Auslandsreporter in der Türkei "Bist Du eigentlich ein Spion?"

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Regierungen nutzen Presseausweis als Druckmittel

Die chinesische Regierung beschwerte sich immer wieder darüber, das Bild, das ausländische Korrespondenten zeichneten, sei "nicht objektiv". Das mutet absurd an angesichts einer Regierung, die tausende politische Dissidenten inhaftiert und laut Schätzungen von Amnesty International jedes Jahr mehr Menschen exekutiert als alle anderen Staaten zusammen. Richtig ist natürlich auch: Neben Menschenrechtsverletzungen, Luftverschmutzung und Turbo-Kapitalismus sind da eben auch die Geschichten von 300 Millionen Menschen, die sich in den letzten 20 Jahren aus absoluter Armut befreit haben.

Bei meinem Antrittsgespräch beim Presseamt in Peking, das jeder neue Korrespondent dort quasi als Gewissensprüfung führen muss, sagte mir der zuständige Mitarbeiter tatsächlich zum Abschluss: "Und vergessen Sie nicht: Berichten Sie objektiv!"

Auch die chinesische Regierung benutzt die Akkreditierung als Druckmittel. Den Presseausweis erhält man dort wie in der Türkei immer nur für ein Jahr begrenzt. Ende November beginnt das Bangen und Hoffen. Vor allem für Kollegen mit Familie und Kindern ist das eine Belastung.

Hinzu kommt die staatliche Zensur. In China sind weite Teile des Internets gesperrt: Darunter Facebook, Youtube, Twitter und viele Nachrichtenseiten. Das hat nicht nur politische Gründe. China hat auch ein Interesse, chinesische Firmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Aber damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Das chinesische Google heißt Baidu, und spuckt nur das aus, was Peking möchte.
In der Türkei sind (außer Porno-Seiten) vor allem inländische Medien betroffen. Die Sperren lassen sich mit einem Zusatzprogramm, einem Virtual Private Network (VPN) umgehen. Allerdings schränkt zumindest China den Gebrauch immer mehr ein, und ist anscheinend mittlerweile auch technisch in der Lage, die Programme zu blocken.

In beiden Ländern kann sich natürlich durch die lokale Presse informieren - man muss sich nur bewusst sein, dass man dadurch eben genau das erfährt, was die Regierung mitteilen möchte. Nicht mehr, und nicht weniger.
Zensieren können ausländische Regierungen das, was wir schreiben, natürlich nicht - zumindest so lange wir in Deutschland publizieren.

Klima des Misstrauens

Doch all das erzeugt ein Klima des Misstrauens. Viele Gesprächspartner wollen, wenn überhaupt, nur anonym zitiert werden. Das ist in der Türkei besonders nach dem gescheiterten Putsch und der darauf folgenden Jagd auf die Gülen-Anhänger ein Problem geworden. Sogar deutsche Geschäftsleute, die nichts zu verbergen haben, ziehen es plötzlich vor, sich gar nicht oder nur anonym zitieren zu lassen. Ein guter Text mag einen namenlosen Gesprächspartner vertragen. Bei zwei oder drei anonymen Zitatgebern aber wirkt ein Artikel intransparent und suspekt - und ähnelt dem verschwörerischen Geraune, von dem sich guter Journalismus abgrenzen will.

Letztlich schießen sich Staaten, die die Pressefreiheit einschränken, ins eigene Bein. Macht sich eine Regierung zum Quälgeist oder gar zum Feind der ausländischen Korrespondenten, wird die Berichterstattung dadurch zwangsläufig negativer.

Das Misstrauen äußert sich übrigens auch im Gespräch mit Freunden. Sowohl in China als auch in der Türkei wurde mir immer wieder die Frage gestellt: Bist Du eigentlich ein Spion? Meistens, aber nicht immer, war das witzig gemeint.

Ich konnte darüber immer auch lachen, bis mir jemand von einem inzwischen verstorbenen Kollegen erzählte, der in Peking jahrelang auch für den BND gearbeitet hatte. Anscheinend waren Geheimdienste vor dem Internet mehr auf Informationen von Journalisten angewiesen.

Deniz Yücel wird hoffentlich bald wieder frei kommen. Die Vorwürfe gegen ihn sind absurd, und die Solidarität mit ihm zeigt, dass sich die türkische Regierung mit ihrem Vorgehen selbst schadet.

Letztlich aber können Auslandskorrespondenten immer nur wieder auf die Lage der Kollegen hinweisen, die nicht den Luxus eines deutschen Passes haben. Über 150 türkische Journalisten sitzen im Gefängnis. In China sind es 21.

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