Frankreich Emmanuel Macron wählt seinen Parteichef selbst

Die französische Regierungspartei von Emmanuel Macron will eigentlich einiges anders machen. Viel zu sagen haben ihre Mitglieder aber nicht. Sogar den Parteichef installiert Macron ganz alleine.

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Frankreich: Emmanuel Macron wählt seinen Parteichef selbst Quelle: Reuters

Paris Erstickt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Schwung der Zivilgesellschaft, der ihn im Mai ins Amt getragen hat? Am 18. November tritt zum ersten Mal der „Nationale Rat“ seiner Bewegung „La République en Marche“ (LREM) zusammen, um den Vorsitzenden zu wählen. Die Wahl wird nicht mehr als eine Formalie sein, denn Macron hat bereits selber entschieden: Christophe Castaner, bislang sein Regierungssprecher, soll es werden. Der 51-jährige frühere Sozialist aus den französischen Seealpen ziert sich zwar noch und verweist auf den Kongress am 18. November, doch für die aus dem Präsidentenpalast gebrieften französischen Medien ist die Personalie klar. Abgeordnete von En Marche beglückwünschen Castaner bereits: „Er ist sicher der Beste für das Amt.“

Was bedeutet diese Wahl per Fingerzeig des Präsidenten mit anschließender Akklamation für die junge Partei? Während Macron seine Partei nach außen als hierarchiefreie Graswurzel-Bewegung darstellt, bleibt er in Wirklichkeit ein Kontrollfreak. LREM unterscheidet sich im Hinblick auf das interne Funktionieren derzeit nicht von den klassischen Parteien präsidialen Zuschnitts auf der Rechten und der Linken, die Macron bei den Wahlen im Frühjahr und Sommer so erfolgreich zertrümmert hat.

Im vergangenen Jahr war Macron angetreten, um die Distanz zwischen den Franzosen und der Politik, zwischen der Zivilgesellschaft und den Entscheidungsträgern aufzuheben. „Wir sind da, um die etablierte Ordnung zu erschüttern“, rief er beim ersten Meeting in der Pariser Mutualité im Juli 2016 in den Saal, damals noch als Wirtschaftsminister. Während einer monatelangen Frankreichtour, „la grande marche“ genannt, zogen die ersten „marcheurs“ von Tür zu Tür, gewannen neue Anhänger und gleichzeitig umfassende Daten über das, was die Franzosen bewegt. Statt lobbygesteuerter Politprofis sollte die Zivilgesellschaft Inhalte und Richtung der Politik bestimmen. Tatsächlich gelang es LREM, innerhalb kürzester Zeit eine ausreichende Zahl von Kandidaten für die Parlamentswahl aufzustellen – und die Wahl haushoch zu gewinnen.

Sehr schnell aber hat Macron dann die Zügel angezogen. Die Fraktion funktioniert nicht anders als frühere Fraktionen der Regierungsmehrheit: Sie bekommt ihre Orders vom Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament, und das war bisher: Christophe Castaner. Recht schnell fanden sich die ersten Unzufriedenen zusammen, wie das „Kollektiv der wütenden Marcheurs“, die mehr Einfluss der Basis verlangten. Sie sind aber marginalisiert, weil Macrons Charisma noch immer wirkt und er mit seinen ersten schnellen Reformen zeigt, dass er das Amt des Präsidenten erfolgreich ausübt. LREM schwimmt dank der Wahlerfolge im Geld. Eigene Medien verbreiten regelmäßig die Botschaft des Präsidenten. Bei vielen seiner Reisen werden nur die eigenen „Journalisten“ der Bewegung an Macron herangelassen und verbreiten anschließend Videos, die den Präsidenten in Szene setzen.

Frankreich hat kein Parteiengesetz, das mit dem der Bundesrepublik vergleichbar wäre. Innerparteiliche Demokratie ist nicht vorgeschrieben. Davon profitiert auch En Marche: Die 700 Mitglieder der Bewegung, die am 18. November als „Rat von LREM“ zusammentreten, sind nicht etwa von der Basis gewählt. 200 wurden per Los bestimmt, den Rest hat die bisherige dreiköpfige Übergangsführung selber ausgewählt. Und die wiederum hatte eingesetzt: richtig ­– Macron selber.

Hat sich überhaupt nichts geändert? Schon, die Mitglieder in Parlament und Regierung, die aus der Zivilgesellschaft stammen, sorgen für eine gewisse Rückbindung der Entscheidungen an die Realität. Doch die Aufbruchsstimmung des vergangenen Jahres, das Gefühl, eine politische Revolution voranzutreiben, ist verflogen. Macron regiert stärker von oben nach unten als sein Vorgänger Hollande. Das Risiko ist, dass er damit den Faktor auslöscht, dem er seine Erfolge verdankt: Die Hoffnung vieler Franzosen, das überholte Präsidialsystem endlich zu erneuern.

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