denn Chinesen geben auf Reisen gerne Geld aus. Doch vielen Händlern fehlt eine klare Strategie, um das Potenzial auszuschöpfen. "Die Voraussetzung ist ein tiefes Verständnis der verschiedenen Kundensegmente, denn den chinesischen Reisenden gibt es nicht“, weiß Kerstin Lehmann von OC&C Deutschland. Besonders wichtig sei, dass man von der Vorstellung loskomme, dass Chinesen vor allem in größeren Gruppen unterwegs seien. "Tatsächlich nehmen Individualreisen kontinuierlich zu – gerade unter vermögenden, gut gebildeten Chinesen", so Lehmann. Quelle: AP
Im Jahr 2014 werden die Chinesen über 100 Millionen Auslandsreisen unternehmen. Und dank einer wachsenden, finanziell gut ausgestatteten Mittelschicht wird sich diese Zahl innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln. Steigende Passagierzahlen und wachsende Reisebudgets chinesischer Touristen und Geschäftsreisender lassen deren Konsumausgaben in die Höhe schnellen. Auch in Deutschland werden Tourismus und Handel von diesem Boom profitieren – insgesamt jedoch etwas verhaltener als andere westliche Länder. Quelle: AP
Denn an der Spitze der beliebtesten Reiseziele chinesischer Touristen stehen neben der Region „Greater China“ (mit Hongkong, Macao und Taiwan) vor allem Frankreich, Großbritannien und die USA. Deutschland gilt zwar als sicher und gut organisiert, doch Touristenattraktionen und Shopping-Möglichkeiten werden vergleichsweise schwach bewertet. Quelle: REUTERS
"Wir halten den Reisestrom aus China in westliche Länder für nachhaltig", sagt Kerstin Lehmann, die für den Handelsbereich verantwortliche Partnerin bei OC&C in Deutschland. Als Motivation für Auslandsreisen geben die meisten Befragten mehrere Beweggründe an – für 75 Prozent ist Sightseeing Hauptzweck der Reise. Quelle: AP
Doch auch Shopping ist ein zentraler Beweggrund für Auslandsreisen: 61 Prozent der Befragten nannten dies as Motiv für Reisen. Den Ruf als „Big Spender“ verdanken chinesische Touristen aber auch den hohen Ausgaben für Einkäufe: Sie machen durchschnittlich fast die Hälfte (44 Prozent) des Reisebudgets aus. Quelle: dpa
Dabei kaufen chinesische Reisende nicht nur für sich ein: Mehr als 80 Prozentgeben an, Einkäufe auch für Familie, Freunde und Bekannte getätigt zu haben. Die Käufe für Dritte werden meist im Vorfeld geplant, während Entscheidungen über Einkäufe für den Eigenbedarf häufig vor Ort gefällt werden. Verfügbarkeiten und Preise prüfen Reisende allerdings auch bei diesen Käufen gerne bereits vor ihrer Abreise. Quelle: REUTERS

Der neue Nationalismus füllt ein ideologisches Vakuum. Die diktatorisch herrschende Partei ist seit Langem nur noch dem Namen nach kommunistisch – und ihr Ziel, China wohlhabend und mächtig zu machen, ist noch lange nicht erreicht.

Xis ungewöhnliche Popularität

Bleibt der Kampf gegen die Korruption als Instrument der Pekinger Führung im Kampf um die Sympathie ihrer Untertanen. Präsident Xi und und sein Premierminister Li Keqiang haben da tatsächlich Erfolge vorzuweisen, und das erklärt auch zu einem guten Teil Xis ungewöhnliche Popularität. Zur Korruptionsbekämpfung gehören öffentlichkeitswirksame Kampagnen: Allwöchentlich werden prominente Sünder im Staatsfernsehen vorgeführt, und viele Millionen Chinesen erfahren dadurch, wie ernst Xi und Li es mit dem Kampf gegen die allgegenwärtige Plage meinen.

Aber ist das wirklich so? Die Entlarvung korrupter Funktionäre packt das Problem nicht an seiner Wurzel. Entscheidungsträger im Staatsapparat Chinas sind nach wie vor abhängig von der Gnade der Staatsführung – Menschen oder auch Unternehmen, die von staatlichen Entscheidungen abhängig sind, begegnen einer schwer durchschaubaren Willkür.

Das fördert die Korruption, auch wenn jetzt immer wieder einzelne bestochene Funktionsträger ihre Posten verlieren und zu hohen Strafen verurteilt werden. Abhilfe könnte vielleicht eine von Parteiführung und Regierung unabhängige Untersuchungskommission schaffen, aber so etwas gibt es nicht.

Helfen würde schon eine Veröffentlichungspflicht für Nebeneinnahmen von Politikern. Daran ist nicht zu denken. So blieb es der amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg vorbehalten, vor zwei Jahren die sehr komfortablen Vermögensverhältnisse der Familie Xi zu enthüllen.

Bloomberg bekam darauf Probleme in China. Aus der Pekinger Volkszeitung erfuhren der brave Soldat Chen und die Abermillionen weiteren Leser davon nichts.

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