Vor der Reise zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik hofft eine Delegation von Bundestagsabgeordneten auf eine dauerhafte Besuchserlaubnis für deutsche Parlamentarier. Er habe den Eindruck gewonnen, dass der Besuch in Incirlik keine einmalige Sache sei, „sondern dass auch in diesem Punkt wieder Routine und Normalität einkehren kann“, sagte Delegationsleiter Karl Lamers (CDU) nach Gesprächen mit türkischen Abgeordneten am Dienstagabend in der türkischen Hauptstadt Ankara. Es sei zudem selbstverständlich, dass deutsche Abgeordnete die Soldaten im Einsatz besuchten.
Der deutschen Delegation gehören sieben Mitglieder des Verteidigungsausschusses aus allen Fraktionen an. Nach den politischen Gesprächen in Ankara geht es am Mittwoch mit einem Militärflugzeug weiter nach Incirlik. Auf dem Luftwaffenstützpunkt treffen die Abgeordneten nach einem viermonatigen Besuchsverbot die dort stationierten deutschen Soldaten. Diese unterstützen mit „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug die Bombardements von Stellungen der Terrororganisation Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Die Abgeordneten werden auch mit den Kommandeuren der türkischen und US-amerikanischen Streitkräfte sprechen.
Am Dienstag hatte die Delegation zunächst Gespräche mit Vertretern des türkischen Verteidigungsausschusses geführt. Diese seien positiv verlaufen, sagte Lamers. „Wir sind Verbündete, wir sind Partner und wir sind Freunde und so war die Atmosphäre heute.“ Man wolle den Dialog fortsetzen und habe die türkischen Abgeordneten nach Berlin eingeladen.
Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis
Im Juni 2016 beschließt der Bundestag eine Resolution, die die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord einstuft. Die Türkei reagiert erbost und unter anderem mit dem Besuchsverbot für Incirlik. Kanzlerin Angela Merkel erklärt Anfang September, die Resolution sei rechtlich nicht bindend - aus Sicht Ankaras die geforderte Distanzierung von dem Beschluss. Das Besuchsverbot wird aufgehoben, doch vergessen ist die Resolution nicht.
Die Türkei hat sich verärgert darüber gezeigt, dass sich nach dem gescheiterten Putsch keine hochrangigen Mitglieder der Bundesregierung zum Solidaritätsbesuch haben blicken lassen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plant zwar einen Besuch, der aber immer noch nicht stattgefunden hat. Der türkische EU-Minister Ömer Celik kritisiert, stattdessen seien aus Deutschland vor allem Mahnungen zur Verhältnismäßigkeit gekommen: „Bei hundert Sätzen ist einer Solidarität mit der Türkei, 99 sind Kritik.“
Ankara droht immer wieder damit, die Zusammenarbeit mit der EU in der Flüchtlingskrise aufzukündigen. Hintergrund ist unter anderem eine EU-Forderung, die Türkei müsse Anti-Terror-Gesetze reformieren, damit diese nicht politisch missbraucht werden. Ohne diese Reform will die EU die Visumpflicht für Türken nicht aufheben - ohne Visumfreiheit aber fühlt sich Erdogan nicht an die Flüchtlingsabkommen gebunden.
Auf Betreiben Erdogans beschließt das türkische Parlament, vielen Abgeordneten die Immunität zu entziehen. Betroffen ist vor allem die pro-kurdische HDP, die Erdogan für den verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hält. Parlamentariern droht Strafverfolgung - für Merkel „Grund tiefer Besorgnis“. Apropos PKK: Ankara fordert ein härteres Vorgehen gegen PKK-Anhänger in der Bundesrepublik, wo die Organisation ebenfalls verboten ist.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Putschversuch und dem anschließend verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Seitdem sind Dutzende weitere Medien geschlossen worden. Für Aufregung sorgt zudem, dass der türkische Sportminister Ende September die Aufnahme eines Interviews mit der Deutschen Welle konfiszieren lässt. Die Deutsche Welle klagt auf Herausgabe.
Ankara fordert von Deutschland die Auslieferung türkischer Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den die Regierung für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich macht. Neuer Streit ist damit programmiert.
Die türkische Regierung hatte einen Besuch von deutschen Abgeordneten in Incirlik wegen der Armenier-Resolution des Bundestags monatelang untersagt. Im Juni hatte das Parlament die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord verurteilt. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs wehrt sich massiv gegen diese Einstufung. Die türkische Regierung hob das Besuchsverbot für die Abgeordneten erst auf, als die Bundesregierung die Resolution für rechtlich nicht bindend erklärte. Der Bundestag habe durchaus das Recht, sich zu Vorgängen vor 100 Jahren zu äußern, betonte Lamers mit Blick auf die Resolution.
Grünen-Chef Cem Özdemir wertete den Besuch der Abgeordneten in der Türkei als „leisen Triumph der Demokratie“. „Der Bundestag fasst seine Beschlüsse ohne Einflussnahme ausländischer Regierungen. Dies hat nun auch Ankara erkannt“, sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Die Bundeswehr gilt als Parlamentsarmee. Im Dezember werden die Abgeordneten über eine Verlängerung des Türkei-Einsatzes abstimmen. „Einer Verlängerung steht nichts im Wege, wenn Besuche bei den Soldaten routinemäßig möglich sind“, sagte SPD-Verteidigungsexperte und Delegationsmitglied Rainer Arnold dem RND.
Den Putschversuch vom 15. Juli verurteile er „aufs Schärfste“, sagte Lamers. Nun sei deutlich geworden, dass die Türken sich eine stärkere Anteilnahme gewünscht hätten. Mit Blick auf die Aufarbeitung des Putschversuchs fügte er hinzu: „Wir sind überzeugt, dass dies nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geschieht.“
Delegationsmitglied Alexander Neu (Die Linke) sah das anders. „Ich hatte den Eindruck, dass die deutsche Seite zu defensiv war in ihrer Kritik“, sagte er. Es könne nicht sein, dass ein politischer Partner „mit Samthandschuhen“ angefasst werde, wenn dieser Partner „Grundwerte mit Füßen“ trete.
Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und hat einen Ausnahmezustand verhängt. Per Notstandsdekret gehen die Behörden gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor, aber auch gegen mutmaßliche Unterstützer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK sowie Oppositionelle.